Das Voynich-Manuskript ist eins der wohl rätselhaftesten Schriftstücke der Geschichte. Es wurde in einer unbekannten Schrift und in einer unbekannten Sprache verfaßt. Bis heute ist es niemandem gelungen,
die 232 Seiten zu entziffern. Selbst Experten des amerikanischen
Geheimdienstes NSA, welcher weltweit auf dem Gebiet der Kryptographie
führend ist, bissen sich am Voynich-Manuskrpit die Zähne aus.
Die Geschichte des Voynich-Manuskripts
Das Manuskript ist benannt nach seinem "Finder"
Wilfried M. Voynich, einem Sammler alter Schriftstücke. Er entdeckte das Manuskript 1912 im Jesuitenkolleg in der Villa Mondragone, Frascati (Italien). Seit 1969 ist das Manuskript im Besitz der Yale Universität (Beinecke Rare Book Library, Katalognr. MS 408).
Das Alter des Manuskripts war lange Zeit
unbekannt. Erst im Dezember 2009 ergab (laut
Telepolis) eine Radiokarbon-Datierung, dass das Pergament, aus dem
das Manuskript besteht, mit sehr
großer Wahrscheinlichkeit zwischen 1404 und 1438 entstanden ist. Eine
Untersuchung des McCrone-Instituts in Chicago zeigte weiterhin, dass die
Tinte relativ kurz nach der Herstellung des Pergaments aufgetragen
worden sein muss. Der
Verfasser ist bisher nicht bekannt.
Aus einem Brief, geschrieben von J.M. Marci im Jahre 1665/66, wissen wir,
dass
Kaiser Rudolf II (1552-1612) das Manuskript von einem unbekannten Händler für die damals exorbitante Summe von 600 Golddukaten
käuflich erworben hat. 1608 kam das Werk dann in den Besitz von
Jacobus de Tepenecz,
dem Direktor von Rudolfs botanischen Gärten. Nach de Tepenecz Tod im
Jahre 1644 gelangte das Voynich-Manuskript in den Besitz des Alchimisten
Georg Baresch. Dieser schickte eine Kopie der Manuskriptseiten an
Athanasius Kircher, Jesuit und Gelehrter in Rom; einer der führenden
Kryptographie-Experten der damaligen Zeit. Kircher scheint jedoch
niemals auf Bareschs Anfrage reagiert zu haben. Nach Bareschs Tod erbte
der böhmische Arzt und Naturwissenschaftler
Johannes Marcus Marci das Manuskript und sandte es zusammen mit dem
o.g. Brief an Kircher. Kircher reagierte diesmal; er analysierte einen Teil des Manuskripts, konnte es aber offensichtlich nicht entziffern.
Hier verliert sich die Spur des
Voynich-Manuskripts zunächst. Der genaue Weg von Kircher zur Villa
Mondragone ist unbekannt; man nimmt an, dass das Manuskript wohl eine Zeitlang in einer römischen Bibliothek gelagert wurde, bis es in die Villa Mondragone kam.
Der Inhalt
Wie bereits oben geschrieben, ist das gesamte Manuskript in einer unbekannten Schrift geschrieben, für die es nirgends auf der Welt ein Gegenstück gibt. Daher kann man über den Inhalt nur mutmaßen.
Das Manuskript ist jedoch sehr reichhaltig - und farbig - illustriert, wie
die Seiten der Voynich
Manuscript Photo
Gallery zeigen.
Anhand der Illustrationen wird das Manuskript grob in die folgenden Abschnitte unterteilt (nach G. Landini und R. Zandbergen):
-
Ein Abschnitt über Kräuterkunde ("Herbal Section"), zumeist bestehend aus nicht identifizierten
Pflanzen
-
Ein Abschnitt über Astronomie mit
Tierkreis-Symbolen
-
Ein Abschnitt über Biologie mit "anatomischen" Abbildungen und nackten menschlichen, meist weiblichen, Figuren, den sog.
"Voynich-Nymphen"
-
Ein kosmologischer Abschnitt (Sterne und Himmelssphären)
-
Ein pharmazeutischer Abschnitt (Vasen und Pflanzenteile)
-
Ein Abschnitt mit "Rezepten", der
aus vielen kurzen Absätzen besteht
Wie
gesagt, dies ist eine reine Einteilung anhand der Illustrationen. Da der Inhalt bisher völlig unbekannt ist, ist nicht auszuschließen,
dass die
hier aufgeführte Einteilung der Abschnitte mit dem Wortlaut des Textes in
keinem Zusammenhang steht.
Ergebnisse
bisheriger Untersuchungen
Es
wurden bereits mehrere Anläufe gemacht, den Sinn des Voynich-Manuskripts
zu ergründen.
Das erste ist eine Analyse der
Handschriften. Diese ergab, dass der Text mit großer Wahrscheinlichkeit
von mindestens zwei Personen geschrieben wurde. Beide Verfasser sind mit
großer Sorgfalt vorgegangen. Man findet praktisch keinerlei Hinweise auf
Nachbesserungen im Manuskript, wie sie sonst in vielen mittelalterlichen
handschriftlichen Dokumenten gang und gäbe sind. Das legt die Vermutung
nahe, dass das Manuskript die Abschrift eines älteren Dokumentes, oder
mehrerer älterer Dokumente, ist. Wäre es eine Urschrift, so wären
garantiert mehr Fehler zu finden.
Als nächstes bietet sich eine Analyse
der Häufigkeit der verschiedenen Zeichen an. Dadurch läßt sich die
Entropie eines Textes ermessen. Eine solche Analyse ergab, dass die
Entropie des Textes größer ist als bei allen bisher bekannten
europäischen Sprachen. Das spricht dafür, dass es sich um sinnvollen
Text handelt, und nicht etwa um eine rein zufällige Aneinanderreihung
wirrer Symbole. Vor allem kann dadurch ausgeschlossen werden, dass das
Voynich-Manuskript ein Schwindel ist. Die Entropie liegt nahe bei der
Entropie einiger polynesischer Sprachen, so dass bereits vermutet wurde,
dass die Sprache des Manuskripts eine polynesische ist. Deutet man jedoch
die Zeichen des Manuskripts als Buchstaben und die Leerstellen als
Worttrenner, so ist die mittlere Länge eines Wortes
kürzer als
bei allen bekannten Sprachen. Das wiederum spricht u.a. gegen Polynesisch.
Es wurde auch bereits vermutet, dass der Text ohne Vokale aufgeschrieben
wurde, wie es etwa bei alten hebräischen Texten der Fall war. Dadurch
wäre die kurze Wortlänge erklärbar.
Aufgrund von unterschiedlichen
Worthäufigkeiten in den verschiedenen Abschnitten sprachen mehrere
Forscher die Vermutung aus, dass das Manuskript nicht in einer, sondern in
zwei verschiedenen Sprachen verfaßt wurde bzw. dass zwei verschiedene
Codes verwendet wurden.
Andere Forscher setzten bei den
Illustrationen an. Der botanische Teil jedoch widersetzte sich einer
Analyse. Bis heute konnte der Großteil der abgebildeten Pflanzen nicht
identifiziert werden.
Es fällt jedoch auf, dass bei vielen Seiten des botanischen Abschnitts
das erste Wort nur am Anfang der Seite vorkommt und sonst nirgends. Dies
deutet darauf hin, dass es sich um den Namen der Pflanze handeln könnte.
Da jedoch, wie oben gesagt, die meisten der abgebildeten Pflanzen bisher
nicht eindeutig bestimmt werden konnten, hilft diese Erkenntnis beim
Entschlüsseln ebenfalls nicht weiter.
In der Astronomie-Sektion des
Manuskripts hatte man mehr Erfolg. Immerhin konnten alle zwölf
Tierkreiszeichen einwandfrei identifiziert werden. Anhand der Bilder zu
den Tierkreiszeichen stellte man fest, dass es sich um die im westlichen
Kulturkreis gebräuchlichen Sternbilder handelt. Das ist ein weiteres Indiz dafür,
dass das Voynich-Manuskript wohl in Europa entstanden ist. Auffällig ist,
dass der Tierkreis mit dem Sternzeichen Fische beginnt, und nicht mit dem
Widder, wie man erwarten würde.
Eins der Symbole, das in der
Astronomie-Sektion häufig als erstes Zeichen eines Wortes steht, wurde
als Vorsilbe "al" gedeutet. Diese Vorsilbe kommt in vielen
Sternennamen vor, da viele Bezeichnungen für Gestirne aus dem arabischen
Sprachraum stammen (Beispiel: Aldebaran, der Hauptstern des Stiers).
Im "anatomischen Abschnitt"
wird vermutet, dass es sich bei den abgebildeten "Röhren" um
innere Organe handelt. In diesem Abschnitt gibt es ein weiteres Indiz
dafür, dass der Ursprung des Voynich-Manuskripts in Europa zu suchen ist:
eine der "Nymphen" trägt einen Hut auf dem Kopf, der für
Florentiner Damenmode des 15. Jahrhunderts typisch ist.
Das wichtigste Indiz für den
Entstehungsort des Manuskripts befindet sich im "kosmologischen
Abschnitt". Hier sind auf einer Abbildung eingekerbte Zinnen (sog.
Schwalbenschwanzzinnen) zu sehen.
Laut dem o.g. Telepolis-Artikel deutet dies darauf hin, dass das
Manuskript in Norditalien entstanden ist.
Die Analyse der übrigen Abschnitte
brachte bisher nichts Verwertbares zutage.
Ist das Manuskript ein Schwindel?
Aufgrund der bizarren und einmaligen
Natur des Voynich-Manuskripts kam bereits sehr früh der Verdacht auf,
dass das Manuskript eine Fälschung sei. Zuerst stand Wilfried Voynich
selbst im Verdacht, das Werk gefälscht zu haben; aufgrund der o.g.
Altersbestimmungen des Pergaments kann dies jedoch ausgeschlossen
werden.
Nach wie vor möglich wäre es jedoch, dass
das Manuskript insofern ein Schwindel ist, als dass der Text gar nichts
bedeutet. Diese Theorie erhielt 2003 neuen Auftrieb durch eine
Untersuchung des Computerexperten
Gordon Rugg. Rugg zeigte, dass durch Anwendung eines
Cardan-Gitters sinnloser Text erzeugt werden kann, der eine ähnliche
Entropie aufweist wie der Text des Voynich-Manuskripts. Andere Autoren
vertraten jedoch die Ansicht, dass durch entsprechende Cardan-Gitter die
Entropie praktisch jeder natürlichen Sprache simuliert werden könnte.
Darüber hinaus spricht gegen Ruggs Hypothese, dass der Mathematiker
Gerolamo Cardano das nach ihm benannte Gitter erst um 1550 erfand,
das Pergament des Manuskripts jedoch bereits zwischen 1404 und 1438
hergestellt wurde (s.o.).
Das Fazit ist ernüchternd: bis
heute ist nicht einmal zweifelsfrei geklärt, ob die Zeichen eines
Voynich-Wortes für einzelne Buchstaben oder für ganze Silben stehen. Bis
auf die Vorsilbe "al-" gibt es keinen Hinweis auf die Bedeutung
einzelner Zeichen, und selbst "al-" wird von einigen Forschern
bezweifelt.
Die Analyse der Illustrationen lässt
vermuten, dass das Manuskript in Europa - genauer: in Norditalien -
entstanden ist. Auch der Entstehungszeitraum konnte inzwischen auf die
Zeit zwischen 1404 und 1438 eingegrenzt werden, durch eine Untersuchung
der verwendeten Tinte.
Aber die eigentliche Bedeutung des
Voynich-Mansukripts ist bis heute unbekannt, das Rätsel auch nach
Jahrzehnten der Forschung ungelöst.
Volkmar
Kuhnle
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