Homo
Magi-Teambeitrag
Die Merseburger Zaubersprüche
|
||||
Ein sensationeller FundEin Zauberspruch dient dazu, „durch die Macht des gebundenen Wortes die magischen Kräfte, die sich der Mensch dienstbar machen will, nutzbar zu machen“ (Rudolf Simek, Lexikon der germanischen Mythologie, 2. Auflage 1995). Zaubersprüche sind, speziell aus dem germanischen Sprachraum, in großer Zahl überliefert. Die meisten dieser Sprüche stammen aber aus dem Mittelalter und sind daher christlich geprägt bzw. beeinflusst. In den meisten Fällen wurden sie in kirchlichen Schriftstücken aufgezeichnet. Es gibt jedoch zwei große Ausnahmen. Im Jahre 1841 untersuchte der Historiker Dr. Waitz in der Bibliothek des Merseburger Domkapitels eine theologische Sammelschrift aus dem 9./10. Jahrhundert. Bei dieser Untersuchung stieß er auf zwei Zauberformeln in althochdeutscher Sprache, die vorchristlichen Ursprungs waren. Bis auf den heutigen Tag sind dies die einzigen althochdeutschen Zaubersprüche heidnischen Inhalts, die schriftlich überliefert wurden. Der sensationelle Fund wurde zur Begutachtung dem
berühmten Forscher Jakob Grimm vorgelegt, einem der beiden Gebrüder
Grimm, die durch ihre Märchensammlungen inzwischen Weltruhm erlangt
haben und als Begründer der Germanistik gelten. Jakob Grimm bewertete
den Fund vor der Königlichen
Akademie der Wissenschaften in Berlin wie folgt:
Der Erste Merseburger ZauberspruchDer Erste Merseburger Zauberspruch ist ein Vierzeiler. Er lautet im Original: Eiris sâzun idisi, sâzun hêra duoder. Hier eine Übersetzung ins heutige Deutsch: Einst setzten sich Jungfrauen/Idisen, setzten
sich hierher... Der Zauberspruch beschreibt, wie eine Anzahl „Idisen“ (walkürenartige (?) Frauen, eventuell identisch mit den Disen, weibliche Gottheiten aus der nordischen Mythologie) auf dem Schlachtfeld gefangene Krieger befreit. Insofern handelt es sich um einen „Lösesegen“, durch den Gefangene aus ihrer Gefangenschaft befreit werden sollen. Die letzte Zeile „Entspring den Haftbanden, entfahr den Feinden!“ ist die eigentliche magische Komponente, sie enthält die Vorbildhandlung. Der Zweite Merseburger ZauberspruchDer zweite Merseburger Zauberspruch ist länger als der erste: Phol ende Uuôdan uuorun zi holza. Auch hier eine Übersetzung: Phol und Wodan ritten ins Holz. Die Bedeutung des Zauberspruchs ist offensichtlich: das verrenkte Bein eines Pferdes oder Fohlens soll geheilt werden. Entsprechende Darstellungen finden sich oft auf Brakteaten[1] aus dem 5./6. Jahrhundert. Auf vielen Brakteaten aus dieser Zeit ist Wotan abgebildet, wie er ein Pferd heilt, das ein krankes Bein hat (meistens der Vorderlauf). Insofern ist der Spruch klar. Bis heute in der Fachwelt umstritten sind aber die Götternamen, die im Text genannt werden. Eindeutig identifiziert sind nur „Uuôdan“ (Wodan, Wotan, Odin) und „Frîia“ (Freya, seine Gemahlin). Bei „Phol“ (Vol? Fol?) bestreiten einige Gelehrte, dass es sich um einen Götternamen handelt. Ebenso wird Balder von einigen nicht als Name des Gottes Balder (Baldur), sondern als „Herr“ gedeutet, in diesem Falle bezöge es sich auf Wotan. Sinthgunt und Sunna sind nur hier erwähnt, ebenso Volla. Letztere wird von den meisten Fachleuten mit der Göttin Fulla, einer Zofe der Frigg, gleichgesetzt. Der schwedische Linguist Erik Brate (1857-1924) deutete Phol und Volla als Geschwisterpaar, analog zu Freya und Freyr. Doch das ist nur eine Hypothese, zumal Phol nur hier genannt wird. Die Zaubersprüche in der MusikZu den Merseburger Zaubersprüchen wurde keine Melodie überliefert. Trotzdem fühlten sich immer wieder Musiker inspiriert, die Zaubersprüche zu vertonen. Hier seien nur zwei Beispiele genannt: Gleich mit beiden Zauberformeln hat sich In Extremo auseinandergesetzt. Auf dem Album „Verehrt und angespien“ aus dem Jahre 1999 findet sich gleich im ersten Song der Erste Merseburger Zauberspruch. Er ist mit einem Vorspann versehen: „Hört von den sieben Vaganten/Die ihr Heil in der Hölle fanden/behangen mit Fetzen und Schellen/die so laut wie Hunde bellen/Ihr Lachen ist Sturm und Gewitter/Feiern und zechen bis kommt der tödliche Schnitter/Verehrt und angespien sind sie bekannt im ganzen Land/von allen „In Extremo“ genannt“. Nach diesem Vorspann folgt der Erste Merseburger Zauberspruch, der erst langsam losgeht, danach steigert sich die Musik mehr und mehr, die Gitarren stimmen mit ein, der Sound wird härter. Passend zu dieser Intro spielt die Band anschließend auf dem gesamten Album „wie entfesselt“ auf. Zwei Jahre später, im Jahre 2001, veröffentlichten In Extremo das Album „Sünder ohne Zügel“. Hier erscheint der Zweite Merseburger Zauberspruch in einem Song, der sich an vierter Stelle auf dem Album befindet. Das Lied ist (für In Extremo-Verhältnisse) recht zurückhaltend und nicht so hart wie der Song zum Ersten Zauberspruch. Welches Pferd mit diesem Song geheilt werden soll, ist allerdings unklar. 2001 tauchte der Erste Merseburger Zauberspruch auch bei einem ganz anderen Projekt auf. Auf der Erstlings-CD des Projektes „Helium Vola“ von Ernst Horn finden wir an achter Stelle das Lied „Lösespruch“ dessen Text eben der Erste Merseburger Zauberspruch ist. Die Melodie ist hier ganz anders als bei In Extremo; wesentlich verhaltener und sanfter, eher melancholisch. Ein direkter Bezug zu den vorhergehenden bzw. nachfolgenden Liedern ist nicht erkennbar. Es ergibt sich aber ein Zusammenhang mit dem Thema des Albums. Das gesamte Album ist nämlich den Opfern des Kursk-Unglücks gewidmet; Matrosen, die in ihrem verunglückten Atom-U-Boot tagelang gefangen waren, bevor sie starben. Durch den Lösespruch könnte der Wunsch ausgedrückt sein, die Opfer zu befreien. [1] Brakteat, von lat. bractea („dünnes Metallblech“): runder, einseitig geprägter, münzförmiger Schmuckanhänger. Seit Ende des 17. Jh. auch numismatische Bezeichnung für dünne Pfennigmünzen, die nur einseitig geprägt sind. Volkmar Kuhnle, Februar 2002
Dieser Text erschien ursprünglich auf http://www.darkweb.de
|
Beiträge des Teams:
Weitere
Teambeiträge:
|