Homo Magi - Teambeitrag

Die Erfindung des Hexereidelikts

Essai von Martin Marheinecke

Teil 4

 

Traditionelle Magievorstellungen während der Hexenverfolgungen

Nicht zufällig fällt der Beginn der Hexenverfolgung mit der Zeit der großen Pest Mitte des 14. Jahrhunderts zusammen. Die größte Verfolgungswelle überhaupt brach in Deutschland sogar erst um 1580 aus, als Missernten und Misswirtschaft das Wirtschaftssystem der Renaissance zusammenbrechen ließen.

Entgegen der populären Vorstellung, dass die Hexenjagd vor allem von der kirchlichen Obrigkeit aus ging, kamen die Impulse für die Verfolgung von unten, aus dem Volk. Seit jeher war es üblich, Übelstände, die man sich nicht erklären konnte, auf Schadenzauber zurückzuführen und eigenes Ungemach auf “üble Mächte” zu schieben. Da im Volksrecht für eine Anklage gegen einen Schadenzauberer, modern gesprochen, die Beweislast beim Ankläger lag, und die Kirche jede Beschäftigung mit Magie missbilligte, führte der volkstümliche Magieglaube, der im Laufe der Zeit immer mehr zum Magie-Aberglauben degenerierte, normalerweise nicht zur Hexenverfolgung. Ging es dem Volk gut, hielt sich die Hexen-Hysterie in Grenzen. In “guten Zeiten” liefen die meisten Hexenprozesse der Verfolgungszeit nach wie vor nach dem Schema der traditionellen Schadenzaubervorstellungen ab: In aller Regel führte ein Alltagskonflikt zum Schadenzauberverdacht, wobei die Grenze zwischen natürlichen Verbrechen, etwa Giftmord, und magischen Verbrechen fließend verlief. Wegen der schwachen Rechtsposition der Frauen fielen sie leichter auch grundlosen Verdächtigungen zum Opfer als Männer. Erst wenn es zum Prozess kam, wurden sie in vollem Umfang mit dem frühneuzeitlichen Hexenbild konfrontiert. Unter der Folter bejahten die Angeklagten das vorgefertigte Frageschema über Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft, Hexenflug und Hexensabatt.

In Krisenzeiten war das anders. Im mittelalterlichen Weltbild unterlag alles Heil und Unheil Gottes unerforschlichem Ratschluss, Unheil und Ungerechtigkeiten hier und da war unvermeidliche Folge von Gottes Plan, das Heil der gesamten Christenheit zu fördern. Pest und klimatisch bedingte Missernten waren aber Katastrophen bisher nicht geahnten Ausmaßes. Natürliche Ursachen waren nicht erkennbar. Das kindliche Gottvertrauen der Bevölkerung zerbrach. Ein Teil der Bevölkerung reagierte traditionell, sah das Unheil als verdiente Strafe Gottes, reagierte mit Selbstvorwürfen, Bußübungen, Selbstgeißelungen. Aber das Selbstbewusstsein vor allem der städtischen Bürger war gewachsen, ließ demütiges Akzeptieren von Leiden nicht länger zu. Man suchte für alles Übel einen Urheber, dessen systematische Ausrottung Leidensfreiheit garantieren sollte. Juden, Ketzer, Andersgläubige boten sich an, wurden brutal verfolgt. Aber an allem Unheil konnten sie nicht schuld sein, dazu fehlten ihnen die Möglichkeiten. Die hatte nur der Teufel. Die Teufelsbuhlerin, die Hexe wurde zur idealen Projektionsfigur, zum Allzweck-Feindbild in schweren Zeiten. Kein Wunder, dass Hexenjagden äußerst populär waren!

Die Rolle der Kirche

Der Impuls zur Hexenverfolgung ging also vom Volk aus. Dennoch lag der Historiker Joseph Hansen nicht falsch, als er um 1900 schrieb: “Die Geißel der Hexenverfolgung ist von der Theologie der christlichen Kirche geflochten worden.” Ohne die Theologie Thomas von Aquins kein frühneuzeitliches Hexenbild, ohne Ketzerverfolgung kein Inquisitionsprozess und keine systematische Folter. Die Hexenverfolgung war eine Volksbewegung, aber die Theologie lieferte die Rechtfertigung und gab ihr die Form. Der Glaube an Schadenzauber ist beinahe weltweit verbreitet, die systematische, ausgedehnte Verfolgung von Zauberern und Hexen war geographisch auf jenes Gebiet beschränkt, das vor der Reformationszeit der Autorität der römisch-katholischen Kirche unterstand. Weder in Gebiet der griechisch-orthodoxe Kirche, noch im koptischen und kleinasiatischen Christentum gab es Hexenjagden. Es spricht auch für eine Mitschuld der Kirche, dass die ersten großen Hexen-Verfolgungswellen dort ausbrachen, wo zuvor “Ketzer” verfolgt wurden.

Es waren auch Theologen, die die diffuse Ängste der Bevölkerung, ihren projektiven Hass, auf einen bestimmten “Täterkreis” kanalisierten. Mit der von Papst Innozenz VIII. unterzeichneten “Hexenbulle” gab es ab 1486 einen kirchenoffiziellen Katalog der den Hexen vorgeworfenen Verbrechen. Durch Teufelsmacht und mit abscheulichen Hexenkünsten töten Hexen Kinder und junge Tiere, vernichten die Ernte, verbreiten Krankheiten, stören das eheliche Zusammensein von Männern und Frauen und verhindern die Empfängnis. Diese Bulle wurde in ihrer Wirkung ergänzt durch den berüchtigten Mallus Maleficiarum, den “Hexenhammer” des Dominikanerpaters Heinrich Kramer, genannt Institoris. (Sein “Co-Autor” Jacob Sprenger kann mit keinem Textteil des “Hexenhammers” in Verbindung gebracht werden, Kramer machte sich lediglich den guten Namen seines Ordensbruders zu nutze. Was nicht heißt, dass der prominente Inquisitor Sprenger an der Hexenhysterie völlig unschuldig gewesen wäre.)

Kramer gab eine konkrete Gebrauchsanweisung, wie ein guter Christenmensch Hexen unfehlbar aufspüren und überführen kann. Nicht zu vergessen, dass der “Hexenhammer” Kramers pathologischen Frauenhass zum maßgeblichen sittlichen Gebot erhob.

 

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