Homo
Magi - Teambeitrag Pan-Demie
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Einführung
Witz bedarf man auf
weiter Reise; Bevor wir uns jetzt
inhaltlichen Fragen zuwenden eine Anmerkung, die vielleicht nötig ist,
um das Folgende genießen oder überhaupt nur verstehen zu können: Ich
betreibe fast schon prinzipiell etwas, was zwischen „stand up Asatru“
und „Da Da Delling-ismus“ stehen könnte. Verwirrung ist gewollt und
führt oft eher zum Ziel als langweilige Abhandlungen. Jetzt zum Thema. Die Grundlage für
jeden Glauben ist das Suchen nach letzten Antworten. Denn Fragen wie „Wo
kommen wir her?“, „Wo gehen wir hin?“ und „Was soll der ganze Mist hier
eigentlich?“ ziehen sich als roter Faden durch die Religions- und
Philosophiegeschichte der Menschheit. Und wie bei allen
letztendlichen menschlichen Fragestellungen geht es ebenso um Angst: Die
Angst vor dem Unbekannten, die Angst vor dem Tod, die Angst vor der
Einsamkeit. Diese Themen sind die Grundlage für die lebenslange Suche,
der sich ein Mensch unterzieht, der nach Antworten in Mythologie, Sagen
und Heidentum sucht – und dieser Weg unterscheidet sich wenig von dem
Weg desjenigen, der die Antworten in Wissenschaft und Forschung sucht.
Nur bei uns gibt es Met und Gesang dazu. Unser Leben von der
Wiege bis zur Bahre verläuft nicht sorgenfrei – es gibt immer wieder
„Störgeräusche“ in unserem Leben; Ereignisse, die uns dazu zwingen,
innezuhalten und darüber nachzudenken, was ist und was wichtig ist.
Diese Ereignisse – wie gesagt: Störgeräusche – treten normalerweise
nicht geballt auf, sondern einzeln und – wenn es gut läuft – zeitlich
über die Lebenszeit verteilt. Man kann nur
überraschte Geräusche machen, wenn man sich anschaut, was uns seit
anderthalb Jahren als Cocktail vom Schicksal oder Wyrd angeboten wird.
Denn kaum einem Thema ist es in den letzten Jahrzehnten so gut gelungen,
diese „Blumen des Bösen“ zu einem Strauß zu binden, der als
Gesamtkunstwerk trotzdem die einzelnen Aspekte erkennen lässt. Wir reden
aktuell in der Gesellschaft nicht nur über Sterblichkeit, Krankheit und
das Gesundheitssystem, nein, in die selbe Diskussion eingebunden finden
wir Themenstränge, in denen es um Datenschutz, Grundrechte, die Rolle
der einzelnen Elemente im Parlamentarismus und Kosten beziehungsweise
Korruption geht. Wir kennen diese
Einbrüche in unser alltägliches Leben eigentlich nur anders, mehr
blitzartig als einsickernd. Die Weltkriege sind Ausnahmen, ebenso
einzelne, als klare Einbrüche in die Normalität verstandene Einbrüche
von Angst in das Konzept des realen Lebens wie der Anschlag auf das
World Trade Center oder die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Aber da
Deutschland im ersten Weltkrieg „an den Fronten unbesiegt“ blieb,
führten die Nebeneffekte der Dolchstoßlegende in unserem deutschen,
historischen Befinden zwangsläufig dazu, dass die Gefahr, im eigenen
Haus durch den Krieg berührt zu werden, entweder durch tote Freunde oder
Verwandte an fernen Orten geschah oder im 2. Weltkrieg durch
Bombenangriffe. Erst die Eroberung Deutschlands durch die Alliierten im
2. Weltkrieg führte dazu, dass der Krieg auf dem Territorium
Deutschlands stattfand. Das war ein singulärer Angstfaktor, eine
nationale Katastrophe, die sich im Erleben der Menschen stark von den
„fernen Bedrohungen“ wie einem Anschlag in New York unterscheidet. Die Generation, die
ich repräsentiere, kennt die Angst im Krieg nicht mehr aus eigener
Anschauung, aber sie hat noch mit jenen zusammengelebt, welche diese
Angst mitgemacht und daher mitgebracht haben – so mein Lehrer, der sich
beim Sirenenton immer unter den Tisch warf, die einarmigen oder
einbeinigen Männer, die Kriegsblinden (wir hatten in den 80er-Jahren im
Sozialamt noch einmal im Jahr einen Tag zur Überprüfung des weiteren
vorhandenen Unterstützungsbedarfs von Kriegsblinden in Hinblick auf
inzwischen erfolgte Wunderheilungseffekte, liebevoll „Kriegsblindentag“
genannt). Diese Erinnerungen
sind ein Teil meiner „seelischen DNA“ wie auch das unvermeidliche Erbe
meiner Alterskohorte. Die Generation, die nach uns kommt, kennt jenes
Flackern in den Augen des Anderen nicht, das mit existentieller Angst
verbunden ist – von daher ist es schon für uns Mit-50-er schwer, mit
Angst umzugehen, für die jüngere Generation fehlt die Erfahrung aus dem
eigenen Erleben. Auch deswegen wählte
ich als Titel ausdrücklich Pan-Demie, um die Widersprüchlichkeit des
Themas herauszuarbeiten. Der Gott Pan mag Musik und Tanz, aber er kann
auch Furcht auslösen, die Panik. Sich der Pandemie als Pan-Demie zu
nähern heißt auch, den Begriff auf seine Wurzeln zu reduzieren: „pan“
für altgriechisch „gesamt“ und „demos“ als altgriechisch „Volk“, also
etwas was rein theoretisch eine ganze Bevölkerung erfasst. Ich möchte
versuchen, mich diesem Thema „faktenfrei“, also rein Vernunft-gesteuert
zu widmen. Dabei soll es nicht um die Frage gehen, ob es den Virus
wirklich gibt, ob es sich rein formal wirklich um eine (medizinische)
Pandemie handelt, ob die Impfungen wirken oder nicht wirken, ob die
Krankheit (soweit es eine ist) ansteckend ist oder nicht, ob Masken
gefährlich sind oder nicht oder ob es eine Übersterblichkeit gibt oder
nicht. Das alles sind Fragen, die überlasse ich Fachleuten – das ist ein
Ansatz, den wir Deutschen regelmäßig bei Fußballspielen und Katastrophen
vergessen, wenn dann gefühlt 96,3 % der Bevölkerung wahlweise zu
Fußballtrainern, Virologen oder Flutverhinderungsfachleuten mutieren. Alte Sitte
Eine Esche weiß ich,
heißt Yggdrasil, den hohen Baum netzt
weißer Nebel; Davon kommt der Tau,
der in die Täler fällt. Immergrün steht er
über Urds Brunnen. Davon kommen Frauen,
vielwissende, Drei aus dem Saal
dort unterm Wipfel. Urd heißt die eine,
die andere Werdandi: Sie schnitten Stäbe,
Skuld hieß die dritte. Sie legten Lose, das
Leben bestimmten sie Den Geschlechtern
der Menschen, das Schicksal verkündend. Aus der Wolüspa „Der
Seherin Gesicht“ Eine der Stärken des
modernen Asatru – oder der Alten Sitte für jene, welche diesen Begriff
lieber mögen – ist die Umsetzung des Kults von als archaisch zu
bezeichnenden heidnischen Gottheiten im Kontext der modernen Welt. Diese
Umsetzung hakt an vielen Stellen, wie auch die Umsetzung anderer
Religionen, die über eine durchgängige Tradition verfügen, hakt. Natürlich verfügen
weder die drei abrahamitischen Buchreligionen noch schamanische
Traditionen oder irgendwelche indigenen Religionen über vorgefertigte
Antworten für die Fragen der Gegenwart. Die Bibel, der Koran, der
Talmud, sie alle enthalten keine Hinweise auf das „World Wide Web“, es
fehlen Lösungen für die Fragen der Umweltverschmutzung und der globalen
Erwärmung oder Hinweise zum Umgang mit der Frage, wie man mit jenen
umgeht, die sich einen Aluhut überstreifen und wissenschaftliche
Erkenntnis – oder sogar Erkenntnis allgemein – leugnen. Und dieses
Leugnen beziehe ich jetzt überhaupt nicht auf das Thema des Vortrags,
sondern denke einmal an jene, die an eine flache Erde, eine Hohlwelt
oder die durch ihre Herkunft aus dem Nordpolarmeer begründete
Überlegenheit einer „arischen Rasse“ genannten Gruppierung glauben. Wie sieht es denn
aus mit der Vernunft? Gerade das Christentum als von uns einfach zu
beobachtende Religion versagt hier konsequent, weswegen hier auch keine
Antworten auf die drängenden Fragen zu erwarten sind. Abgesehen von
einem Schmusekurs gerade der evangelischen Kirche mit der
Friedensbewegung, der Ökobewegung und dem Feminismus fehlt hier eine
inhaltliche Auseinandersetzung völlig, die auch nicht zu erwarten ist,
weil der Versuch einer Deutung von Krisen und der Diskussion von
Krisenbekämpfung dazu führt, dass man Diskussions- und Fragetechniken
erlernt, deren Anwendung auf die Lehre selbst nicht gewünscht sein kann.
Nicht nur die Frage nach der jungfräulichen Empfängnis oder Geburt, die
Problematik der Wandlung von Wasser in Wein oder die historische
beziehungsweise ahistorische Grundlage der Figur Jesu führten in den
letzten Jahrhunderten zur hitzigen Diskussionen, die man
kirchlicherseits meist dadurch löste, dass man die sogenannten Ketzer
zur Weiterverwertung dem Feuer, dem Wasser oder der Erde übergab. Die Stärke der
heidnischen Bewegung ist es gerade, dass wir viele Diskussionen das
erste Mal führen müssen, weil wir eben keinen Dogmen und Normen haben,
welche das Diskutieren von „riskanten Themen“ vermeiden, aber genauso
wenig über Amtsträger verfügen, die mit einer göttlichen Legitimation
Papst-gleich Antworten „ex cathedra“ formulieren, die dann für alle
Religions-Angehörigen verbindlich sind. Wir sind gezwungen, in einem oft
schmerzhaften Prozess gemeinsam Fragen zu formulieren und Antworten zu
suchen, um dann wiederum gemeinsam eine Umsetzung der oft nur „gefühlt“
vorhandenen heidnischen Grundlage in Handlungsempfehlungen oder
-anweisungen zu erarbeiten. Noch einmal: Es gibt
keine heidnischen Mandatsträger, die uns Fragen beantworten müssen oder
gar könnten, es gibt keine „wahre Lehre“ und keinen
Allgemeinvertretungsanspruch des „Eldaring“, der – zum Glück – frei ist
von einem allgemeinpolitischen Mandat. Noch weniger als die „Alte Sitte“
könnte der „Eldaring“ in Lebensbereiche hinein Auslegungen liefern oder
Anweisungen verfassen, wenn diese Lebensbereiche traditionell dem
Zugriff des heidnischen Weltbilds entzogen sind. Oder andersherum:
Heidentum ist eine Querschnittsbetrachtung, die in alle Lebensbereiche
hineinwirkt, aber sie weder alle kontrolliert noch definiert. Dazu kommt, dass in
einer Götterwelt, die Loki zulässt und braucht, Widerspruch möglich und
gewollt ist – sicherlich eine der Stärken des modernen Asatru. Beide Seiten der Medaille
Der Hinkende reite,
der Handlose hüte, Der Taube taugt noch
zur Tat. Blind sein ist
besser als verbrannt werden: Der Tote nützt zu
nichts mehr. Havamal „Des Hohen
Lied“ In meiner Welt gibt
es bei den Impf-Diskussionen keine moralischen Sieger, die – ob jetzt
Verlierer oder Gewinner in der Auseinandersetzung über die Impfung – mit
dem Gefühl das Schlachtfeld verlassen können, dass sie sich selbst treu
geblieben sind und dafür gesorgt haben, dass ihre ethischen, moralischen
und/oder demokratischen Grundsätze durch das extensive Vorleben
derselben dazu geführt haben, dass die Gegenseite nicht überzeugt, aber
immerhin beeindruckt ist. Das Gegenteil ist passiert. Im Kontext der
Pandemie-Diskussionen kann man nur darüber erstaunt sein, dass dieselben
Massen, die sich jetzt zum Thema zu Wort melden und ihre
Befindlichkeiten kommunizieren, immer dann geschwiegen haben, als es um
Genitalverstümmelung, Kinderehen, Kindesmissbrauch, die Ablehnung von
Bluttransfusionen durch die Zeugen Jehovas und die damit verbundene
Müttersterblichkeit bei der Geburt oder um Übergewicht bei Kindern ging. Und eines muss klar
sein: In den letzten Monaten im Zusammenhang mit der Pandemie
angestellte Vergleiche mit dem Judenstern, dem III. Reich oder dem
Holocaust sind nicht nur geschmacklos, sondern einfach falsch. 1987 war
ich auf dem Kirchentag in Frankfurt als Übersetzer für die damalige
Leiterin der Organisation der Mengele-Zwillinge, Vera Kriegel,
eingeplant. Die Tage mit ihr waren für mich – damals 23 Jahre alt – das
blanke Grauen, weil ich von morgens früh bis abends spät Veranstaltungen
zum Holocaust mit Zeitzeugen besuchen musste, um mich dann als einzigen
Ausweg aus meinem seelischen Dilemma abends mit Wodka abzuschießen.
Hätte ich 1987 Vera Kriegel erklärt, dass keine 40 Jahre später Menschen
sich als Opfer definieren und dazu in Begriffen wie Faschismus und
Holocaust sprechen, die sich bis vor wenigen Tagen mit kostenfreien
Tests und einfach nur mit Mehraufwand um eine Impfung per Spritze hätten
„drücken“ können, dann wäre sie ausgerastet. Judensterne, Todesspritzen
a la Mengele, Selektionen an der Rampe – all das sind Begriffe, die man
aus der Impfdiskussion heraushalten sollte, wenn man ernstgenommen
werden will. Die „Nazi-Keule“ greift in jeder Diskussion – der Vergleich
mit den Nazis führt dazu, dass eine Diskussion nicht mehr sachlich zu
führen ist. Einen weiteren
Wunsch hätte ich noch: dass nur jene Menschen sich auf „Schöne neue
Welt“ und „1984“ beziehen, die wenigstens mal einen Blick in eines der
Bücher geworfen haben und nicht nur in eine Verfilmung mit Eurythmics-Klängen
oder die Kurzbeschreibung im Feuilleton kennen – so viel Liebe hat die
als Utopie getarnte Science Fiction auf jeden Fall verdient, dass man
sie wenigstens ehrlich zitiert. Themenwechsel. Ich selbst leide an
einer Krankheit, die mich zwingt, regelmäßig TNF-alpha-Blocker zu
spritzen. An dieser Stelle verzichte ich auf einen langen, medizinischen
Monolog – aber aus Eigeninteresse beschäftige ich mich mit meiner
Erkrankung und der Gefahr, die für mich davon ausgeht, dass ich mich
impfen lasse oder nicht impfen lasse und mit einer Gesellschaft
konfrontiert bin, welche die für mich wünschenswerte Herdenimmunität
nicht erreicht. Aber meine Erfahrung lehrt, dass es bei vielen
Diskussionen nicht um jene geht, die wir schützen müssen, weil sie nicht
geimpft werden können, sondern es geht um die Angst jener, die geimpft
werden könnten – und damit sind wir wieder beim einleitenden Passus,
nämlich nahe der Frage nach den letztendlichen Fragen, die jede Religion
für ihre Gläubigen beantworten muss, weil sie Kern einer jeden
„Verkündung“ sind. Ich wähle diesen Ausdruck „Verkündung“ absichtlich,
weil Neuheidentum für den einzelnen zwar auch im eigenen Suchen
auffindbar ist – was gerade Asatru von vielen anderen Gruppen
unterscheidet, denn diese „Sinnsuche“ führt dazu, dass wir erstaunlich
viele unfassbar reflektierte Mitglieder haben –, wir als Gruppe aber im
Innenverhältnis schon an einem ständigen „Input“ interessiert sind, der
aktuelle Entwicklungen für die Gruppenmitglieder „herunterbricht“. Wir sind eine
lernende Religion, keine lehrende Religion. Wir missionieren nicht und
werden auch ungerne missioniert. Jetzt muss ich doch
mal eine Lanze für die Impfgegner brechen: egal, was von „denen“ in den
letzten Monaten gesagt oder getan worden ist, diesen beschämenden Umgang
mit einer „Minderheit“ haben sie nicht verdient. Eines muss klar sein:
egal, was ich eben beschrieben habe, dies heißt nicht, dass ich auf der
Seite der „Imfpluencer“ bin. Die moralische Überheblichkeit, die bei
diesen aktiven Impfungs-Befürwortern aus den Poren strahlt, erklärt sich
mir nur damit, dass hier ein in den letzten 30 Jahren schmerzhaft in
viele Bereiche der gerade linken Politik eingezogener Weltretter-Ansatz
mit einem Gefühl eine Verbindung eingeht, das den Impfungs-Befürwortern
den Glauben vermittelt, nach Klimakrise und Neo-Liberalismus endlich
einmal „das Richtige“ zu tun. Mir juckt es immer
in den Fingern, einen „Impfluencer“ zu fragen, ob er regelmäßig zur
Krebsvorsorge geht, sich gesund ernährt und sich regelmäßig bewegt – nur
die Frage nach dem Tabakkonsum stelle ich nicht, weil ich finde, dass
man das Recht hat, Fehler zu machen, wenn man sie reflektiert. Aber ich frage nicht
nach diesen Dingen, weil ich es für sinnlos halte. Alle von der
Richtigkeit ihres Tuns überzeugten Menschen sind gefährlich, weil ihr
eigener Echoraum eben ihr eigener Echoraum ist – und wenn man den
zerstören will oder auch nur bedroht, werden sie aggressiv, wobei diese
Aggressivität aus Angst geboren ist. Angstgegner
Lieder kenn‘ ich,
die kann die Königin nicht Und keines Menschen
Kind … Hilfe heißt eins,
denn helfen mag es In Streiten und
Nöten und in allen Sorgen. Ein andres weiß ich,
des alle bedürfen, Die heilkundig
heißen. Havamal „Des Hohen
Lied“ „Die Zaubersprüche“ Man darf eigentlich
nur für eine Sache dankbar sein: Zu keiner Zeit gab es eine neue Version
der krebsheilenden „germanischen neuen Medizin“ oder genauso irrwitzigen
„germanischen Medizin“, welche den Versuch unternommen hätte, aus sich
selbst heraus oder mit Runengesang Corona zu heilen. Ich muss es
wiederholen: Man kann nur dankbar sein, dass niemand behauptet hat,
Arier/Weiße/Runenyoga-Praktiker wären vor Corona sicher, weil nur das
germanische Blut/der germanische Glaube/geweihte Wohnungen gegen Viren,
Erreger oder andere erfundene oder nicht erfundene Krankheitserreger
gefeit sind. Überhaupt hat sich
im ganzen Bereich der Esoterik – soweit ich das überschauen kann, und
ich überschaue neugierhalber sehr viel – keiner richtig getraut, für
Patienten auf Intensivstationen (und solche gibt es und gab es ohne
Corona) von Jungfrauen besungene Kristalle zu verkaufen, die durch ihre
achtdimensionalen Schwingungen böse Einflüsse zerlegen und dafür sorgen,
dass diese sich unter Zurücklassung des Geruchs nach Vanillekipferln in
Logikwölkchen auflösen, die nicht mehr gefährlich sind. Es gab keine
Angebote für Schmuckstücke, deren Kernstück aus der Weltraumforschung
stammt, schon einmal mit einer Rakete im All waren und durch die dort
herrschende Querionen-Strahlung so bedampft worden sind, dass täglicher
Kontakt zur Körperoberfläche dazu führt, dass Krankheiten wahlweise
ausgebrannt werden oder von einem mythisch-magischen Schutzschild
abgehalten werden. Kein Schamane reiste zu seinem Kraft-Virus, um danach
gegen diesen zur Hilfe Schutzengel aus Atlantis zu beschwören, die mit
homöopathischen Tropfen und Chakren-Öl heilen oder wenigstens eine
positive Wiedergeburt einleiten. Noch einmal: wir
können dafür dankbar sein, dass uns keiner der üblicherweise
auftretenden Spinner als Asatru völlig in den Strudel der
Bedeutungslosigkeit mitgezerrt hat, weil er oder sie oder es mit Runen
oder ähnlichem nordisch-germanischem Klimbim Corona heilen will. Ich
hatte kurz Angst vor einem Videokanal, wo bekannte Schamanen nach der
Heilung des Hakenkreuzes nun die Pandemie heilen. Oder wahlweise
befürchtete ich eine andere Berichterstattung über den unseligen QAnon-Schamanen,
der immerhin einige Symbole trug, die man Asatru zuordnete.
Glücklicherweise konnte man aus dem Gesamtzusammenhang schlussfolgern,
dass der sogenannte Bison-Mann nicht alle Murmeln im Beutel hat. Mythische Verbindungen
Astrunen kenne, wenn
du Arzt willst sein Und Wunden wissen zu
heilen. In die Rinde ritze
sie und das Reis am Baum, Wo ostwärts die Äste
sich wenden. Sigrdrifumal „Das
Lied von Sigrdisa“ An dieser Stelle
vertue ich jetzt eine Gelegenheit, mich als Supergode ins Gespräch zu
bringen, weil ich eben auf eine „Edda“-Auswertung verzichte, in der ich
mit Quellen-schändender Sorglosigkeit an den Haaren herbeigezogenen
Vergleich neben an den Haaren herbeigezogenen Vergleich stelle, um dann
mit Verweisen auf finnische, sibirische, aztekische, karthagische und
irische Quellen Parallel-Überlieferungen heranzuziehen und aus diesen
dann zu folgern, dass der Kampf gegen den Virus dem Ostwestfalen schon
immer im Blut lag, mein Schlachtruf wäre dann logischerweise „Virus,
Virus, gib mir meine Legionellen wieder!“. Ich gebe zu, dass Vornamen
wie der meinige zu so etwas verleiten. Aber all das tue ich
nicht, sondern ich möchte nur drei Hinweise kurz loswerden, um meine
bisherigen Schilderungen in einen mythologischen Kontext einzupassen. Erstens können wir
uns kaum darüber beschweren, dass – wie immer wieder diskutiert – ein
Tier-Mensch-Übergang Corona erst verbreitet hat. Die Zahl der göttlichen
Wesen in unserer Mythologie, die mit Tieren und/oder unterschiedlichen
Geschlechtspartnern mit wechselnden sexuellen Identitäten
Körperflüssigkeiten austauscht, ist sehr hoch, hier sollten wir uns
vielleicht eher bedeckt halten. Zweitens ist der
Strohtod, eben jener Tod, der nicht im Kampf erfolgt, dem Asatru ein
Gräuel. Natürlich sind wir trotzdem in der Überzahl übergewichtig,
unsportlich und unbewaffnet, aber man darf ja träumen, aber realistisch
sollte man sich vor Augen halten, dass der Tod im Kampf für einen
Menschen für heute in Mitteleuropa aktuell eher unwahrscheinlich ist,
wenn die Zombie-Apokalypse nicht erfolgt. Drittens sollten wir
nie vergessen, dass unsere Stärke auf den Taten von und Geschichten über
„behinderte Götter“ beruht. Der Einsatz von Körperteilen als Pfand
spielt mit der Gesundheit oder gar Leben des Gottes, der etwas opfert,
um etwas zu erlangen – analog zu der Asatru-Fragestellung „wem opferst
du“ statt des verbreiteten mitteleuropäischen „an wen glaubst du“. Unsere Götter sind
divers und sie sind ohne Angst, wenn es um körperliche Benachteiligungen
geht – denn zu denjenigen, die selbst „verstümmelt“ sind kommen alle
jene, die trotzdem mit einem (oder mehreren) von ihnen Sex haben. Da
kommt schon was zusammen in der Menge. Das liegt daran, dass wir es hier
mit einem toleranten Pantheon zu tun haben, das in seiner geschilderten
Entwicklung Bündnisse und Verträge immer wieder neu verhandelt, wenn
auch zum Teil – wie man aus den vielen Rätselsprüchen lernt – in einem
lebensgefährlichen Diskurs. Fazit
Das rat‘ ich dir
neuntens, nimm dich des Toten an, Wo du im Feld ihn
findest, Sei er siechtot oder
seetot Oder am Stahl
gestorben Sigrdrifumal „Das
Lied von Sigrdisa“ Mein Ziel war die
Anregung zum Nachdenken entlang von bisher nicht beachteten
Wegmarkierungen. Dabei waren zwei Dinge vorher klar: Weder Medizin noch
Politik sind Fachgebiete des Asatru. Ich kann nur eine
Diskussion anregen, in der es um die Frage geht, welchen Bereichen und
Fragestellungen wir uns in den nächsten Jahren zuwenden müssen. Die
Schließung der christlichen Kirchen während der Pandemie, der völlig
Rückzug dieser aus Verkündung und Seelsorge hat bewiesen, dass diese
Felder von den Kirchen längst nicht mehr „bespielt“ werden, sonst hätte
ihr Rückzug aus ihnen mehr Ärger ausgelöst. Diesen Ärger gab es aber
nicht. Das heißt jetzt
nicht, dass wir diese Lücke füllen sollen – immer daran denken: wir
missionieren nicht, wir werden gefunden. Aber wir können beobachten,
dass hier von den Kirchen geräumte Themenfelder liegen, die wir selbst
„beackern“ müssen. Da wären zum Beispiel die Seelsorge bei Krankheit und
die Sterbebegleitung zu nennen, der Umgang mit Trauer und Tod samt
Organisation von heidnischen Beerdigungen. Wir hatten Glück: Es konnte
hier zu keinem Vertrauensverlust in die „Alte Sitte“ kommen, weil wir
vorher hier nicht präsent waren. Aber wenn wir uns jetzt nicht
vorbereiten, dann stellen wir uns der Verantwortung nicht, beim ersten
Tod in unseren Reihen im Rahmen der Pandemie in der Lage zu sein, auf
diesen Tod zu reagieren. Wir brauchen Rituale – und dankenswerterweise
haben wir als „Eldaring“ gerade in diesen Tagen ein „Ritualbuch“
veröffentlicht, das ich für einen unverzichtbaren ersten Schritt in
diese Richtung halte. Ebenso brauchen wir
eine Diskussion über unsere Erwartungen an das Nach-Leben. Auf der einen
Seite praktizieren wir eine Ahnen-zentrierte Religion, die wir immerhin
schon so weit definiert haben, dass es nicht nur um persönliche Ahnen
geht, sondern um eine „Ahnenfeld-Erweiterung“ auf Vorbilder, Vorfahren
und Vorgänger. Aber die Integration von akut Verstorbenen in das
Ahnenfeld verändert die Wahrnehmung dieser von einer abstrakten zu einer
realen Gruppe; mit dieser Veränderung müssen wir uns beschäftigen, bevor
sie geschieht. Und wir brauchen
Verträge miteinander – Patientenerklärungen, Vollmachten, Testamente,
aber auch eine Einigung über den Zusammenhang von Schweigepflicht und
Seelsorge gekoppelt an die Frage, ob wir hier eigene Begrifflichkeiten
entwickeln müssen, um uns selbst positiv zu definieren. Auf Isländisch heißt
Seelsorge Sálgæsla, Schweigepflicht (eigentlich: Vertraulichkeit) heißt
Trúnaður. Das mag jetzt lächerlich oder respektlos klingen, ist aber
tatsächlich positiv gemeint. Wir müssen uns nicht abgrenzen vom
Christentum, wir müssen deren Begriffsfestlegungen eingrenzen und selbst
Dinge aktiv definieren und formulieren, wenn wir eine zukunftsfähige
Religion von gesellschaftlicher Bedeutung werden wollen. Wenn wir
wollen, dass unsere Kinder und alle, die nach uns kommen, eine
zukunftsfähige Glaubensgemeinschaft erben, dann müssen wir uns jetzt
bewegen, weil die Gegenwart unserer Kinder ist unsere Zukunft. Und abschließend:
Wir dürfen nicht aufhören, miteinander in der Auseinandersetzung zu
bleiben. Wir sind als aktive Glaubensgemeinschaft zu jung, um schon
alles geklärt zu haben – und wo gehobelt wird, da fallen Späne. Ein paar Beispiele. Wie gehen wir mit
der Frage von Erwerb beziehungsweise der Gefahr von Arbeitslosigkeit um?
Welche Rolle spielt eine erfüllende Beschäftigung für unser Weltbild und
was sind wir bereit zu tun, um sie zu garantieren? Unterwerfen wir uns
dem Staat und beugen wir – wie andere Religionsgemeinschaften – den
Nacken oder gibt es Themen, bei denen wir uns wehren müssen, weil sie
Kernbereiche der „Alten Sitte“ berühren oder gar bedrohen? Als letztes die
Frage nach den letzten Dingen, nämlich jene, die nach dem „wie wollen
wir leben“ kommen muss: Wie wollen wir sterben? Wie möchten wir in
Erinnerung bleiben? Wie stellen wir uns das Alter vor? Ist unser Ziel
eine gemeinsame Wohngemeinschaft auf einem großen Hof, wo 40 Heiden
gemeinsam leben, jede Woche sumbeln und bloten, den Rest der Woche
schaut man gemeinsam Spiele-Shows oder spielt „Mau Mau“ im
Gemeinschaftsraum? Oder melden wir uns alle mit 65 bei der
Fremdenlegion, um im Kampf und damit analog zu einem brennenden
Wikingerschiff unterzugehen? Egal wie wir sterben
– wie stellen wir sicher, dass die Nachricht von unserem Tod und unsere
Wünsche zur Trauerfeier an jene kommuniziert werden, die wir vielleicht
nur bei größeren Treffen sehen, die aber trotzdem für unsere heidnische
Herzensangelegenheit von größter Bedeutung sind? Ich habe nicht auf
viele Fragen allgemeingültige Antworten. Aber ich werfe meinen Hut in
den mit blutigen Sägemehl gefüllten Ring der Diskussionsteilnehmer, um
anzuzeigen, dass ich mich der Auseinandersetzung stelle. Und um es
abschließend noch einmal klar zu sagen: Ich bemitleide jene,
die glauben, sie hätten Antworten, die sich aber noch nicht einmal
einigen können, wie die Frage heißt. Ich bemitleide jene,
die an mutige Gottheiten glauben, aber dem anderen nicht ins Gesicht
sagen können, was sie von ihm halten, und dies lieber online und/oder
hinter dem Rücken tun. Ich bemitleide jene
die glauben, dass Corona das Thema der letzten Monate war. Viel
interessanter ist doch die Frage, über was wir nicht geredet haben, was
nicht berichtet wurde und: Wem nützt es? Enden möchte ich,
wie ich angefangen habe: mit dem Havamal: Witz bedarf man auf
weiter Reise; Daheim hat man
Nachsicht. Zum Augengespött
wird der Unwissende, Der bei Sinnigen
sitzt. Havamal „Des Hohen
Lied“ Hermann Ritter Anmerkungen
Alle „Edda“-Zitate
nach Neckel, Prof. Dr. G. (Hrsg.) „Die Edda übertragen von Karl Simrock“,
Berlin, 1927
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