Homo Magi - Teambeitrag

Singvøgel, Drei

CD, Dezember 2007

"Ich bin ein Monster!"

Genauer gesagt bzw. gesungen: "Ich bin ein Monstääär, tief unten im Meer, und keine Sonne scheint zu mir her!"
Womit klar sein dürfte, dass es jetzt nicht um einen Online-Stellenmarkt geht, sondern um ein Lied. Ein Lied aus einer sehr hörenswerten neuen CD, die den schlichten und dabei so wahren, programmatischen und bedeutungsschwangeren Titel "drei" trägt.

Wie ich schon mal erwähnte, profitierten die "Singvøgel" live sehr von der Erweiterung zum Trio durch Sven als Drummer und Percussionist. Sie klingen mit Sven dichter, voller, dynamischer und oft deutlich rockiger.

Auch wenn die Singvøgel auch als Duo wegen ihrer enormen instrumentellen Bandbreite nie das Klischee der "Liedermacher mit Klampfe" erfüllten, unterscheidet sich "drei" in der musikalischen Ausführung deutlich von den beiden Vorgängern Hart am Rande und Lieder sind. Wenn es im Promotion-Text heißt:

Zwei Männer und eine Frau – aber mehr Instrumente als eine 6-köpfige Rockband
so ist das kaum übertrieben. Die nüchterne Information
Karan – Gesang, Gitarren, E-Bass, Querflöte, Orgel, Klavier
Duke Meyer – Gesang, E-Bass, Syn-Bass, Gitarren
Sven Scholz – Schlagzeug, Percussion
gibt längst nicht alles wieder, was auf "drei" zu hören ist.
An dieser Stelle ist ein Lob an Andy Stadelmann angebracht, der nicht nur E-Bass und Viola spielte, sondern zusammen mit Duke die Abmischung und Produktion der CD übernahm. Auch wenn man es angesichts der auf hohem professionellen Niveau stehenden Produktion kaum glaubt: Dukes "Technoschamanenhöhle" alias "Echsenflug Studio" ist weit von den Möglichkeiten eines modernen kommerziellen Aufnahmestudios entfernt!

Die stilistische Bandbreite der "Singvøgel mit dem schrägen ø " ist ebenfalls weit gespannt. Nach eigenen Angaben ist ihr musikalischer Nenner ist Unberechenbarkeit: Folk, Rock, Pop, ein Hauch von Punk. Allerdings neigt sich die stilistische Waage auf "drei" deutlich in Richtung "Rock und Pop". Manche Fans mögen bedauern, dass "die Singvøgel" damit näher am "Mainstream" und "irgendwie kommerzieller" geworden sind - ich setze dagegen, dass die Band damit voll hallen- und festivaltauglich geworden ist. Nach meinem Dafürhalten sogar voll radio- und fernsehtauglich - "die Singvøgel" haben enormes Potenzial (und das meine ich erst).
In ihren jeweiligen Kompositionsstilen blieben sich Duke und Karan treu. Auch wenn sich längst nicht mehr, wie noch auf "Hart am Rande", deutlich zwischen "Karans Liedern" und "Dukes Liedern" unterscheiden lässt.

Inhaltlich sind die Texte lebensnah - und hoch sprituell. Wer bei "spiritueller Rock- und Popmusik" einerseits an Gospels und Soulmusik mit religiösen Texten, andererseits an sphärische "New Age"-Musik dachte, muss bei den "Singvøgel" dazulernen. Fast alle Titel sind von einer heidnisch-mystischen Weltsicht durchdrungen, einige haben einen deutlichen Bezug zum "heidnisch-germanischen", genauer gesagt zu Ásatrú. Was wenig mit nostalgischem Germanenkult oder Wikinger-Reanactment, überhaupt nichts mit "völkischen" bis rassistischen Machtphantasien von der "Überlegenheit der Germanen" und sehr viel mit einer mitten im Leben stehenden gelebten Spiritualität, mit einer pragmatischen Romantik, mit gut in der Moderne verwurzelter Naturmystik zu tun hat. So mischen sich in den Versen der "Singvøgel" Sehnsucht und Wut, Mythos und Alltag - meistens romantisch, manchmal provozierend.

Zu den Titeln:
"Drei Worte" - beschreibe ich - völlig subjektiv - als Mischung aus eingängigem Popsong und tiefsinnigem Liebes-Chanson. Es geht übrigens um Freyja, in ihrer Funktion als Liebesgöttin. Aber das ist zum Verständnis nicht unbedingt nötig.
"Weiter Horizont" - obwohl sehr "poppig" arrangiert, liegt dieses von Karan getextete und gesungene Lied sehr viel näher am inhaltsreichen, intelligenten Chanson als am Schlager. Vergleiche mit "Rosenstolz" drängen sich mir auf.
"Zentaurentraum" - ist mein Lieblingstitel auf "drei". Dukes neuromantisches (neuro-mantisches - neu-romantisches?) Lied, irgendwo in der Galaxis zwischen E.T.A. Hoffmann, R. M. Rilke und William Gibson angesiedelt, ist schon älter. Das neue Arrangement, mit Querflöte, Bass und Schlagzeug bringt Dukes manchmal surrealen Verse zum Strahlen.
"In dir drin" Ein ruhiges, nachdenkliches Duett Karans und Dukes, mit einem pathetischen, aber nicht übertrieben kitschigem, Arrangement - meiner Ansicht nach ein heißer Kandidat für einen "Feuerzeug-Schwenk"-Song.
"Haut an Haut" - ein ebenfalls ruhiger, aber eher "jazziger" Chanson, der Karans beachtliche gesangliche Qualitäten zeigt.
"Totengott-Ballade". Dukes Ballade auf Wotan - oder Odin - ist ein zorniger Abgesang auf Germanentümelei, Nazi-"Germanenkult" und den Missbrauch germanischer Mythologie für rassistische, nationalistische und gewalttätige Politik. (Und eine deutliche Warnung an alle "Odin statt Jesus"-"T-Hemd"-Träger: ein wütender Totengott lässt sich nicht instrumentalisieren. Schon gar nicht in "Religionskämpfen" mit antisemitischen Untertönen. Wer Wotan säht, wird Sturm ernten!)
"Irgendwann" ist auch ein politisches Lied, ein flotter, tanzbarer Boogie-Woogie von Karan - mit konkreten Hinweisen, was man im Alltag anders machen kann, damit sich was ändert.
"Hou, hou, hou" - von Text und Melodie deutlich "folkiger". Ein "Mutmacher"-Duett: "Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum".
"Worte voller Licht" Ein melancholisches Lied Karans, mit einem überraschend un-melancholischem Abschluss.
"Monster" Karan kann auch anders - zum Beispiel fast im Nina Hagen-Stil loskreischen "Ich bin ein Monstäär!". Ein Titel mit Punk-Anklängen und gnarzig verzerrter Gitarre. Der Text ist eine kluge Allegorie, die mindestens 5000 m tief sein dürfte.
"Großer Donner". Der Anfang erinnert mich ein wenig an die Titelmelodie eines Karl-May-Films - aber es geht nicht um einen Indianerhäuptling, sondern um den Donnergott, Gott der Fruchtbarkeit und Beschützer der Menschen vor den Naturgewalten, Thor.
"Immer schon dort" - Eine beinahe klassische romantische Ballade. Der Refrain "Und wird auch Geschichte geschrieben / mit Kriegen, Intrigen und Mord / überdauern dies doch, die sich lieben: / Immer schon waren sie dort" kann als Kommentar zur "üblichen" Geschichts-Vermittlung zwischen dröger Geschichtsstunde und aufgebrezeltem Guido-Knopp-TV gesehen werden.
"Im Flammen" - Das einzige Stück, von dem ich etwas enttäuscht bin, trotz des hervorragenden Textes und der eingängigen und stimmungsvollen Melodie. Mein Problem resultiert daraus, dass ich zu dem kraftvollen, rebellische, ekstatischen Text (" Wir sind in Flammen / setzen die Nacht in Brand / und das geschriebene Wort / wird Gesang. Aus unsern Trommeln / donnert die wilde Jagd / und galoppiert bis der Morgen erwacht") keine so langsame und melancholische Melodie erwarte. Ich kann mir denken, weshalb sich Karan für genau diese Melodie entschied, ich hätte mich anders entschieden.
"Reich mir die Hand" - Der letzte Titel erfüllt endlich die Vorstellungen all jener, die bei einer Ásatrú-Band automatisch an Wikinger-Songs denken. "Reich mir die Hand" handelt - jedenfalls vordergründig - von Gefährten, die auf Wiking gehen, wobei einiges nicht so gut verläuft, weshalb sie ums Überleben kämpfen müssen. Im übertragenenen Sinne auf jede Gemeinschaft, die gegen (scheinbar) übermächtige Gegner und (scheinbar) unüberwindliche Gefahren angeht. Wobei es auf jeden Einzelnen ankommt und jder für jeden da ist: "Wer jetzt noch dabei ist / weiß nur, dass er frei ist / und eins ist gewiss: es gibt kein' Ersatzmann!"
Ein Lied, dass neben dem "Sonnenrad-Song" und "Freundchen!" ihren Platz unter den "Kampfgesängen" der "Nornirs Ætt" findet. (Der Selbstbeschreibungs-Rap: "Wir sind die Nornirs Ætt" geht ja in eine ganz andere Richtung .)

Auch ja: bestellen kann man "drei" hier. Schon mal anhören kann man "drei" hier. Und die Termine der nächsten Live-Auftritte der "Singvøgel" erfährt man hier.

Martin Marheinecke, Dezember 2007


Website der Singvøgel: http://www.singvoegel.com/
Website von Duke Meyer: http://www.eibensang.de
Website von Karan: http://www.troubadoura.de/
Website von Sven Scholz: http://www.svenscholz.de/

 

 

 

 


 

 

 

       

 

 

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