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Magi - Teambeitrag Die Erfindung des Hexereidelikts Essai von Martin Marheinecke Teil 2
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Die Haltung der christlichen Kirchen vor dem
hohen Mittelalter Bis ins 12. Jahrhundert galt Magie kirchenoffiziell als “heidnischer Aberglaube”. Man berief sich auf den Kirchenvater Augustinus (354 - 430), der Zauberei für unmöglich hielt: Magie war nur als übernatürliches Wunder vorstellbar, und nur Gott allein kann Wunder bewirken. Trotzdem ist es falsch, anzunehmen, das christliche Mittelalter vor der Zeit der Hexenverfolgung hätte Magie nicht gekannt, der “Hexenwahn” sei mithin ein “Rückfall” in heidnisch-abergläubische Vorstellungen gewesen. Die Missionare des frühen Mittelalters wollten nicht nur Anhänger zu gewinnen, sondern sie mussten auch alle anderen Kulte und Religionen ersetzen und auslöschen, wollten sie nicht gegen das Erste Gebot - “Du sollst keine anderen Göttern neben mir haben” - verstoßen. Das geschah nicht selten mit robuster Gewalt. Die Folge: Das in der Regel unfreiwillig christlich gewordene Volk übte seine alte Bräuche heimlich weiter aus, manchmal in christlicher Verkleidung. Geschickte Missionare wussten jedoch, dass man eine neue Religion nicht allein mit Zwang einführen konnte, sondern sie geschmeidig an die Vorstellungswelt der neuen Schäfchen anpassen musste. Gewissen Formen von Magie wurden deshalb von der frühmittelalterlichen Kirche übernommen, trotz aller Bekämpfung des “heidnischen Aberglaubens”. Hinzu kommt, dass die zahlreichen Wunder- und Zaubergeschichten der Bibel ihren Eindruck auf die Gläubigen nicht verfehlten. Im Laufe der Überlieferung nahmen die Heiligenlegenden immer magischere Züge an. Ein Missionar, der magisches Denken in jeder Form verdammt hätte, wäre deshalb unglaubwürdig gewesen. Das Weltbild der Kirche war spätestens seit der Zeit Karls des Großen mit magischen Vorstellungen und Wunderglauben regelrecht durchtränkt. Der damals einsetzende Reliquienkult ist beispielsweise eine Form des “Pars Pro Toto”-Zaubers, wie man sie auch aus dem Voodoo kennt: Ein Teil steht für das Ganze, der Zahn oder das Gewand eines Heiligen ist heilsbringend, wie es der lebendige Heilige gewesen sein soll. Für weite Teile der Bevölkerung dürfte das “christliche Mittelalter” ohnedies weit weniger christlich gewesen sein, als man dies aufgrund der Literatur dieser Zeit vermuten könnte. Der spätantike Rationalismus der Kirchenväter war theologische Theorie und außerhalb von schützenden Klostermauern kaum zu finden. Im christianisierten Volk waren die alten heidnischen Magiepraktiken erstaunlich zählebig. Damit blieb auch der Glauben an schädlichen Zauber lebendig, weshalb es nach wie vor Anklagen gegen Schadenzauberer gab. Und manchmal wurden die vermeintlichen Schadenzauberer hingerichtet bzw. gelyncht. So wurden im Jahr 1090 bei Freising drei Wettermacherinnen verbrannt. Manches an diesem Vorgang erinnert an die späteren Hexenprozesse, allerdings akzeptierte die Kirche diese Hinrichtungen damals noch nicht, sondern bezeichnete die Frauen als “Märtyrerinnen”. Die Lehre vom Dämonenpakt Spätestens seit Augustinus stand die christliche Theologie vor dem Problem, dass sie einerseits Zauberei - von Menschen aus eigenen Kraft bewirkte “Wunder” - verwarft, andererseits magisches Geschehen grundsätzlich zulassen musste, da es ja in der Bibel bezeugt wird. Der von Augustinus gewählte Ausweg war folgenschwer: Wunder können nur von Gott bewirkt werden, sie sind für den Menschen nicht verfügbar, der nur auf die göttliche Gnade hoffen kann. Aber der gefallene Engel, der Teufel, und seine Dämonen, haben mit Billigung Gottes ihre von Gott verliehenen magischen Fähigkeiten behalten. Zauberische Rituale und magische Gegenstände (z. B. Amulette) sind nach Augustinus an sich wirkungslos. Sie dienen aber als eine Art Kommunikationsmittel mit den Dämonen und bewirken den Abschluss eines Dämonenpaktes durch den Willen des Zaubernden und die dem Dämon gegebenen Zeichen. Der einflussreichste scholastische Theologe, Thomas von Aquin (1225 - 1274), baute die Pakttheorie aus und wendete sie auch auf den bislang meist tolerierten magischen Volksglauben an. Neben dem ausdrücklichen Dämonenpakt (pacta expressa) gibt es nach Thomas auch einen stillschweigenden Pakt (pacta tacita). Jede noch so kleine magische Handlung sah er auf einen Teufelspakt begründet, auch wenn der Ausübende das nicht weiß. Jede Art von Zauberei ist Teufelswerk, so etwas wie wohltätige “weiße” Magie gibt es nicht. Noch vor Thomas setzte sich unter den Scholastikern die auf Aristoteles zurückgehende Vorstellung durch, es gäbe eine unvollkommene “sublunare” Welt, in der die uns bekannten Naturgesetze gelten, und die “translunare”, vollkommene himmlische Welt jenseits der Mondumlaufbahn. Für die christliche Dämonologie hieß das: Der Teufel und seine Dämonen können in der unvollkommen-sündhaften irdischen Welt mit Billigung Gottes alles bewirken, der Teufel ist Herr der Welt und nur mit Gottes Hilfe kann man ihm entrinnen. Eine weitere Folge war die bis heute nachwirkende Vorstellung vom “Übernatürlichen”. Es gibt das mit dem gesunden Alltagsverstand und der “rechten” christlichen Doktrin erklärliche natürliche Geschehen, und Geschehnisse, bei denen es nicht mit “rechten Dingen” - übernatürlich - zugeht. Jede außergewöhnliche Fähigkeit, selbst wenn es die Fähigkeit war, Kranke heilen zu können, könnte übernatürlich sein und war damit nach der Dämonenpaktlehre immer verdächtig, Teufelswerk zu sein.
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