Homo
Magi - Teambeitrag Die Erfindung des Hexereidelikts Essai von Martin Marheinecke Teil 5
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Justizmorde aus Eigennutz Erst jetzt, auf der Schwelle zur Neuzeit, war das “Feindbild Hexe” komplett. Der Hexenbegriff war ein Angebot an die Bevölkerung, Mitmenschen, die ihnen aus irgend einem Gründe nicht passten, mit Hilfe der Obrigkeit per Denunziation auf den Scheiterhaufen zu bringen. Immer einen Schuldigen bei der Hand zu haben war verlockend für das geplagte Volk - es fällt auf, dass die Scheiterhaufen in der Regel dort am heftigsten brannten, wo die staatliche Autorität am schwächsten war. Es war ausgerechnet die Inquisition, die in Spanien um 1500 eine von Teilen des Volkes gewünschte allgemeine Hexenverfolgung verhinderte. Während die politisch ohnmächtigen Kleinstaaten Deutschlands traurige Hochburgen der Jagd auf Unschuldige wurden, gab es in Gebieten mit intakter Verwaltung und Justiz kaum Verfolgung. Mit einigen bezeichnenden Ausnahmen: Religiöse Fanatiker auf Fürstenthronen, wie der Kölner Erzbischof und Herrscher über den größten Teil des heutigen Nordrhein-Westfalens, Ferdinand von Bayern (1577 - 1650), tyrannisierten und disziplinierten mittels Hexenverfolgung ihre Untertanen. Ferdinand gilt als eifrigster regierender Hexenbrenner. Aber auch unter protestantischen Herrschern gab es Hexenjäger aus Kalkül. Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel gründete seine noch heute berühmte Bibliothek, später Wirkungsstätte des Philosophen Leibnitz, unter anderem aus dem beschlagnahmten Vermögen als Hexen verurteilter Frauen. Wie Neid und Besitzgier ja auch ein wesentliches Motiv der Hexenverfolgung “von unten” war. Andere Hexenverfolger aus Eigeninteresse waren der Arzt Paracelsus (1493 - 1541), dem man allerdings zugute halten muss, dass er selber unter Hexereiverdacht stand, und der “Mitbegründer des wissenschaftlichen Denkens”, der Politiker und Philosoph Francis Bacon (1561 - 1626). Der Verdacht, die frühneuzeitlichen Ärzte hätten mit dem Hexerverdacht gegen Hebammen und Kräuterfrauen vor allem unliebsame Konkurrenz ausgeschaltet, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Das Patriarchat beseitigte in der frühen Neuzeit auch mittels Hexenjagd die letzten Nischen, die selbstbewussten Frauen noch geblieben waren. Auch weltanschaulich unbequeme Männer wie der Naturphilosoph und Astronom Giodarno Bruno wanderten wegen Zauberei auf den Scheiterhaufen. In den zahlreichen Religionskriegen des 16.und 17. Jahrhunderts lieferte der Hexereivorwurf an den Feind propagandistische Munition. Erst im 18. Jahrhundert geriet das Hexereidelikt außer Mode, mit der Ausnahme einiger rückständiger Regionen. Das lag außer an der vielgerühmten Aufklärung wohl daran, dass in den immer straffer durchorganisierten Staaten des späten Absolutismus eine Hexenjagd von “unten” nicht mehr möglich, eine von “oben” nicht mehr nötig war. Für den Obrigkeitsstaat gab es ja überreichlich neue “Volksfeinde”: Juden, Freimaurer, Demagogen, ausländische Agenten usw. usw. . Das Hexereidelikt der Verfolgungszeit war eine Erfindung des 15. Jahrhunderts. Es verband die in der Ketzerverfolgung der Inquisition gewonnenen “Erkenntnisse” über teuflische Verschwörungen mit Vorstellungen aus der Glaubenswelt der Bevölkerung, deren Wurzeln bis in sehr alte Schichten des europäischen Schamanimus zurückreichten. Ohne die geistige Wende zur Neuzeit ist das Hexereidelikt nicht zu verstehen. Martin Marheinecke, Juni 2002
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