Homo Magi 

Schreiende Nachbarn

19.02.2023

Homo Magi

Hallo Salamander,

wir wohnen ja jetzt neben einem Wohnpark für Irrsinnige, oder eher einer Geisteskrankenbewahranstalt mit sehr lockeren Regeln und einer eher freizügigen Rahmengestaltung für die „Insassen“. Sicherlich ist das für die Klientel die richtige Behandlung und wir sind ihnen dankbar, weil sie auch auf unser Haus aufpassen.

Zwischen uns und dem Nachbargrundstück hat man wenige Tage, nachdem wir eingezogen sind (das Haus stand leer) einen Sichtschutz eingebaut. Daher kennen wir nur die Stimmen der Mitarbeiter und Insassen, was die Trennung manchmal schwer macht. Zwei Stimmen von „Bewohnern“ lassen sich aber klar identifizieren. Der eine spricht in einer offensichtlich vor-menschlichen Sprache, ein wenig wie das Biest in der „Muppet Show“ – rauhe, kehlige Laute, die leider unverständlich bleiben müssen. Der andere hat einen Sichtkanal zu unserem Autostellplatz (hier reichte wohl das Geld für einen Sichtschutz nicht mehr), so dass er sehen kann, wann ich von der Arbeit komme oder gehe.

Die Kommunikation mit ihm ist schwierig, auch wenn ich mir vorgenommen habe, höflich zu bleiben. Aber wie beantwortet man Startfragen wie:

„Ja, ich habe meine ganze Familie umgebracht. Aber ist das ein Grund, jetzt noch sauer zu sein?“

„Hören Sie doch auf, mein Blut zu trinken. Sie müssten doch längst satt sein.“

„Ich weiß, dass man mich hier mit Medikamenten ruhig stellt, damit ich meine Geschichte nicht erzähle.“

„Können Sie mir helfen? Ich möchte ein Bier.“

Die letzte Frage wäre am einfachsten zu bearbeiten, lässt auch auf das grundlegende Problem der Gegenseite ein helles Licht scheinen, aber sie widerstrebt in der Bearbeitung meinem sozialarbeiterischen Kodex. Als jetzt der Nachbar aber anfing, mit Butterkekspackungen nach unserem Auto zu werfen, musste ich mal einschreiten. Ich stellte mich auf Zehenspitzen an den Rand des Blumenbeets, denn dann kann man den Besprechungsraum des Bewacher-Teams auf der anderen Seite sehen. Vom Lärm her wusste ich, dass Raucherpause war. Also nahm ich sprachlich Kontakt auf, was sie sehr verwirrte. Aber sie konnten ja zu der Stimme nach einer Weile herumirren zumindest meine Stirn sehen, von daher dürften sie ab da eigentlich nicht überrascht sein. Ich schilderte mein Butterkeks-Anliegen, man versprach Abhilfe. Dann zog ich mich mit den Worten „ich mache mich jetzt wieder unsichtbar“ vom Rand des Blumenbeets und aus ihrer Sicht zurück.

Zwei Minuten verblüffte Stille. Und seitdem keine Wurfaktionen mehr. Man muss mit kleinen Dingen … und so weiter.

Dein Homo Magi

 

 

 

 

 


 

 

 


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