Homo Magi 

Mutproben

09.06.2024

Homo Magi

Hallo Salamander,

manchmal ruft mich das Abenteuer. Da kann ich nicht wiederstehen.

Ich stehe in der Schlange an. Es ist eine Apotheke, großer Raum zum Anstehen, dann teilt man sich an vier verschiedene Schalter auf. Hinter mir ein Rentnerehepaar. Die Dame – über 70 würde ich vermuten, gepflegtes Äußeres – fängt an, sich immer näher an die Schalter zuzuschieben. Unterwegs hebt sie mal von einem Regal eine Packung Taschentücher auf und inspiziert sie, dann sind es Vitamintabletten oder ein Gerät zum Milchabsaugen (es könnte auch ein zylonischer Gedankenkontrollierstrahler gewesen sein, aber die Milchpumpe wäre immerhin eine Erklärung, warum das Gerät da herumstand im Regal der Apotheke).

Es kam, wie es kommen musste. Als vor mir ein Schalter frei wird, macht die Rentnerin hektisch einen großen Schritt nach rechts und drängelt vor mich. Mich blickt sie nicht an, die Apothekerin schaut beflissen zur Seite, als ich sie fixiere. Ich drehe mich zum Ehemann der Rentnerin um, der schaut auch weg. Ich räuspere mich. Ich sage „Entschuldigung“. Nichts passiert.

Also warten. Irgendwann ist die Rentnerin fertig und dreht sich um. Dann muss sie an mir vorbei, um wieder zu ihrem Ehemann zu gelangen. Das ist der Moment, den ich nutze, um laut und vernehmlich zu sprechen: „Ich hoffe, dass sinnlose Vordrängeln hat sich für sie in irgendeiner Weise bezahlt gemacht.“

Betretenes Schweigen in der Apotheke. Die beiden Rentner trollen sich sprachlos. Ich genieße das Schweigen und das Gefühl, etwas gemacht zu haben, was „man nicht macht“. Meine Mutter wäre bestimmt vor Scham im Boden versunken.

Egal. Mutprobe für heute bestanden. Muss manchmal sein.

Dein Homo Magi

 

 

 

 

 


 

 

 


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