Homo Magi - Teambeitrag

Blutopfer, Magie und die Fußball-Weltmeisterschaft


Ich bin wahrlich kein großer Fan von Fußball. Die meisten Menschen in meiner Umgebung werden das sicherlich unterschreiben. Meine „Fußballkarriere“ mit einigen Freunden bei einem „Freundschaftsspiel“ (immerhin durfte ich einen Verteidiger simulieren) brachte mir nur den Beinamen „Blutschwalbe“ bei (das war eine obskure Technik, mit gestreckten Beinen Leute am stürmen zu hindern). Ich kann ein Abseits nicht von polynesischen Volkstänzen auf dem grünen Rasen unterscheiden und eine Abseitsfalle klingt für mich nach einem Versuch, potentielle Kunden von Prostituierten in Nebenstraßen zu überfallen.

Dem ist aber nicht so, wie ich mir immer wieder erklären lassen muss.

Ab und an habe ich im Zusammenhang mit Sportereignissen helle Momente. Es langt leider nicht aus, um beim „Trivial Pursuit“ die letzte bunte Käseecke zu erlangen – aber man kann mit den Antworten „Hochsprung“ und „Uwe Seeler“ blind ab und an den Siegpunkt machen. Leider aber wirklich nur ab und an.

Begonnen hat alles mit Cassius Clay beziehungsweise Muhammad Ali (wie sich Clay nach dem Ablegen seines „Sklavennamens“ nannte – die Parallelen zu Kunta Kinte in „Roots“ sind offensichtlich). 1974 – ich war gerade 9 Jahre alt – war der Weltmeisterschaftskampf Foreman gegen Clay. Johnny Wakelin hat das später passend in seinem Lied „In Zaire“ dargestellt. Damals war es nicht nur ein Kampf Aufsteiger gegen Etablissement, sondern es war auch eine politische Kundgebung. Sport hatte die Grenzen des Sports überschritten und den Raum des Politischen erreicht – wie er es schon einige Male vorher getan hatte. Aber die wenigen Ereignisse, die ich im 20. Jahrhundert als eine Mischung als Politik und Sport bezeichnen würde, waren geplant und durchkonstruiert, frei von Schweiß und Tränen. Die Olympiade in Berlin ist ein gutes Beispiel dafür – technisch „clean“, voller Emotionen, doch von den Nazis gesteuert, um sich selbst der Welt darstellen zu können. Der „Rumble in the jungle“ in Zaire war da anders – auch heute noch vermitteln die Reportagen jenes „Feeling“, das sich eben nicht organisieren und planen lässt. Ein Jahr später („Thriller in Manila“, 1975 – Ali gegen Frazier auf den Philippinen) war es vorbei, der Schmetterling Ali behielt seine Kampftechnik, doch der Charme war verschwunden.

Ein weiteres Erlebnis, das mich in der Retroperspektive immer daran erinnert, dass Sport auch eine politische Seite hat, war das „Wunder von Bern“ 1954. Einverstanden, ein Ereignis, das im Volksmund mit dem Namen „Wunder“ bedacht wird, sollte etwas mit Gefühlen, Magie und Zauberei zu tun haben. Die Namen der Helden (nicht meine Wortwahl – Sönke Wortmann spricht im Zusammenhang mit ihrem Film „Das Wunder von Bern“ immer von „Helden“) des Jahres 1954 haben auch heute noch einen guten Klang – z.B. Turek, Laband, Rahn, die Gebrüder Walter, Morlock (spätestens hier eine Verbeugung vor H.G. Wells). Die als Außenseiter angetretene deutsche Mannschaft besiegt im Endspiel um die Fußballweltmeisterschaft Favorit Ungarn mit 3:2. Mannschaftskapitän war Fritz Walter. Zum 80. Geburtstag Walters (damals schon „Ehrenspielführer der Deutschen Nationalmannschaft“) plazierten denn auch Wesen wie der Historiker Joachim Fest Fritz Walter neben Konrad Adenauer und Ludwig Erhardt auf dem Platz als „Gründungsvater“ der Bundesrepublik Deutschland.

Ob er dahin gehörte, kann ich nicht beantworten. Seine Fußballkünste kann ich auch nicht einschätzen, dazu bin ich zuwenig Fachmann (im Gegensatz zu 30 Millionen anderen potentiellen Bundestrainern, die im Moment genau wissen, was die deutsche Mannschaft zu tun und zu lassen hat) – aber der Reportage von diesem Endspiel zuzuhören, das macht heute noch Spaß.

Und im Moment haben wir wieder eine Fußball-Weltmeisterschaft. Die deutsche Mannschaft beschäftigt sich damit, sich langsam aber sich zum Endspiel „vorzutölpeln“. Während der Weltmeisterschaft stirbt dann der Ehrenspielführer. Wenn das ein Zufall ist ... oder vielleicht doch ein von DFB-Zombies eingefädelter magischer Plan, um die Deutschen in das Endspiel zu bringen? „Werte dunkle Götter des runden Leders – wir opfern euch Fritz Walter und erhalten dafür 23 Torchancen und keine Verletzungen!“ Dazu tanzen die Herren des Präsidiums nackt und mit Fußballerschweiß eingerieben immer im Kreis herum und singen und singen und singen „Fußball ist unser Leben!“.

Ich bin zwar der Ansicht, dass eine Fußball-Weltmeisterschaft ohne singende Mannschaft keine echte Fußball-Weltmeisterschaft ist. Aber man kann nicht immer Glück haben und nicht immer ist einem das Duo Beckenbauer/Jürgens vergönnt. Wenn es über das Lied schon nicht klappt, die Deutschen und „ihre“ Mannschaft zu motivieren – dann muss man zu härteren Mitteln greifen. Die deutsche Mannschaft spielt dann wohl im Trauerflor gegen die USA. Aber die könnten auch noch jemanden opfern. Solche Tricks sind nicht auf eine Seite beschränkt, auch die Amerikaner sind zum Blutopfer geeignet. Wenn ich Ehrenspielführer der amerikanischen Fußball-Nationalmannschaft wäre – ich würde mich in einem dunklen Keller verstecken, bis die Weltmeisterschaft vorbei ist. Bin ich aber nicht. Zum Glück.

 

Homo Magi, Juni 2002 

 

       

 

 

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