Homo Magi und die Schleppnetzfischer Ein heidnischer Krimi Anfänge |
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Drei Dinge hatte ich mir für das neue Jahrtausend vorgenommen. Erstens wollte ich nicht mehr rauchen. Zweitens wollte ich mich nicht mehr mit Herz und Seele verlieben. Drittens wollte ich mich nicht mehr beschuldigen lassen, ich wäre von einem Dämonen übernommen worden. Nun, jetzt sind die ersten drei Monate des neuen Jahre vorbei, und ich habe von den Dreien immerhin eine Sache eingehalten. Und während ich darüber nachdenke, was in den letzten Wochen passiert ist, überlege ich mir immer wieder, ob ich nicht vielleicht doch noch schnell runter in den Kiosk gehe, mir ein paar Zigarillos holen. *** Ein wenig bescheuert kam ich mir schon vor. Ich war
allein im Büro. Draußen standen schon die Sterne am Himmel, und jeder
normale Arbeitnehmer lag längst in seinem warmen Bett. Aber ich war
kein normaler Arbeitnehmer. Und ich hatte mir für heute Nacht etwas
vorgenommen. Die ganze Geschichte musste in das bescheuerte Diktaphon
– jetzt, gleich, noch heute Nacht. Sonst würde ich sie nie wieder erzählen.
Elsbeth würde das Zeug dann in den nächsten Tagen tippen. Aber ich hätte
es endlich von der Seele. Zigarillos hatte ich mir abgewöhnt, aber noch
keinen Alkohol. Deswegen sitze ich hier, wippe in meinem Stuhl, lege ab
und an einen Fuß auf meinen Schreibtisch, nippe an meinem Whisky und
habe mir vorgenommen, nur aufzustehen, wenn ich das Band wechseln muss,
pissen gehen muss oder eine neue CD in den Player einlegen will. Yma
Sumac ist eine gute Wahl zum Beginn einer langen Geschichte. Immerhin
war sie angeblich eine Priesterin und Magierin, und ihre Stimme ist
einfach grandios. Jetzt musste ich mich nur noch entscheiden, welche CD
ich einlegen werde. „Fuego
del Ande“ oder “Mambo”? Es begann vor ziemlich genau drei Monaten. Zumindest begann damals mein Teil der Geschichte. Ich hatte zum Ende des letzten Jahres in meiner Schule aufgehört. Nicht für immer, zumindest hatte ich mir das eingeredet. Ich hatte mich nur für ein Jahr beurlauben lassen. Eine kleine Erbschaft, ein verkauftes Manuskript für ein Sachbuch und einige verstreute Ersparnisse hatten es möglich gemacht, mich für eine Weile lang selbständig zu machen. Dazu kam eine eigenartige Regelung des Arbeitsamtes für die Wiedereingliederung von Frauen in das Berufsleben. Nein, ich bin keine Frau – zumindest war ich es vorhin noch nicht, als ich den Whisky weggebracht habe. Aber Elsbeth, meine Perle, lief zum großen Teil über eine Finanzierung der Bundesanstalt für Arbeit, und daher konnte ich sie mir leisten. Auch bei anderen Dingen hatte ich Glück gehabt. Das Büro hatte vorher einem Steuerberater gehört, der sich offensichtlich mehr Zeit für seine teuren Autos als für seine Klienten genommen hatte. Der Herr war inzwischen zahlungsunfähig, und dieses Büro wurde vermietet. Nun, mir machte die Lage in der Altstadt und der dritte Stock ohne Fahrstuhl nichts aus. Die Räumlichkeiten waren sicherlich seit den Fünfziger Jahren nicht mehr renoviert worden. Aber das ganze gab genau den Flair ab, den ich mir immer vorgestellt hatte. Ein langer Flur, der gerade auf einen Abstellraum oder begehbaren Kleiderschrank hinaus lief. An der rechten Seite drei Türen, links eine. Die erste Tür auf der rechten Seite führte in das Zimmer von Perle. Die zweite führte in eine kleine Toilette mit zwei Kabinen, die dritte in unsere Garküche mit Kaffeeherstellungsmöglichkeit. Linkerhand war die Tür in mein Büro. Und hier hatte das Glück in Kombination mit einem befreundeten Glaskünstler das vollbracht, was ich mir seit Jahren wünschte – eine Milchglasscheibe in der Tür. „Homo Magi“ hatte ich darauf schreiben lassen. Und so konnte ich mir von meinem Büro aus nicht nur eine Art igaM omoH auf der Tür betrachten, sondern ich sah auch die Silhouetten derjenigen Menschen, die etwas von mir wollten. Mein Gewerbe war ein eigenartiges. Angemeldet hatte ich „Homo Magi: Mirakel-, Mythen- und Medienberatung“. Eigentlich wollte ich jede hochgezogene Augenbraue beim Erhalt meiner Visitenkarten mit dem coolen Spruch „Bis jetzt hat sich noch kein Medium beschwert!“ kontern. Aber auch das war eine Werbeidee gewesen, die sich nicht durchgesetzt hatte. Ich wollte eine Mischung aus Lebensberatung und magischen Tipps bieten. Die Idee erschien mir sehr romantisch. Ich war Mitte Dreißig, ungebunden, mit einer Familie geschlagen, bei der jeder Anruf verschwendete Zeit und verschwendetes Geld war, und in einem Beruf eingemauert, der mir von Jahr zu Jahr mehr auf die Nerven ging. Natürlich hätte ich mir von meinem Geld irgendetwas nettes kaufen können – aber davon wäre mein Tag nicht wirklich unterhaltsamer geworden. Also entschloss ich mich dazu, mit diesem Gewerbe anzufangen. Die ersten Tage war das auch noch eine lustige Idee. Ich hatte mir eine Domäne im Internet gekauft und ein paar Werbetexte darüber verteilen lassen. Selbst war ich kein großer Freund des Internets. Zu viele Informationen mit zu vielen Fragen ohne vernünftige Antworten auf einige Fragen. Und das Wissen, was wichtig ist und was nicht, das konnte man auch im Internet nicht erwerben. Dazu hatte ich mich entschlossen, Anzeigen in der Tagespresse zu schalten. Es kamen auch Rückmeldungen. Die ersten Anrufer wollten entweder Sex mit einem magischen Outfit, Informationen über schwarze Magie oder wissen, ob das hier ein Scherz sei. Ich konnte ihnen allen helfen. Informationen über Sex mit einem magischen Outfit konnten sie bei mir nicht erhalten. Leider musste ich auch passen, was diese Lebenserfahrung anbetraf. Aber ich würde wahrscheinlich auch in einem engen Leibchen mit weitem Umhang und einem spitzen Hut auf dem Kopf ausgesprochen bescheuert aussehen. Die zweite Gruppe war da schwieriger zufriedenzustellen. Wenn man denen erzählte, dass man sich nicht mit schwarzer Magie beschäftigt, dann glaubten die umso mehr daran, dass man eine Menge Wissen hatte, das man aber nicht mit ihnen teilen wollte. Also boten sie Geld und andere Dinge. Schon eklig, was manche Leute an Geboten abzugeben bereit sind, wenn sie sich von dem Einkauf Macht und Einfluss erhoffen. Aber auch diese Gruppe konnte ich nach einer Weile abwimmeln. Nur einen wurde ich mal längere Zeit am Telefon nicht los. Ich habe ihm dann angeboten, ihm einen Teil der einschlägigen, wichtigen Literatur für 500 Mark zu besorgen. Das Geld war einige Tage später auf meinem Konto. Dafür erhielt er von mir ein großes Paket mit Micky Maus-Taschenbüchern und eine anonyme Anzeige beim Finanzamt. Man muss sich nicht jeden Dreck gefallen lassen. Die letzte Gruppe war am schwierigsten zufriedenzustellen. Denn ich hatte überhaupt kein Interesse, meine Ernsthaftigkeit irgendwelchen Nörglern am Telefon unter Beweis zu stellen. Wer schon in einem Büro anruft, um zu erfahren, ob dort seriös gearbeitet wird, der hat einen an der Klatsche. Was passiert denn bitteschön, wenn man in einer Deutschlandzentrale von Bosch anruft und anfragt, ob das seriös gearbeitet wird? Ich glaube nicht, dass man eine Nachricht erhält, die einen zufrieden stellt. Und selbst wenn die Antwort mich glücklich machen sollte – es ist doch unmöglich, telefonische Informationen auf die Schnelle zu überprüfen. Natürlich bin ich ein seriöser Magier und natürlich kann ich Hundescheiße in Gold und Exfreundinnen in Geliebte verwandeln. Leider zwingt mich ein Fluch einer bösen Hexe, in einem schäbigen Büro zu sitzen und mit Trotteln zu telefonieren anstatt mit meinen Fähigkeiten die mir zustehende Weltherrschaft zu übernehmen. Mein Gott, die Welt ist voll von Menschen, die betrogen werden wollen. Der Januar war wie im Fluge vergangen. Ich hatte nicht einen einzigen Klienten gehabt, der die Bezeichnung Klient wert gewesen wäre. Meine Perle machte brav ihre Arbeit. Wenn ich morgens ins Büro kam, dann hatte sie schon einen Kaffee gekocht. Und wenn mir nachmittags – nach gemeinsamen zwei bis vier Kannen – danach war, dann machte sie auch einen leidlich guten Tee. Es ist wesentlich schwieriger, einen guten Tee zu machen als einen guten Kaffee. So ähnlich war auch unser Vorstellungsgespräch verlaufen. Sie hatte wohl nicht damit gerechnet, noch einmal eine Einstellung zu bekommen. In ihrem Alter – Elsbeth war Mitte bis Ende 40 – war es schwierig, einen neuen Job zu finden. Natürlich könnte ich jetzt ihr richtiges Alter angeben. Immerhin habe ich die Bewerbungsunterlagen gelesen. Aber es doch viel lustiger, wenn ein letzter Fitzel Geheimnis verbleibt. Und in diesem Falle ist es so, dass ich auf Elsbeths Wohlwollen angewiesen bin, was das Abtippen der Bänder betrifft. Leider glaube ich nicht wirklich, dass sie miese Anspielungen von mir über sich abtippen würde. [Richtig! E.] Das Bewerbungsgespräch war sehr lustig verlaufen. Da ich auf die Finanzierung des Arbeitsamtes angewiesen war, hatten sich bei mir nur Frauen zwischen 35 und 55 vorgestellt, die nach einer kürzeren oder längeren Baby- und Kinderpause wieder in den Beruf der Sekretärin einsteigen wollten. Einige waren sehr motiviert, einige waren völlig lustlos und einige waren eigenartig. Es ist schon sehr unterhaltsam, was man an Lohn- und Arbeitszeitvorstellungen zu hören bekommen. Ich halte mich für relativ flexibel, was meine Vorstellungen in Bezug auf ein Einstellungsverhältnis betrifft. Aber eine Sekretärin sollte tippen können, die Grundlagen der Textverarbeitung beherrschen, einen Chef telefonisch abschirmen können, starke Nerven haben und eine gesunde Portion Humor besitzen. Ohne Humor war es nämlich technisch unmöglich, es mit mir über einen längeren Zeitraum auszuhalten. Ich fand die Bewerbungsgespräche bald langweilig, weil sie immer wieder um die selben Themen kreisten. Leider interessierte es mich wenig, was im bisherigen Leben der potentiellen Sekretärinnen vorgefallen war. Ich wollte sie jetzt anstellen ohne Gründe dafür hören zu müssen, warum sie jahrelang nicht gearbeitet haben. Elsbeth war die einzige, die positiv mit der Situation umging. Sie erzählte gleich, dass sie drei Dinge gut könne: telefonieren, tippen und Kaffee kochen. Es hat dann Wochen gedauert, bis ich das erste Babybild ihrer Tochter zu Gesicht bekam. Aber da war sie schon eingestellt und meine Perle. Bis jetzt habe ich diese Entscheidung immer nur sekundenlang bereut. Zurück zum Thema. Die ersten Wochen vergingen relativ bedeutungslos. Ich kam morgens zwischen 8 und 9 Uhr ins Büro und verließ es für eine Mittagspause gegen 12, war aber gegen 1 Uhr wieder da. Und dann saß ich herum und wartete bis etwa 4 Uhr nachmittags, bevor ich meinen Kram packte und verschwand. Elsbeth machte meistens hinter mir zu, und auch sie blieb nicht viel länger im Büro. Bald hatten wir Februar, und die Zahl der irren Anrufer war ein wenig gesunken. Ich hatte zwar immer noch pro Tag ein oder zwei störende telefonische Anfragen – die wirren E-Mails nicht mitgerechnet, die Elsbeth auf ihrem Rechner anschauen musste –, aber ich hatte gelernt, mit Freundlichkeit und Humor die Fragen zu beantworten und die Frager abzuwimmeln. Glücklicherweise hatte ich Ende Januar beschlossen, mein Geschäft trotz der nicht gerade ermutigenden Umsätze von Null weiter zu führen. Das Finanzamt würde sich sicherlich am Ende des Jahres freuen, wenn ich das Geschäft ordentlich beenden würde, und ein wenig Verlust konnte keiner Steuererklärung wirklich schaden. Mein Bekanntenkreis hatte es bald aufgegeben, sich darüber das Maul zu zerreißen, was ich „aus meinem Leben machen würde“. Ich hatte kein wirkliches Interesse daran, mir spießige Vorträge anzuhören, wie wichtig es doch sei, einer ernsthaften Beschäftigung nachzugehen. So als gäbe es in unserem Leben eine Bandbreite von ernsthaft zu lustig, repräsentiert durch die Berufe des Gehirnchirurgen und des Clowns. Wenn man in dieses Bild nicht hineinpasste, dann stimmte etwas nicht. Mit mir stimmte also etwas nicht, weil ich weder Gehirnchirurg noch Clown werden wollte. Ich entzog mich der Diskussion um Ernsthaftigkeit, weil ich mich nicht bereit erklärte, mich als ernstlos zu bezeichnen. Ich verwirklichte mir hier einen Traum, den ich in den Jahren der Beschäftigung mit Magie gefasst hatte. Und ich war sehr zufrieden damit. Hier war ich also, eine Art Mischung aus Bogart, Crowley, Reich und dem Zauberer von Oz. Ich habe in meinem Leben schon dümmere Sachen gemacht. Aber selten habe ich Dinge getan, die mir soviel Spaß gemacht haben. Dieses eine Jahr – ob es nun finanziellen Gewinn bringen würde oder nicht – würde sicherlich dazu beitragen, dass mein gesamtes Leben etwas entkrampft würde. Und das langte mir völlig als Grund für mein Handeln. Wir schrieben schon Februar, als endlich etwas passierte. Mein Schreibtischtelefon klingelte und ich meldete mich brav mit meinem Namen. Am anderen Ende war Elsbeth, die mir verkündete, dass ein Klient wünschte, mit mir einen Termin zu vereinbaren. Die Art und Weise, in der sie das Wort Klient betonte, machte mir klar, dass sie wirklich meinte, was sie sagte. Ein zahlender Kunde, der weder die Bundeslade noch das Bernsteinzimmer gefunden haben wollte. Ich war hingerissen. Wenig später hatte ich einen Herrn am Telefon, den ich von der Stimme her auf zwischen 40 und 50 schätzen würde. „Spreche ich mit Homo Magi?“ „Ja.“ „Ich bräuchte in den nächsten Tagen einen Termin bei Ihnen – ließe sich das einrichten?“ Ich hielt einen Moment inne und tat so, als würde ich überlegen. „Sie haben Glück, ich hatte heute eine Absage für den morgigen Tag. Passt Ihnen das?“ Ich wollte einfach herauskriegen, wie dringend er einen Termin haben wollte. Und er biss sofort in meinen Köder. „Morgen ist mir jede Zeit recht.“ „Morgen Vormittag gegen 10.00 Uhr?“ „Ja, gerne.“ „In Ihrem Büro?“ „Wenn es Ihnen nichts ausmacht.“ „Ich werde da sein.“ Und das war auch schon das Ende meines Gespräches.
Ich hatte keinen Hinweis darauf, um was es gehen würde und ging völlig
bei der Frage im Dunkeln, was dieser Herr von mir gewollt haben könnte.
Auch seinen Namen hatte ich nicht erfahren – aber den konnte mir
sicherlich Elsbeth nennen. Aber immerhin fand das Treffen in meinem Büro
statt. Da musste ich mir weniger Sorgen machen als bei einem Treffen in
einem Swinger-Club oder in einer abgelegenen Lagerhalle ... *** Am nächsten Morgen war ich überpünktlich in meinem Büro. Doch obwohl ich schon um 8.15 Uhr die Bürotür aufschließen wollte, fand ich diese unverschlossen. Elsbeth hatte sich auch gedacht, dass der erste Termin mit einem Klienten wichtig sein würde und war noch früher als ich zur Arbeit erschienen. In der Warmhaltekanne stand ein Kaffee bereit und auf einem Stövchen stand eine Kanne mit grünem Tee. Die Gute hatte sogar ein paar Kaffeestückchen und Gebäck besorgt, sie auf zwei Tellern in meinem Büro angerichtet und sauberes Geschirr darum verteilt. Ich war hingerissen. Mein Lob freute sie aufrichtig. Um halb Elf war ich die Ruhe selbst, doch gegen viertel vor Elf wurde mir dann doch langsam mulmig in der Magengrube. Natürlich hatte ich das Geschäft ein wenig in der Hoffnung begonnen, wirklich Klienten zu erhalten. Aber das einer leibhaftig auftauchen würde, und noch dazu nach weniger als sechs Wochen Wartezeit, das hatte ich nicht erwartet. Gegen 11.00 Uhr klingelte es an der Tür. Elsbeth öffnete. Durch die Milchglasscheibe sah ich hinter meinem igaM omoH die Silhouette eines breitschultrigen, ein wenig übergewichtigen Mannes, der im Flur seine Jacke durch Elsbeth aufhängen ließ. Wenig später klopfte sie an meine Tür, öffnete diese und während mein Besuch hereinkam sagte sie noch „Herr Acht, Herr Schwarz für Sie zum Termin.“ Ich betrachtete Herrn Schwarz in aller Ruhe von oben bis unten, während er mich mit einem kräftigem Händedruck begrüßte. Schwarz war ein wenig größer als Durchschnitt, doch er erreichte die einen Meter achtzig wenn überhaupt nur knapp. Er sah trainiert aus, ohne groß Muskeln angesetzt zu haben. Langlauf oder Joggen, so würde ich auf den ersten Blick vermuten. Sein Haar war noch voll und die grauen Haare wiesen darauf hin, dass er darauf verzichtete, es zu färben. Männer ab einer gewissen Position können sich das erlauben. Mehr als die teure Jacke und die handgefertigten Schuhe wies dies darauf hin, dass er sich finanziell in einer durchaus angenehmen Situation befand. Sein Händedruck war kräftig, ohne das er mich das Gefühl vermittelte, meine Hand in Kartoffelbrei verwandeln zu wollen. Es gab Männer, die mussten scheinbar bei jeder Begrüßung beweisen, dass es ihnen gelungen war, einen Handmuskeltrainer im Teleshop zu erwerben. Dieses Gerät wurde dann immer benutzt, wenn man auf der Arbeit oder daheim mal zehn Minuten Zeit hatte, um auf die Schnelle Muskelpartien zu härten. Nein, mein Gegenüber hatte glücklicherweise auf diese Art der maskulinen Selbststählung verzichtet. Trotzdem war er in einem erstaunlich guten Zustand für sein Alter. „Nehmen Sie bitte Platz!“ Ich hatte heute meine freundliche-zurückhaltende Platte aufgesetzt, weil man bei neuen Kunden immer so freundlich wie möglich sein sollte. Immerhin war die Ausstrahlung, die dieser Mann abgab, sehr stark in Richtung „Scheckbuch“ gehend. Und das war genau die Art von unterbewusstem Signal, das mir im Moment sehr entgegen kam. „Möchten Sie etwas trinken?“ Das von Perle freundlich hingestellte Ensemble wurde von mir durch eine ausholende Geste freundlich zur Geltung gebracht. Mein Gegenüber hatte inzwischen Platz genommen. „Nein, danke. Im Moment nicht.“ „Einverstanden.“ Ich nahm mir in aller Ruhe einen Kaffee mit einem Schluck Milch, dann nahm ich hinter meinem Schreibtisch Platz und legte mir einen Block und einen Bleistift zurecht. „Womit kann ich Ihnen helfen?“ „Sie sind meine letzte Hoffnung!“ Obwohl dieser Satz für ein Geschäft verheißungsvoll klang, weckte er doch eine unangenehme Assoziation in mir. Geister im Kühlschrank? Reinkarnierte Verwandte möchten gerne ausbezahlt werden? Dämonische Besessenheit im engsten Familienkreis? Doch ich blieb ruhig. „Das ist schön zu hören. Was ist ihr Problem – und warum glauben Sie, dass ich ihre letzte Hoffnung bin?“ „Ich muss etwas länger ausholen.“ Er warf einen fragenden Blick zu mir herüber. Ich nickte ihm freundlich zu – längere Geschichten waren etwas, das auf eine Geschichte hinwies, die ich nicht unter „einfachem esoterischen Blödsinn“ abhaken würde. „Also, mein Name ist Albert Schwarz. Mir gehören einige Fabriken für Werkzeugmaschinen und ähnliches. Sie brauchen sich nicht wundern, dass sie meinen Namen noch nie im Zusammenhang mit einer dieser Firmen gehört haben. Ich habe die ganzen Fabriken vor etwa 30 Jahren von einem Onkel geerbt, einem Bruder meiner Mutter. Der Name der Firma ist daher der Geburtsname meiner Mutter. Ich möchte aber nicht, dass meine beruflichen Beziehungen in diese Geschichte hineingezogen werden.“ Wieder schaute er mich fragend an. „Ich kann ihnen höchste Diskretion zusichern!“ „Davon gehe ich aus.“ Er sammelte sich einen Moment. „Nun, bis vor einigen Jahren war ich verheiratet. Meine Frau war psychisch krank, sie war depressiv. Ich konnte ihr nicht helfen, wir haben uns mehr und mehr entfremdet. Vor zehn Jahren hat sie sich von mir scheiden lassen und ihren Mädchennamen wieder angenommen. Ein Jahr später starb sie bei einem selbstverschuldeten Autounfall. Seitdem ist meine Tochter Christiane mein Ein und Alles. Christiane – genauer Christiane Sendner – ist von mir immer gut mit Geld versorgt worden. Nein, nicht, dass sie mich missverstehen. Sie ist keine dieser verwöhnten Töchter aus höherem Hause, die von ihrem Vater ausgehalten werden und sich ihre Freizeit an den Badestränden der oberen Zehntausend vertreiben. Christiane studiert inzwischen BWL, und ich hege die Hoffnung, dass sie später einmal meine Firma übernehmen wird.“ Ich nutzte eine kurze Nachdenkenspause in seiner Darstellung, um mir vor meinem inneren Auge die Verästelungen der Umbenennungen und Umfirmierungen vorzustellen, die er in so wenigen Sätzen formuliert hatte. Klasse, wie manche Leute offensichtlich die alte magische Regel, dass Namen auch Macht ausüben können, verinnerlicht haben. Hier schien keiner so zu heißen wie der andere – die Firma trug nicht den Namen des Besitzers, die Tochter nicht den Namen des Vaters. Aber alle hingen zusammen, obwohl sie scheinbar getrennt waren. Herr Schwarz hatte sich wieder sortiert. „Seit etwa einem Jahr wird der Kontakt zu meiner Tochter schlechter. Anfangs war es nur so, dass sie ab und an einen Termin abgesagt hat, sich nicht mit mir treffen konnte, weil sie Verabredungen hatte. Nun, bei einer jungen Frau geht man natürlich erst davon aus, dass sie Verabredungen mit Männern hat.“ Er lächelte mich an. „Wie alt ist ihre Tochter inzwischen?“ „Christiane ist 23.“ „Und – verzeihen Sie die Frage – sieht sie gut aus?“ „Sie meinen, ob ich mir Sorgen mache, dass Männer sie nur wegen ihres Geldes hofieren könnten? Nein, Christiane ist eine hübsche Frau. Warten Sie, ich habe ihnen ein Foto mitgebracht.“ Seine Hand fuhr in seine Hemdtasche und brachte ein Polaroid-Foto hervor. Scheinbar war es auf einem Rummelplatz geschossen worden. Wenn Christiane jetzt 23 war, dann konnte dieses Bild nicht älter als ein oder maximal zwei Jahre sein. Es zeigte eine junge, hübsche Frau mit blonden Haaren, die in den Armen einen überdimensionierten Teddybär hielt. Wahrscheinlich war dies der Gewinn aus einer Losbude, den sie durch Sofortbildfoto – vielleicht auf einem Schießstand? – verewigt hatte. Unten war auf das Bild ein Herz und „Für Pappa“ gemalt. Eine schöne Handschrift, die aber zum Zeitpunkt des Schreibens ein wenig verwackelt war. Ein unsicherer Untergrund? Ein paar Bierchen oder Tequila zuviel? Ich wusste es nicht. „Wirklich, eine hübsche Frau.“ Ich reichte ihm sein Bild zurück. Er steckte es nicht wieder zurück in die Hemdtasche sondern legte es vor sich auf den Tisch. „Nun, es wurde immer schwieriger, mit ihr eine Verabredung auszumachen. Entweder hatte sie wochenlang keine Zeit, oder sie erschien nicht zu unseren Terminen. Und wenn sie dann doch kam, dann erschien sie seltsam – äh – entrückt, wenn sie wissen, was ich meine.“ Er schaute mich fragend an. „Mir wäre es lieber, sie würden noch ein paar Worte dazu verlieren, Herr Schwarz.“ „Nun gut. Früher war es so, dass wir zwei eine Menge Themen hatten, über die wir zwei uns unterhalten konnten. Kunst, Literatur, klassische Musik. Aber auch über Politik haben wir uns unterhalten. Und natürlich die üblichen Kurzunterhaltungen – was macht Deine Firma, wie geht es Tante Soundso, wie geht es Deinem Studium, was machen die jungen Männer. Ich hatte nicht immer das Gefühl, wirklich tief zu ihr vorzudringen, aber das ist auch bei einem solchen Gesprächen nicht immer notwendig. Vor einigen Monaten veränderte sich das. Es war nicht mehr möglich, mit ihr einfache Unterhaltungen zu führen. Sie driftete immer wieder ab, wechselte das Thema. Und egal was ich begann – sie kam immer wieder auf die Frage nach der Weltanschauung der Religion zu sprechen.“ Er schaute wieder zu mir auf. „Fahren sie fort.“ Ich machte mir – mehr des besseren Eindrucks halber – ein paar Notizen. „Nun, es hat wohl eine Weile lang gedauert, bis ich begriffen habe, um was es geht,“ begann er wieder. „Sie wollte feststellen, wie ich es mit der Religion halte. Eine Gretchenfrage an den eigenen Vater, sozusagen. Leider weiß ich nicht, ob ich diesen Test überstanden habe. Ich bin nicht sehr gläubig. Sie müssen das verstehen ...“ Er schaute nach Zustimmung heischend in meine Richtung. Ich versuchte, so verständnisvoll wie möglich zu schauen. „Meine Frau ist verstorben, ich habe nur eine Tochter, und mein ganzes Leben ist mein Geschäft. Da bleibt nicht viel Platz oder Grund für eine längere Beschäftigung mit der Religion. Ich bin evangelisch, aber mehr auf dem Papier. Meine Tochter ist getauft und konfirmiert, genauso wie ich selbst. Aber eine große Liebe zwischen mir und der evangelischen Landeskirche gibt es nicht.“ Er schaute wieder fragend in meine Richtung. „Bei meiner Berufsbeschreibung werden sie sich denken können, dass ich in der Einschätzung der christlichen Kirchen zumindest ihre Ansicht teile, oder?“ Er nickte. „Das ist auch einer der Gründe, warum ich mich dafür entschieden habe, es mit ihnen zu versuchen. Wo war ich? Ach ja. Ich stellte fest, dass meine Tochter herauszubekommen versucht, was ich über die Religion und die Kirche denke. Und ich glaube, dass sie mit dem Ergebnis ihrer Begutachtung nicht zufrieden war.“ Er hielt einen Moment inne und schaute auf seine Hände. Er drehte sie erst so, dass er seine Fingernägel betrachten konnte. Dann wendete er die Hände über das Handgelenk nach außen und blickte einen Moment in seine Handinnenflächen. Ein oder zwei Atemzüge später war er wieder gefasst. Dieses Mal schaute er ruhig auf und mir fest in die Augen. „Und dann habe ich einen großen Fehler gemacht. Ich habe einen Privatdetektiv beauftragt, um ihr nachzuspüren.“ Ich muss wohl sehr überrascht geschaut haben, denn er begann sofort damit, mit den Händen zu wedeln und sich zu verteidigen. „Nein, ich will ihr nicht nachspionieren. Aber ich habe mir Sorgen gemacht. Meine einzige Tochter – sie müssen das verstehen. Die Sache war ein Fehler, das ist mir jetzt klar. Aber ich habe ihn gemacht und muss bis an das Ende meiner Tage damit leben.“ Wieder schaute er versonnen auf die Hände. Als nach einer Weile keine neuen Worte aus ihm heraus kamen, sprach ich ihn direkt an. „Was ist denn passiert?“ „Ach ja.“ Noch einmal atmete er ruhig durch. „Mein Privatdetektiv hat herausbekommen, dass Christiane seit einigen Monaten Gast bei einer freien christlichen Gemeinde hier in der Stadt ist. Sonntags trifft man sich zum Gottesdienst in einer umgebauten Lagerhalle, unter der Woche gibt es einen Singkreis, den sie besucht, eine Bibelarbeitsgruppe, die sich wechselnd in Privatwohnungen trifft, und einen Gesprächskreis. Wenn sie weder singt noch mit Christen spricht noch die Bibel liest ist sie mit Menschen aus dieser Gemeinde unterwegs. Sie studiert zwar noch, aber ihre privaten Kontakte sind fast auf Null gesunken, was Kontakte außerhalb der Gemeinde betrifft. Und nach dem, was ich über diese Gemeinde gehört habe, ist das auch anderen Menschen so gegangen. Erst nimmt man unverbindlich am Gottesdienst teil, dann wird man in die Wohnungen eingeladen und gerät so mehr und mehr in den Bann dieser Organisation.“ „Ich verstehe.“ Herr Schwarz wurde ein wenig laut. „Sie verstehen nichts.“ Natürlich war ich nach dieser Äußerung sehr überrascht. Herr Schwarz hatte die Hände auf die Armlehnen gelegt und sich unwillkürlich ein wenig aufgerichtet. „Sie verstehen überhaupt noch nichts.“ Für einen Moment hatte ich Angst, dass unsere Unterhaltung jetzt in eines dieser unangenehmen Gespräche über dämonische Besessenheit oder das Channelling von Venusiern umkippte. „Dann helfen sie mir es zu verstehen.“ Er überlegte einen Moment, dann seufzte er. „Gut, ich will es versuchen.“ Einen Moment braucht er dann doch, um sich zu sammeln. „Das meine Tochter offensichtlich in einer evangelikalen Sekte verschwunden ist, das kann ich mir erklären. Was ich nicht verstehe, das ist, das ein von mir gut bezahlter Privatdetektiv ebenso in diese Sekte verschwunden sein soll. Und nicht nur er, sondern auch ein Kollege aus einer anderen Detektei, den ich auf die Suche geschickt habe. Es liegt kein Verbrechen vor, die Polizei weigert sich einzugreifen. Sowohl die beiden Detektive als auch meine Tochter sagen, dass sie aus freien Stücken Mitglied der Gemeinde geworden sind. Und seitdem ich ihr die Polizei in die Wohnung geschickt habe, um sie zu befragen, hat meine Tochter auch den Kontakt zu mir abgebrochen. Und daher sind sie meine letzte Hoffnung?“ Diese Information musste ich doch erst einmal verdauen. „Warum ich?“ „Weil ich mir nicht wirklich vorstellen kann, dass jemand, der sich selbst als Magier bezeichnet, auf die honigsüße Propaganda einer christlichen Gemeinde hineinfällt. Ich hoffe, dass Sie nicht der Typ sind, der sich Fisch- und ‚Jesus liebt dich’-Aufkleber auf das Auto macht. Ich hoffe einfach, dass Sie es schaffen, meine Tochter aus dieser Sekte herauszuholen. Und ich hoffe, dass nur jemand, der an einen anderen Weltentwurf als den christlichen glaubt, eine Chance hat, meine Tochter dazu zu bekommen, zumindest mit mir zu reden.“ Scheinbar war er mit seinem Redeschwall fertig, denn er schwieg einen Moment lang. Ich nützte diese seltene Gelegenheit, um wieder selbst das Wort zu ergreifen. „Nur damit ich das richtig verstehe. Ich soll Kontakt zu ihrer Tochter aufnehmen und sie überreden, mit ihnen zu sprechen – mehr nicht?“ „Richtig. Wenn ich Sie beauftragen würde, meine Tochter da rauszuholen – würden Sie das machen?“ Er schaute mich fragend an. „Nein. Jemand, der seine Entscheidungen frei treffen kann – und scheinbar kann Ihre Tochter das – und freiwillig Entscheidungen trifft, sollte nicht mit Gewalt am Ausleben dieser Entscheidungen gehindert werden. Zumindest nicht, wenn man nicht gegen geltende Gesetze verstößt. Und außerdem ist es viel realistischer, ihre Tochter zu einem Gespräch zu überreden. Aber wenn ich das auch nicht schaffe?“ „Dann bezahle ich Sie trotzdem für die Arbeit, die sie in die ganze Sache hineingesteckt haben.“ In Wirklichkeit musste ich nicht lange überlegen, aber ich tat trotzdem so, als würde ich wild über die Fragestellung meditieren. „Dann bin ich einverstanden. Von ihnen brauche ich noch einige Angaben zu der Gemeinde und ihrer Tochter, außerdem hätte ich gerne das Bild,“ ich deutete auf das Foto, „und einen ersten Vorschuss, wenn Ihnen das nichts ausmacht.“ |
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