Homo Magi - Teambeitrag

Die Erfindung des Hexereidelikts

Essai von Martin Marheinecke

Teil 3

 

Vom Ketzerprozess zur Hexenverfolgung

Bis zum 11. Jahrhundert wurden Häresie - Ketzerei - wie auch Zauberei nur mit einfachen Kirchenbußen geahndet. Erst danach häuften sich die Ketzerhinrichtungen. Ursache waren blutige Kreuzzüge der Kirche und mit ihr verbundener Fürsten gegen Glaubensabweichler, die oft auch politische Dissidenten waren, wie die Hussiten in Böhmen oder die Albigenser in Südfrankreich. Teilweise wurden die religiösen Praktiken der “Ketzer” von der katholischen Kirche als Gotteslästerung gesehen, teilweise sagte man den Rebellen aus propagandistischen Gründen brutale Ritualmorde und teufelsbündlerische Praktiken nach - eine genaue Parallele zur Judenverfolgung der Kreuzzugszeit.

Die für die Aufdeckung von Ketzereien geschaffene Institution, die Inquisition, wurde ab dem 13. Jahrhundert zur eigentlichen Waffe der Kirche gegen die Zauberei. In mancher Hinsicht war das bald auch von weltlichen Gerichten übernommene Inquisitionsverfahren ein juristischer Fortschritt gegenüber dem sehr willkürlichen und oft auf Praktiken wie Gottesurteilen und Zweikämpfen zurückgreifenden mittelalterlichen Recht: Glaubwürdige Indizien, Zeugenaussagen und vor allem das Verhör des Angeklagten sollten zur “Wahrheitsfindung” dienen. Gemäß der Mentalität einer Zeit, in der die Ohrenbeichte zur Pflicht eines Christenmenschen erhoben wurde, galten Indizien wenig, Zeugenaussagen nicht viel, das Geständnis nahezu alles. Ohne das Geständnis des Angeklagten durfte bei Kapitalverbrechen kein Urteil gefällt werden. Damit geriet ein zuvor wenig benutztes Prozessmittel in den Vordergrund: die Folter. Vor allem bei Majestäts- und Ketzereiprozessen, bei denen es möglichst keine Freisprüche “mangels Beweisen” geben durfte, wurde fortan von der Folter reger Gebrauch gemacht. Ein Geständnis um jeden Preis war das Ziel des Prozesses, nicht mehr der Nachweis des Verbrechens, das bei Ketzereidelikten stillschweigend vorrausgesetzt wurde. Bei einem Ketzer stand de facto bei Anklage der Schuldspruch fest.

Das heißt nicht, dass damit sogleich eine allgemeine Hexenverfolgung einsetzte. In Deutschland bzw. im deutschsprachigen Raum gab es bis ins 15. Jahrhundert hinein fast nur traditionelle Zaubereiprozesse, bei denen es meist um Liebeszauber, aber auch um Schadenzauber gehen konnte. Zauberei ohne böse Absicht war im Sachsenspiegel (um 1225) noch nicht strafwürdig. Noch Anfang des 14. Jahrhunderts wurden Ketzerei, Zauberei und Strigenvorstellungen (wie auch Vampirismus, Wiedergänger, Werwölfe) gemeinhin getrennt gesehen.

Das änderte sich mit der systematischen Verfolgung der “Ketzer”. Nach der theologischen Doktrin gab es zwischen heidnischen Götzendienern, ketzerischen Teufelsanbetern und Zauberern keinen Unterschied. In der päpstlichen Bulle “Super illus specula” von 1326 wurden dann Ketzerei und Teufelspakt gleich gesetzt. Der religiöse und politische Gegner wurde damit im Wortsinn verteufelt.

Wie das Wort Hexe entstand

Ab dem Ende des 13. Jahrhunderts ist in Oberdeutschland das deutsche Wort “Hexe” nachweisbar. Hugo von Langenstein nannte in seinem Gedicht “Martina” eine übelwollende heidnische Zauberin so. Hexe leitet sich vermutlich von der germanischen Hagazussa, der Zaunreiterin, her. Die Hagazussa war aber keine Hexe, sie war eher eine Art Schamanin, die auf dem Zaun zwischen den Welten saß sowohl in die eine, wie die andere Wirklichkeit abtauchen konnte. Erst mit der Verteufelung alles Magischen konnte aus der Hagazussa eine Teufelsbündlerin, eine Übertäterin (“Malifica”), die Hexe werden. Wahrscheinlich wurde “Hagazussa” zur “Hexe”, weil die Gelehrten des hohen Mittelalters keine Runeninschriften lesen konnten. Im Futhark-Runen-Alphabet sehen die ersten vier Runen von “Hagazussa” - Haglaz, Ansuz, Gebo, Ansuz - in etwa wie die lateinischen Buchstaben H, E, X und E aus.

Maßgeblich für die Entstehung des Hexereideliktes war die Verfolgung der “ketzerischen” Waldenser in der heutigen Schweiz, Südwest-Deutschland, Südost-Frankreich und Norditalien im 14. Jahrhundert. Im Unterschied zu anderen “Ketzersekten” waren die Waldenser tief im Volk verankert, deshalb konnte jeder - der Nachbar, der Arbeitskollege, der Freund, selbst der eigene Sohn - insgeheim “Ketzer” sein. Die Folgen waren allgemeine Unterwanderungshysterie und von der Obrigkeit geschürte paranoide Verschwörungstheorien.

Zum ersten Mal tauchte der Begriff “Hexerey” 1419 in einem Strafprozess vor dem Luzerner Stadtgericht auf. Der voll ausgeprägte Hexenbegriff wurde nach neueren Untersuchungen erst während des Konzils von Basel (1431 - 1437) erfunden und in vergangen Zeiten zurückprojeziert. Das war die Grundlage der Legende von Hexen im “finsteren Mittelalter”. Auch die Bibelübersetzungen wurden von diesem Denken beeinflusst. “Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen.” So steht es im Buche Exodus (22,18) der Lutherbibel. Das hebräische Wort, das an dieser Stelle verwendet wird, ist wesentlich treffender mit “Giftmischerinnen” zu übersetzen. Auch in englischen, französischen und selbst lateinischen Bibelübersetzungen findet sich dieser “Fehler”.

Der Realismus und der Hexenflug

Ab dem 12. Jahrhundert setzte sich die realistische Auffassung der Welt und das aristotelische Weltmodell auch im allgemeinen Denken immer stärker durch: Es gab von nun an nur noch die normale, alltägliche Wirklichkeit und das mit irdischen Mitteln nicht erforschbare Jenseits. Das wird oft als Fortschritt des Denkens gesehen, bedeutete aber vor allem im Religiösen eine groteske Einengung. Wenn die Bibel wahr ist, dann muss sie in diesem Weltbild wörtlich wahr sein, sie konnte sich ja nur auf eine Wirklichkeit beziehen. Selbst “metaphorische” und “mythologische” Wahrheiten sind für einen Realisten im Sinne des späten Mittelalters nur Fiktionen - und Gott schreibt keine Romane! Die Theorie der “doppelten Wahrheit” nach der das, was für die Vernunft falsch ist, für den Glauben wahr sein kann, galt als häretisch.

(Realismus bedeutet in der scholastischen Philosophie vereinfacht gesagt: Das Allgemeine ist wirklich und die Allgemeinbegriffe existieren vor den Dingen. Es gibt nur eine Wirklichkeit, die konkreten Dinge sind von ihr abgeleitet. Die Gegenposition, der Nominalismus, lehrt, dass dem Allgemeinen keine Wirklichkeit zukommt, nur Dinge existieren, das Allgemeine ist nichts als ein in Grunde willkürlich vergebener Name. Beispiel: Für einen Realisten ist der Begriff “Bäume” ein wirkliches Ding, das das Wesen aller sinnlich wahrnehmbaren Bäume bestimmt. Für einen Nominalisten ist “Bäume” nur ein aus praktischen Gründen gewählter Ordnungsbegriff, in Wirklichkeit gibt es nur die konkrete Birke vor meiner Tür, die Buche drüben im Wald, die Fichte, die gestern gefällt wurde usw. . Obwohl der Nominalismus sich bis heute als der fruchtbarere Denkansatz erweist und eine philosphische Voraussetzung der modernen Naturwissenschaft ist, setzte sich in der frühen Neuzeit eher der Realismus durch - nicht zuletzt deshalb, weil der Nominalismus die Wirklichkeit der Dogmen und damit die Vorrangstellung der Kirche in Frage stellte.)

Die Folge dieses “Fortschritts” zu einer einzigen allgemeinen Realität war ein “Rückfall” in ein grotesk naives religiöses Denken: Die Hölle - eigentlich ein jenseitiger Strafrot - wurde buchstäblich unten, im Erdinneren, vermutet, der Himmel, das positive Jenseitsreich, oben über dem als Schale gedachten Sternenfirmament. Christi Himmelfahrt wurde als ein fahrstuhlähnlicher Vorgang betrachtet, die Jungfräulichkeit Marias (auch nach der Geburt!) für eine anatomische Tatsache gehalten usw.. In den extremeren Zweigen der katholischen Kirche und bei angeblich nüchternen protestantischen Fundamentalisten glaubt man dergleichen bis heute. Im magischen Weltbild ist alles, was geschieht, völlig natürlich, während das christlich-realistische Weltbild voller übernatürlicher Wunder steckt.

Das beeinflusste die Vorstellungen vom Hexenflug. Die alten Heiden wussten, dass bei den Reisen eines Schamanen der Körper in der “normalen” Welt an Ort und Stelle bleibt. Sie oder er reisten eben in einer anderen Wirklichkeit. Im christlich-realistischen Denken hatte eine Anderswelt ebenso wenig Platz wie eine subjektive Wahrnehmung - es gab nur die Wahrheit und die Lüge bzw. das Trugbild. Selbst die bisher geschätzte christliche Mystik geriet ab etwa 1500 in Verruf.

Das führte dazu, dass rational eingestellte Theologen die Möglichkeit des schamanischen Reisens, des “Hexenfluges”, generell in Abrede stellten (“Du willst in der Anderen Welt gewesen sein? Du lügst, Du hast die ganze Zeit hier auf dem Fußboden gelegen, ich habe es gesehen!”). Andere, dogmatischere, hielten den Hexenflug für einen realen Vorgang im dreidimensionalen Raum - der Hexenbesen wurde als eine Art Flugzeug gesehen. Solch ein Verstoß gegen die Naturgesetze war allerdings nur mit dämonischer Hilfe vorstellbar!

 

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