Homo Magi Archiv

Wöchentliche Ansichten eines Magiers über den Jahreslauf und die Welt

Teil 5

Geruchskerzen

Hallo Salamander,

ein neues heidnisches Jahr hat begonnen. Und wie die letzten Jahre sind wir in einem Umbruch, der vielleicht wirklich das Ende eines Zeitalters definiert. Oder fühlt sich nicht jede Generation so, als wäre ihre Generation die besondere, wäre ihre Zeit eine herausgehobene, die in späteren Geschichtsschilderungen einen herausragende Platz einnimmt?

Natürlich ist das so. Die esoterische Nabelschau vermischt Maya-Kalender, „große Zyklen“, christliche Apokalyptik und ein wenig Zahlenmystik, um dafür zu sorgen, dass „unsere Zeit“ eine besondere ist.

Vielleicht ist sie es wirklich. Aber auch die Sonnenfinsternis haben wir überlebt, ohne dabei zu sterben. Das Ozonloch droht, ebenso Erwärmung oder Erkaltung der Erde. Im Moment scheinen sich beide Effekte die Waage zu halten, aber vielleicht retten uns auch nur die tibetischen Gebetsmühlen vor einer Klimakatastrophe. Oder meine Geruchskerzen, die natürlich nur brennen, um den Treibhauseffekt in Schach zu halten. Meine Kontonummer ist bekannt, du kannst gerne spenden, um mir mehr Geruchskerzen möglich zu machen.[1] Leider sind diese Zahlungen nicht abzugsfähig.

Meine Ausbildungen bei einem Maya-Priester, einem Inuit-Schamanen und einer freien katholischen Kirche machen es natürlich nur mir möglich, diese weltbedrohende Katastrophe aufzuhalten (von meinem fürstlichen Blut nicht zu reden ...). Aber ich will mich nicht zu arg in den Vordergrund spielen; immerhin rettet die von mir verwaltete Bruderschaft unser Sonnensystem seit mehreren Millionen Jahren vor Invasoren vom Sirius (Sirius II, Sirius I sind die sumerisch sprechenden Außerirdische, die von Neonazis gechannelt werden).

Der Herbst kommt und gibt mir wieder Gelegenheit, Bücher zu kaufen und zu lesen. Hanussen II steht in meinem Regal, da muss ich noch einmal in Ruhe ran (immerhin mit tollen, bebilderten Vorraussagen für das Jahr 1970 – die Unterwasserstädte sind mir entgangen, aber vielleicht sind das doch nur Lemuria und Atlantis, die mir einfach noch nicht bekannt sind, weil ich so selten im Mariannengraben schnorcheln gehe).

Mich reizt es immer wieder in den Fingern, mich an der Geldschneiderei zu beteiligen, die mit der Angst der Menschen genährt wird. Dummheit ist ein fruchtbarer Acker, wenn man Geld ernten will.

Arbeitslosigkeit, Existenzangst, Kriegsgefahr – und schon trommeln die Mystiker, versprechen Weisheit und Frieden und kassieren dafür Bargeld. Solange Geld da ist, um für einige Hundert Euro Feng Shui-Pyramiden im Versandkatalog für die Wohnung zu kaufen, geht es unserem Land nicht schlecht. Oder noch nicht schlecht genug.

Gerne bin ich bereit, einen Abend lang für dich zu beten.[2] Europa muss natürlich eine Gott-Präambel in der Verfassung erhalten (um die wir herumgekommen sind, ohne dass Heiden erkannt haben, dass hier auch eine Chance vorliegt, Gott und Göttlichkeit in eine Verfassung aufzunehmen), die Türken sind islamistische Verbrecher und christliche Verbrechen sind Ausnahmen (außer Sex mit Kindern, aber das ist eine andere Geschichte). Die Esoterik boomt, sich wie eine Viper vom Herzblut der Menschen nährend.

Jetzt und wirklich jetzt sollte man doch noch einmal den Versuch wagen, etwas zu schaffen, was ein „Daheim“ für Heiden sein könnte. Eine Kirche, ein Internet-Forum, einen Verein, eine Religionsgemeinschaft, einen Coven (drei Grade, keine Diskussionen, Rituale nur nackt, wenn es warm genug ist und man alleine ist und alle einverstanden sind), eine Diskussionsgruppe oder oder oder.

Aber bestellen ist weiter einfacher als handeln. Denk an die Geruchskerzen ...

Dein Homo Magi

Homo Magi – Magician for Hire!

Hallo Salamander,

vielleicht gehe ich ja den falschen Weg. Wenn ich immer nur dazu aufrufe, wichtige Organisationen zu gründen (natürlich mit mir in der Chefetage), dann wird keiner von den anderen seinen Hintern hochkriegen, weil das ja Arbeit ist. Und die ganzen hochwichtige, total geheimen, mystischen und uralten Organisationen melden sich nicht, weil meine Nachfrage nicht spezifisch genug ist. Deswegen gehe ich jetzt einen anderen Weg und vermarkte „Homo Magi – Magician for Hire!“ cleverer (oder versuche es zumindest!).

Bewerbung

Werte Heilige Meister von Mu,[3]

in den Akasha-Chroniken[4] habe ich ihren Wunsch gelesen, einen hochgradigen Magier einzustellen.

Schon seit zwanzig Jahren beschäftige ich mit Magie. Nach einer Ausbildung zum Drittgrad-Magier bei einer uralten Familientradition habe ich Weiterbildungen in germanischer und römischer Mythologie besucht. Auch konnte ich meine Kenntnisse durch Fortbildungen in den Bereichen „Heilung“, „Strukturelle Magie“ und „Religion und Zauberei“ vertiefen.

In Gruppen arbeite ich gerne. Verschiedene Seminare und Workshops, die ich organisieren und durchführen durfte, haben mir gezeigt, dass meine Stärken im Bereich der Anleitung und Schulung liegen. Auch meine Mitarbeit in magischen Kreisen (hier: Osten) hat gezeigt, dass ich mit Gruppen und Hierarchien keine Schwierigkeiten habe.

Anfangs würde ich für Salz und Brot[5] arbeiten, nach der Probezeit hoffe ich auf eine angemessene Vergütung.

In der Anlage erhalten Sie meinen Lebenslauf und ein von mir geweihtes Arbeitsstück[6], damit Sie sich von meinen Fähigkeiten überzeugen können.

 Ich würde mich freuen, wenn ich von Ihnen hören würde. Kommunikation per Post oder E-Mail ist der via sprechende Raben oder singende Statuen vorzuziehen.

Ihr

Homo Magi

Lebenslauf

Name:                                    Homo Magi

Adresse:                                 Mittlere Königreiche, „Zum Einhorn“ (1. Tisch)

Familienstand:                       ledig, zwei Geschwister

Ausbildung:                           

vor 20 Jahren                         Studium an einer kirchlichen Hochschule (mit Abschluss)

vor 17 Jahren                         Beginn einer magischen Ausbildung (Drittgrad)

vor 15 Jahren                         Studium einer Geisteswissenschaft (mit Abschluss)

seit vor 9 Jahren                    Mitarbeit in diversen heidnischen Organisationen

Zusatzqualifikationen:

Englisch                                 in Wort und Schrift

Germanische Religion            gute Kenntnisse

Keltisches Heidentum            Grundkenntnisse

Latein                                     in Wort und Schrift

Magische Heilung                  Grundkenntnisse

Maschinenschreiben               mit Abschluss

Phantastische Literatur         gute Kenntnisse (englisch/deutsch)

Römische Mythologie             Mittlerer Kenntnisstand

Strukturelle Magie                 gute Kenntnisse

Voynich                                  Grundkenntnisse

Veröffentlichungen:               Diverse Artikel in Fachmagazinen

Hobbys:                                  Lesen, Fahrrad fahren

So, kleiner Lurch, das KANN doch nicht schief gehen, oder?

Dein Homo Magi

Malen nach Zahlen

Hallo Salamander,

im Moment bin ich dabei, meine Wohnung zu renovieren. Jetzt bin ich ja alleine und bewohne ein „4-Zimmer-Luxus-Apartment“ aus den 50er Jahren, mit Holzboden, schräger Decke und Schimmel im Gästezimmer. Beeindruckend, was man sich heute als Single so leisten kann und muss.

Auf jeden Fall habe ich damit angefangen, einige Wände neu zu streichen. Um alles zu streichen fehlt mir der Impetus, aber ich bin dann doch ganz gut damit beschäftigt, das zu tun, was dringend getan werden muss. Eigentlich tun doch alle Leute nur das, was dringend getan werden muss – nur die Definitionen von „dringend“ unterscheiden sich. Auf jeden Fall bin ich damit beschäftigt, Wände zu weißeln.

„Lebe deine Farben!“ wäre ein nettes Motto, denn auch Magie ist bunt und Farben und die Arbeit mit Farben werden in verschiedenen magischen Schulen benutzt, um Stimmungen und Schwingungen auszudrücken. Bei mir ist es aber mehr das Aufräumen, das ich gerne im Außen betreibe, wenn ich im Innen räumen will, das mir hier wichtig ist. Alle Räume putzen, ein wenig streichen, Regale umräumen. Eine Art seelischer Hausputz, der sich auf weltlicher Ebene auslebt.

Bizarr ist nur, dass ich im Moment vor meinem Büro die Maler habe. Ein Lehrgang, der von mir betreut wird, besteht aus angehenden Malern und Lackierern. Und die streichen gerade wie wild und übungshalber unsere eigenen Räumlichkeiten. Meine Bürowand ist fleckig, die Tür klebt (die war noch feucht, als die Helden sie geschlossen haben), die Klinke ist verschmiert, die Glastür kaum noch durchsichtig, der Vorraum mehrfarbig, keine Linie ist gerade. Toll. Sie haben mir auch angeboten, dass sie mir beim Streichen meiner Wohnung helfen. Ein Angebot, das ich dankend abgelehnt habe – mal abgesehen davon, dass ich keine Schüler in meine Wohnung lassen will, weil ich meine, dass das der falsche Weg ist, um Nähe und Vertrautheit zu erzeugen.

Ich bin ein ziemlich mieser Maler, aber für meine Ansprüche langt es. Und es gibt Arbeiten, die man selbst erledigen muss (Lampen aufhängen gehört definitiv nicht dazu – ich habe viel zu viel Respekt vor Strom, um da die Finger dranzunehmen, wenn ich nicht dringend muss). Aber wie gesagt: Hier ist der Weg das Ziel und das Malen dient der Selbsterkenntnis, Kasteiung und dazu, die Wände weiß zu kriegen. Wobei ich sicher nach einigen Diskussionen zugeben würde, dass der letzte Aspekt der wichtigste ist.

Magie funktioniert so ähnlich. Man will einen Effekt erreichen und tarnt das Ergebnis mit selbstloser Tünche.

Natürlich will ich das Ozonloch schließen und die Umweltverschmutzung bekämpfen. Aber eigentlich will ich in Ruhe alt werden, ohne dass die Welt um mich herum verreckt.

Natürlich möchte ich, dass jeder Mensch zu seinem Ich und seinen Gefühlen findet. Aber eigentlich will ich nachts nicht alleine schlafen und mein Leben nicht alleine beenden (ein guter Freund erklärte mir das letztes Woche am Unterschied zwischen „Freundin“ und „Gefährtin“).

Auf jeden Fall will ich, dass der Krieg aufhört. Aber ich will in Frieden sterben und ich will, dass die Menschen, die ich liebe, nicht durch einen Krieg dahingerafft werden.

Leider neigen wir Magier dazu, die weiße Tünche mit zu vielen Bordüren zu tarnen. Und dann wird die Bordüre Selbstzweck und wir vergessen, warum wir mit dem Streichen oder richtiger der Magie angefangen haben.

Wir wollen Effekte erzielen. Das ist die Pflicht. Wenn die Effekte noch bunt sind, gut riechen und das Geräusch von Zimbeln haben, dann ist das in Ordnung. Aber wenn nur noch Kür ist ohne Pflicht – dann machen wir etwas falsch. Die Wand ist nachher nicht weiß, die Welt nicht besser. Aber wir haben ein paar Jünger gefunden, die uns glauben und zuhören, weil unsere Effekte toll sind. Die Wand ist aber nachher nicht weiß, die Flecken sind nicht weg.

Ich entferne gerade Flecken und schere mich einen Scheiß um die Effekte.

Also, Vorsicht, wenn du mich mal zu einem magischen Duell fordern solltest. Erst die Fakten, dann die Effekte, lieber Lurch.

Niemals werde ich Gandalf der Weiße, auch nicht Gandalf der Weise. Auch Tom Bombadil liegt jenseits meiner Möglichkeiten. Aber ein paar Optionen hält die Welt noch für mich offen. Der nächste Effekthascher, der in meiner Gegenwart Magie anwendet, die mir nicht gefällt, hat ein Problem. Mich.

Dein Homo Magi

Tod und Teufel

Hallo Salamander,

gestern wurde meine Großmutter 100. Schon ein beeindruckendes Leben, dass diese Zeitspanne umfasst. Geboren in einer Monarchie, aufgewachsen im 1. Weltkrieg. Verheiratet in der Weimarer Republik, Mutter und Witwe im 2. Weltkrieg. Alleinerziehende Mutter in den Nachkriegsjahren und in den beginnenden Jahren der Bundesrepublik.

Großmutter und Rentnerin in den 60ern. Dann die Jahrzehnte mit ihren Umwälzungen. Nach dem Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik das Ende des Kalten Krieges, der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung. Letztendlich die europäische Währungsunion und mit dem Euro die fünfte, sechste, siebte oder achte Währung in ihrem Leben.

Die alte Dame ist noch ganz fit, wenn sie auch schlecht hört und schlecht sieht. Beeindruckend, wenn sie dann im Kreis ihrer Nachfahren (sieben an der Zahl) präsidiert und die Besucher empfängt.

Verleidet (nein, das ist nicht das richtige Wort, weil es ein aktives Handeln auf der anderen Seite voraussetzen würde), verhagelt hat mir den Tag das Sterben in meinem Bekanntenkreis. Zwei gute Freunde von mir haben im Abstand von nicht einmal 48 Stunden ihren Vater verloren. Beide Väter waren krank, beide Väter waren auf den Tod vorbereitet. Trotzdem trifft einen der Tod.

Wartet man auf ein Wunder? Hofft man, dass es schnell vorbei ist? Geht man davon aus, dass alles schon seinen Gang gehen wird und man sich nicht mit Trauer, Abschied und Sterben konfrontieren muss? Ich weiß es nicht. Meine Familie ist – seit der Geburt meiner Schwester für über dreißig Jahren – stabil, niemand aus dem „engeren Kreis“ ist gestorben. Auch eine eigenartige Kontinuität.

Ich habe mit meiner Großmutter schon vor zehn Jahren – zu ihrem 90. Geburtstag – alles geklärt, was mit dem Tod zusammenhängt. Wir hatten eine sehr ruhige Unterhaltung, wo ich ihr eigentlich alles gesagt habe, was ich loswerden wollte. Sie hat mir alles gesagt, was sie zu dem Thema zu sagen hatte. Es war ein sehr schönes Gespräch, das ich der alten Dame hoch anrechne. Unser Fall ist geklärt. Wenn sie denn in das Reich der Schatten einzieht, werde ich trauern. Aber ich bin auf ihr Sterben vorbereitet, weil sie schon lange damit rechnet.

100 zu werden ist auch eine Strafe, weil alle Geschwister und die meisten Nichten und Neffen schon tot sind. Ihr Leben ist reich an Abschieden. Zu reich.

Wenn Menschen tot und verabschiedet sind, dann fällt einem oft auf, was man noch sagen oder mitteilen wollte. Manchmal ist es nur eine Umarmung, manchmal ein Gespräch, manchmal sind es Tränen, manchmal schreit man jemanden an. Die Magie kann helfen, muss aber nicht. Tote sind präsent, wirken noch nach. Wer mit ihnen reden möchte, kann das tun. Aber das „Heben der Schleier“ hat einen Preis.

Also: Rede, solange die anderen noch leben. Oder hole es nach und sei gewiss, dass es dich kosten wird. Wenn du jemand brauchst, der dabei deine Hand hält – sag Bescheid.

Dein Homo Magi

Tarnung

Hallo Salamander,

die klugen amerikanischen Truppen haben jetzt beschlossen, in Deutschland noch mehr Angst vor islamischen Attentätern zu haben. Nicht, dass das in Deutschland echt ein Problem wäre – noch sind unsere Islamisten so ruhig, dass sie nicht einmal der Verfassungsschutz richtig ernst nimmt. Aber man weiß ja, wie Amerikaner sind (die glauben wahrscheinlich immer noch, dass wir alle Nazis sind, die in Fachwerkhäusern mit Butzenscheiben wohnen und MGs unter dem Kopfkissen verstecken).

Also haben die Amerikaner ihre ganzen Auto-Nummernschilder auf die Ortskennzeichen AD und HK umgestellt. Natürlich ist das sehr lustig, weil die Auto-Nummernschilder weiterhin das US-Format haben. Also sieht man auf den ersten Blick, dass es sich um amerikanische Fahrer handelt.

Und dann sind ihre Autos oft mit Baseballaufklebern, US-Fahnen und patriotischen Sprüchen geschmückt. Wenn ich ein Islamist wäre, dann wüsste ich sofort, was ich tun müsste. Auch ohne die geschickte Tarnung durch Nummernschilder.

Aber in der Magie ist „Tarnung“ auch nicht gerade ein Thema, dass die meisten Leute beherzigen. Vor Jahren habe ich mal eine Reise in die Mittellande mitgemacht, ein magisches Königreich, das zwischen unserer Welt und den meisten anderen Welten liegt. Man kam zurück und die Gruppe wurde gebeten, ihre Erfahrungen zu schildern. Die mir gestellte Frage war immer: „Warum siehst du da drüben aus wie hier?“ Die Antwort war immer: „Weil ich zu faul bin, um mich zu tarnen. Außerdem sehe ich so aus, wie ich aussehe, damit mich jeder erkennt.“

Dem ist auch so. Wer mich wirklich magisch angreifen wollte, der würde mich finden. Wer mir Briefbomben schicken will, der findet meine Adresse im Internet. Wer mich anrufen will, der ruft die Auskunft an. Auch mein „Tarnname“, den ich hier benutze, ist super-leicht ent-tarnbar. Also ein „Pseudonym“, das eigentlich keines ist. Mehr ein Schreibname, den ich benutze, um neben mir zu stehen, wenn ich dir schreibe.

Die Tarnung mancher Magier verschlingt so viel Energie, dass für Effekte kaum noch Energie bleibt. Aber wer es braucht, im wallenden Mantel samt Bodennebel und blitzenden Sternchen aufzutauchen, der muss selbst wissen, was er tut. Wer glaubt, dass Morgaine le Fay, Amber, Cugel oder Taliesin tolle Tarnnamen sind (von englischen Namen will ich nicht erst anfangen), der soll das tun. Ich glaube nicht daran.

„Magie nur mit den Händen!“ sagt Vincent Price in „Der Rabe“. Dem ist nichts, aber auch wirklich nichts hinzuzufügen.

Wer sich nicht mehr tarnen muss, wer ohne Visier kämpft, der macht Angst und erhält Respekt.

Dein Homo Magi

Tarnung II

Hallo Salamander,

den Amerikanern ist ja sprichwörtlich ALLES zuzutrauen. Daher hier ein Auszug aus der Zeitung von letzte Woche (und das ist kein Humorblatt sondern die örtliche Tageszeitung!):

Eine Tarnung für US-Amerikaner

Washington. US-Touristen, die bei Europareisen unangenehme Fragen über ihren Präsidenten George W. Bush und dessen Politik befürchten, können aufatmen. Ein Unternehmen im Bundesstaat New Mexiko hat eine Lösung für sie gefunden. Sie lautet: Verkleiden Sie sich als Kanadier.

Für 24,95 Dollar (umgerechnet 18,60 Euro) bietet das Unternehmen via Internet ein Paket an, das alles enthält, was ein US-Amerikaner braucht, um zum Kanadier zu werden: ein T-Shirt, eine Anstecknadel für das Jackenrevers und einen Gepäckaufkleber mit der kanadischen Nationalflagge, dem Ahornblatt. Außerdem im Preis enthalten: eine Broschüre mit Informationen über Kanada – damit der Tourist auf Fragen nach der angeblichen Heimat auch richtig antworten kann.

dpa

Wie soll man dazu eine ironische Satire schreiben? Das ist doch jenseits jeden Humors. „They look like us, but they are ... Canadians!” hieß es in einem Akroyd-Film. Wie soll ich aus solchen Vorgaben einen Witz über Heiden schmieden?

Nunja, Ideen hätte ich schon. Hier drei Angebote, um Deinen Tag zu versüßen (und ohne die Hoffnung, witziger zu sein als die Realität ...).

Eine Tarnung für Heiden

Heiden, die bei Reisen unangenehme Fragen über ihre Religion befürchten, können aufatmen. Ein Unternehmen hat eine Lösung für sie gefunden. Sie lautet: Verkleiden Sie sich als Christ.

Für 24,95 Euro bietet das Unternehmen via Internet ein Paket an, das alles enthält, was ein Heide braucht, um zum Christen zu werden: ein „Jesus liebt Dich!“-T-Shirt, ein Umhängekreuz und einen Autoaufkleber mit dem Fisch als Symbol der Christenheit. Außerdem im Preis enthalten: eine Broschüre mit Informationen über Jesus – damit der Heide auf Fragen nach der angeblichen Religion auch richtig antworten kann.

Eine Tarnung für Asatru

Asatru, die auf Heidentreffen unangenehme Fragen über ihre Religion und den Nationalsozialismus befürchten, können aufatmen. Ein Unternehmen hat eine Lösung für sie gefunden. Sie lautet: Verkleiden Sie sich als Wicca.

Für 44,95 Euro bietet das Unternehmen via Internet ein Paket an, das alles enthält, was ein Asatru braucht, um zum Wicca zu werden: einen Rollkragenpullover, der die Tätowierungen verbirgt, ein bunter Schal, ein silbernes Pentagramm zum Umhängen, ein silberner Ring mit Schlingenmuster, ein „Save the Whales“-Anstecker und einen Autoaufkleber einer beliebigen Neo-Folk-Pagan-Rock-Band. Außerdem im Preis enthalten: ein Flugblatt mit Anleitungen zu Gardner („Das kann ich nicht beantworten – das ist Drittgradwissen!") – damit der Asatru auf Fragen nach dem angeblichen Coven auch richtig antworten kann.

Eine Tarnung für Christen, die mit Heiden zusammen sind

Christen, die mit Heiden zusammen sind und bei Heidentreffen unangenehme Fragen über ihre Religion und die Eroberung Amerikas befürchten, können aufatmen. Ein Unternehmen hat eine Lösung für sie gefunden. Sie lautet: Verkleiden Sie sich als Keltoi.

Für 9,95 Euro bietet das Unternehmen via Internet ein Paket an, das alles enthält, was ein Christ braucht, um zum Keltoi zu werden: ein ungewaschenes, grünes T-Shirt, eine Lederkette mit Schlingenmuster-Anhänger und einen „Irland“-Autoaufkleber. Außerdem im Preis enthalten: ein Notizzettel über die Kelten („Das ist archäologisch nicht abgesichert!") – damit der Tourist auf Fragen nach der angeblichen Heimat auch richtig antworten kann.

Na also, ging doch.

Dein Homo Magi

Gefahrensucher

Hallo Salamander,

vorgestern war ich mit meinen Teilnehmern, einem Schwung Ausbildern und den restlichen Mitarbeitern (soweit abkömmlich) einen Tag auf dem Weihnachtsmarkt der nächsten größeren Stadt. Man stelle sich vor: fast siebzig Leute, davon über sechzig Jugendliche mit irgendwelchen „sozialen Defekten“ (ich will mich jetzt nicht in Einzelheiten ergehen, weil mir das sowieso keiner glaubt, was momentan an Jugendlichen auf der Straße herumläuft ...).

Nicht nur, dass meine Arbeit mir Spaß macht – sie führt auch immer wieder dazu, dass ich mich in irrwitzigen Situationen vorfinde. So auch an diesem Tag. Vom Weihnachtsessen am Tag vorher noch ein wenig beduselt (es gibt Frauen, die glauben, ich würde jeden Tag trinken, weil ich in den letzten vier Tagen drei Mal weihnachtsmäßig angeschickert war) kam ich auf den letzten Drücker an den Zug. Im Rucksack hatte ich zwei Kilo Silber.

Staunende Pause.

Die beiden Kilos habe ich vor Jahren mal geschenkt bekommen, für den Fall, dass ich mal dringend Geld brauche. Im Moment ist mein Konto auf dem jährlichen Weihnachtstiefstand und freut sich über Spenden. Also beschloss ich, in der großen Stadt mein Silber zu versilbern, daher zu Geld zu machen.

Ich sah aus wie der klassische Sozialarbeiter – einer der Vorteile meines Jobs ist es, dass es keine Kleiderordnung gibt. Ein wenig abgerissen war ich schon.

Im Zug fragten meine Kollegen auch gleich, warum mein Rucksack so schwer sei ... Also zeigte ich mein Silber herum (mir geht es da wie den Zwergenschmieden der Sage – ich bin arglos, bis man mich bestiehlt). Die Teilnehmer guckten interessiert, bekamen die Barren gezeigt. Dann stiegen wir in Frankfurt aus, frühstückten was und gingen unserer Wege.

Ich hängte schnell alle ab (hoffte ich zumindest) und ging in die Filiale der Bank meiner Wahl, um dort mein Silber zu Geld zu machen. Zwei freundliche Herren in der Abteilung „Edelmetalle“ verkündeten mir, dass ihre Bank schon seit Jahren kein Silber mehr ankaufen würde. Dann kamen wir ins Reden und nach einer Weile schoben sie mir einen Zettel mit einer Adresse zu, wo man Silber und so weiter. Wäre das „Der maltesische Falke“ gewesen – ich hätte mich nicht schuldiger fühlen können.

Ich bedankte mich trotzdem artig und ging wieder zurück. Immer noch alleine mit meinem Rucksack und meiner abgerissenen Jacke wanderte ich die Haupteinkaufsstraße entlang, bis ich in einer Nebenstraße das Haushaltswarengeschäft fand, das man mir als Anhaltspunkt genannt hatte. Daneben eine unscheinbare Tür und ein winziges Klingelschild. Ich klingelte und „surr“ drehte sich die Videokamera auf mich zu. Ich erzählte der Klingelanlage mein Problem und wurde eingelassen. Im Treppenhaus „surrte“ es wieder und ich durfte im Heimkino der Metallmonster auftreten.

Die Treppe hoch, hinein in einen Raum mit dem Charme einer Samenspende – weiße Wände, ein Fenster, ein Panzerglasfenster.[7] Ich schilderte erneut mein Problem. Dann durfte ich meinen Ausweis vorzeigen, wurde erfasst und bekam Bargeld für meine vier Pfund.

Sagen wir es gleich: Es hat sich nicht exorbitant gelohnt, aber jeder Cent hilft (ich prostituiere mich auch schon für Duftkerzenwerbung ...). Von meiner Last befreit verließ ich das Etablissement mit voller Börse und leerem Rucksack.[8]

Den ganzen Mittag trieb ich mich herum, bis ich dann kurz vor der Abreise meine Kollegen am Glühweinstand wiederfand.

Irgendwann im Zug heim überkam mich die Erkenntnis: Ich hatte keinen Moment Angst um men Silber oder mein Geld gehabt. Wahrscheinlich, weil die Geschichte so irre ist, dass kein Mensch darauf kommt, dass Sozialarbeiter mit meinem Äußeren Silber in Barren mit sich herumschleppen. Die Karriere als Drogenkurier hat mich nie interessiert, aber für Geheimpapiere wäre ich geeignet. Hoffe ich zumindest.

Wenn also mal jemand die Akasha-Chroniken zum Kopierer bringen will – als her damit. Auch das Voynich-Manuskript lasse ich abfotografieren und das „Necronomicon“ nachmalen. Her damit. Ich bin vertrauenserweckend.

Ehrlich.

Dein Homo Magi

In der Flüsterzentrale

Hallo Salamander,

letztes Wochenende war ich mit Teilen meiner Familie in Weimar. So ein richtiger Kulturbesuch – Schillerhaus, Bibliothek, Goethehaus. Leider war das Schillerhaus zu, weil ein Bratwurststand davor explodiert ist, die Bibliothek ist abgebrannt – aber immerhin war das Goethehaus auf. Einer von Dreien, das ist doch schon kein schlechter Schnitt.

Ich sage es gleich: Wenn das Goethehaus „Das Haus der schleichenden Leichen“ heißen würde, dann wäre es passender benannt. Ich durfte mit den beiden „Kleinen“ das Haus besichtigen, während die Damenwelt sich in ein Cafe zurückzog.

Nach einer halben Stunde waren wir wieder da, was der Damenwelt nicht zu gefallen schien. Aber die Erlebnisse im Haus waren echt eigenartig. Ich sage es gleich: Am besten gefiel mir der Schuppen im Hof, wo die Bastarde (ein Nachbau von Goethes Kutsche) ausgestellt ist. Der Rest war eine Unverschämtheit.

Erstens: Man bekam in der Vorhalle auf Wunsch einen Kopfhörer und einen Player, der einem die Hausführung über die Ohren direkt ins Hirn spielt. Wir drei lehnten (im Vertrauen auf Hinweisschilder und unsere eigene Intelligenz) ab. Es gibt keine Hinweisschilder, nirgends.

Zweitens: Im Haus waren etwa sechzig Touristen unterwegs, die von ihren Playern ferngelenkt durch die Gänge schlurften. Immer dann, wenn der Satz der Einspielung zu Ende war, kam eine neue Bewegungsanweisung, und der wurde gefolgt. Ob wir drei im Weg standen oder nicht: Das Geräusch vom Band gibt klare Anweisungen und wir sind aus dem Weg zu stoßen. Wie unsichtbaren Induktionsschleifen im Boden folgend, schoben sich die schleichenden Leichen durch das Gebäude.

Drittens: Es gibt einen erlaubten Weg durch das Gebäude. Einen. Man kann nicht gucken, nicht stromern, nichts anfassen, nichts nachlesen. Elektrisches Licht ist verpönt und alles verbleibt im unerklärten Dämmer. Die Aufsichtspersonen werden böse, wenn man vom Schlurfweg abweicht, den die Schlümpfe mit Kopfhörern vorgeben.

Viertens: Die wispernden Leichen schoben sich mit Kopfhörern auf dem Schädel durch die Gänge. Und in allen Sprachen der Welt drang das Gewisper zu uns herüber. Deutsch, Englisch, Japanisch – was weiß denn ich, welche Informationen da in vielen Zungen auf die Menschen hernieder prasselten, die taub und von Ferne bespielt sich Goethe zu nähern suchten. Keiner von ihnen hat das Haus gehört. Sein Knacken, sein Flüstern, sein Knirschen. Nur wir drei. Uns hat es zugewispert von vergangenen Tagen, von großen Geistern, von Faust und Mephisto. Nur wir haben es gehört, die anderen hörten nur das Band.

Armer Goethe, armes Haus. Wie glücklich wir Drei, die wir das sahen, was nicht Teil der Führung war – und viel mehr.

Dein Homo Magi

Entfremdete Arbeit

Werter Salamander,

sicherlich ist es meine Arbeitssituation, die viel dazu beiträgt, dass es mir gut geht. Ich habe eine Arbeit, die mir Spaß macht. Und ich sehe an meinen Jugendlichen, wenn sich etwas in ihrem Leben verändert. Ich habe Erfolge, die ich anfassen und sehen kann. Auch Misserfolge, sicherlich ... aber auch viele Erfolge.

Wenn ich Jahre später jemanden treffe, der seine Ausbildung zu Ende gemacht hat oder der in seinem Leben eine Veränderung zum Positiven durch meinen Einfluss bekommen hat, dann bin ich mit mir zufrieden.

Immer wieder werde ich auf „öffentlichen Plätzen“ (Flohmarkt, Innenstadt etc.) von Leuten angesprochen, die mich aus der Arbeit kennen. Und die meisten haben schöne Geschichten zu erzählen.

Vielen Menschen in meinem Bekanntenkreis geht es anders. Sie haben (wenn sie denn überhaupt noch in Arbeit stehen) eine Arbeit, die ohne Ergebnisse auskommt. Wer kann heute noch sein Produkt selbst sehen und sich daran freuen, dass es funktioniert, verkauft wird, ankommt, Freude bringt? Die wenigsten Menschen. Der ganze Dienstleistungssektor verkauft doch Freundlichkeit gegen Geld – aber wer kommt schon nachher und bedankt sich für eine Dienstleistung, die er durch Geldwert erworben und daher für selbstverständlich erachtet? Die wenigsten Menschen tun das. Leider.

Vielleicht ist das auch der Grund, warum viele Menschen im Heidentum (lies auch: Esoterik, weil das in der Argumentation keinen Unterschied macht) einen Ausweg beziehungsweise eine Alternative suchen, weil hier noch Ergebnisse sichtbar sind. Hier passieren Dinge mit Wirkung, nachvollziehbare Ereignisse auf Grund von Handlungen.

Nein, erkläre mich jetzt nicht für wahnsinnig. Magie bringt Resultate, wenn auch oft die erwünschten Resultate nicht sofort sichtbar sind. Aber Magie sorgt dafür, dass wir – so wie sie in den meisten Kreisen ausgeübt wird – mit den Leuten noch eine Weile Kontakt haben, die eben mit uns im Kreis standen.

Man redet miteinander, lacht, singt, fällt sich in die Arme, weint, schreit, feiert auch gemeinsam. Man hat gemeinsam etwas erfahren, was einen enger aneinander bindet. Man hat ein gemeinsames Erlebnis, das dazu führt, dass man eine Bindung hergestellt hat – und diese Bindung ist nicht dünn, sie ist mit Emotionen aufgeladen und führt dazu, dass man nach einem gemeinsamen (gelungenen) Ritual eine echte Bindung hergestellt hat. Auch wenn das Ziel des Rituals nicht beobachtbar ist (die Schließung des Ozon-Lochs, Heilung, gute Wünsche etc.), so ist doch die „soziale Komponente“ fühlbar, erfahrbar.

Das macht für mich einen der großen positiven Bestandteile von Magie aus. Wenn man ihn noch mehr betonen würde, dann ...

Aber das ist halt nicht so einfach. Aber versuchen muss man es.

Dir eine frohe Yul-Zeit und einen guten Jahreswechsel, werter kleiner, bunter Wurm.

Dein Homo Magi

Magische Invasoren aus Dimension X

Hallo Salamander,

was wäre passiert, wenn um das Jahr 1000 vor Christus eine Gruppe von Spähern der magischen Invasoren aus Dimension X (M.Inv.a.Di.X, kurz Minvadix) auf der Erde gelandet wäre? Um eine spätere Invasion der Erde vorzubereiten, hätten sie das magische Potential der Erde überprüft. Was hätten sie entdeckt?

·                   Die irdischen Magier leben im Kontakt zur Natur.

·                   Die Menschen sprechen mit Tieren.

·                   Fabeltiere (Faune, Greifen) sind den Menschen nahe.

·                   Menschen mit Visionen („Seher“) werden in Kulturen hoch gehandelt.

·                   Viele Menschen haben einen „Lebensplan“, man glaubt an das Rad der Wiedergeburt und an das Schicksal.

·                   Die Menschen haben Kontakt zu anderen Welten.

·                   Die Karten sind voll von magischen Ländern (Lemuria, Lyonesse, die Inseln hinter dem Winde)[9].

Die Minvadix sind schwächer als die Menschen, zumindest was Magie anbetrifft. Daher starten sie einen Doppelplan, um eine spätere Invasion möglich zu machen. Ziel ist die Schwächung der irdischen Magie.

Das eine ist ein Langzeitplan. Durch die Industrialisierung kommt es zur Entfremdung der Menschen von der Magie. Die Distanz zu den Mythen wird größer, die Wege zu den anderen Welten werden weiter. Die „Brüdervölker“ der Menschen (Elfen, Zwerge etc.) werden vertrieben. Die Visionen geraten in Misskredit. Was sind schon unsere modernen Vorhersagen? Nostradamus ist eine Art zivilisatorischer Rorschach-Test[10], aus dem sich jeder herauslesen kann, was er herauslesen möchte. Drogen werden missbraucht, nicht länger gebraucht, Seher werden politisch eingesetzt, nicht länger mystisch.

Der Glaube an die Wiedergeburt wird getilgt. Die Zukunft wird geschlossen, die Eschatologie führt dazu, dass am Ende der Zeit eine neue Welt ohne menschliche Mitwirkung steht, an der wir keine Teilhabe haben (an der wir aber mitwirken sollen).[11]

Das Schicksal verliert seine Bedeutung.

Die Naturvölker werden ausgerottet/verdrängt, so dass der natürliche Zugang zur Magie schwindet.

Der Kurzzeitplan ist noch perfider. Im Vorfeld der Invasion treten „falsche Lehrer“ auf, die von den Minvadix gestreut werden. Begabte Magier werden fehlgeleitet, alte Wege banalisiert, Mythen vom Ort gelöst und globalisiert und banalisiert.

Erkenntnis und Profit werden aneinander gekoppelt, selbst Schamanen sind für Geld zu haben und magische Erfahrung ist offensichtlich am Profit zu messen. Kunstwesen ersetzen Fabelwesen (z.B. Gremlins), Kunstwelten andere Sphären (z.B. die Matrix).

Verbündete der Menschheit entfremden sich, Verträge und Päkte werden nutzlos[12], die neuen Welten und Rassen sind bund- und paktlos, daher in einem magischen Kampf zur Verteidigung der Erde ohne Nutzen.

Durch die Profanisierung ihrer magischen Fähigkeiten verschreckt wenden die Begabten sich von der Magie ab. Wir sind reif für die Invasion der Minvadix.

Dein Homo Magi

Mix it

Hallo Salamander,

Vor einigen Wochen hatte ich eine tolle Werbung im Briefkarsten: Mix Markt info (www.mixmarkt.de). Das sind wohl Russen, die inzwischen – wie auch schon andere Einwanderergruppen vor Ihnen – eigene Läden aufgemacht haben.

Die Schreibweise ist sehr lustig (Rote Bete, Dicke Rippe), dazu kommen einige Angebote, die ich nicht kenne (Brühwürste „Sosiki Malütki“, Krevetten tiefgefroren, Knoblauchbauch, Kasaken-Ringe) und Dinge, die ich eigenartig finde (gezuckerte Kondensmilch, pasteurisierte Fassgurken). Dazu Tourinfos über Bands – auf russisch.

Vorher haben schon andere Einwandergruppen das gemacht –italienische Lebensmittelläden und Fernost-Märkte fallen mir sofort ein. Dazu kommt das erweiterte kulinarische Angebot durch Einwanderer – Döner-Buden, italienische Eiscafes, Pizzerien, portugiesische Fisch-Restaurants etc.

Die Einwanderer bereichern unsere Gesellschaft. Fremde Religionen, fremde Gerüche, fremde Gerichte, fremde Kleidungen. Und die Teile, die gefallen, werden integriert. Andere eben nicht. Aber das ist in Deutschland (dessen „Mittellage in Europa“ nicht erst heute Thema ist) schon immer so. Wer weiß schon, dass Tollpatsch ein Lehnwort ist? Woher kommen die ganzen französischen Lehnwörter im Deutschen? Wie kommen die ganzen slawischen Namen in das Ruhrgebiet? Woher die keltischen Ortsnamen? Und und und.

Eines ist klar: Es gibt doofe Ausländer wie es doofe Deutsche gibt. Es gibt Menschen mit deutschem Pass, die ich für weniger deutsch halte als manche Einwandererkinder in der zweiten oder dritten Generation. Aber meine Definition von „deutsch“ dürfte nicht die Definition der Mehrheit sein. Sei es drum.

Wie sieht es bei magischen Welten aus? In der Fantasy sind Reiche oft an den Grenzen zu Ende. Sprachen überqueren keine Grenzen, wirtschaftlicher Austausch oder ähnliches findet nicht statt. Wo gibt es schon Ork-Restaurants im Elbenland, wo Riesen-Lehnwörter bei den Zwergen, wo Hobbits-Arbeitskräfte in menschlichen Haushalten?

Mythen verändern sich, wandeln sich im Laufe der Zeit. Griechische Restaurants wären doch eine tolle Erweiterung für das Angebot in den nordischen Heldenhallen, oder ein paar Fischrestaurants täten den Kelten ganz gut. Hat die australische Anderswelt Platz für ein Eiscafe? Könnte man nicht mit der Anderswelt über ein paar russische Spezialitätenrestaurants verhandeln (Schokolade mit hohem Tierblutanteil wäre doch was für Krieger in der Anderswelt)?

Auf der nächsten magischen Versammlung werde ich das Thema mal ansprechen. Versprochen.

Dein Homo Magi

Sinn

Lieber Salamander,

die Frage nach dem Sinn wird mir immer wieder gestellt. Ich kann leider keine umfassende Antwort geben. Aber ich bin doch zu einer Antwort gelangt, die ich unterschreiben könnte, auch wenn ich um ihre Unzulänglichkeiten weiß.

Dem Leben einen Sinn geben kann man nur selbst. Aller Sinn, der von außen kommt, nimmt uns die Verantwortung für unsere Sinnsuche ab und macht uns zu ausführenden Objekten einer fremden Macht (nennen wir es ruhig mal „Un-Sinn“, obwohl diese Bedeutung leider schon belegt ist).

Bei dieser Übernahme eines fremden Sinns geben wir alle Verantwortung für unser Leben an. Doch das ist falsch. Denn keine fremde Macht, kein Gott, keine Regierung kann uns Sinn geben. Wir können nur Sinn in den Dingen finden, die man uns zeigt, die wir erleben oder fühlen.

Sinn ist etwas, das gesucht und gefunden werden will, das nicht gebracht oder geliefert wird.

Also ist die Frage nach dem Sinn die Frage nach den Dingen, die für uns sinn-voll sind. Die meisten Menschen, die Erkenntnis suchen, sind eigentlich Sinn-Sucher. Von daher würde ich mir keine Gedanken machen, wie man den Sinn aktiv findet. Er kommt, offenbart sich uns, zeigt sich uns.

Die meisten Menschen suchen nach einem Sinn für ihr Dasein. Das ist gut so, denn nur ein sinn-volles (im Gegensatz zum sinn-losen) Leben ist wirklich gelebt. Manche finden den (ihren) Sinn nie, manche haben ihn gefunden und leben ihn. Aber die Suche ist hier – wie so oft – das Ziel.

Dein Homo Magi

Lila Unterwäsche

Ich wurde wach, werter Salamander,

und mein erster Blick fiel auf meinen Webmaster, der in einem lila Ding mit einer Lederpeitsche in der Hand an der Wand stand und böse auf mich herunterschaute. Das Ding war nur schwer als Kleidungsstück zu interpretieren – lila Stoff mit weißen Tüllen um den Hals und die Handgelenke, schwarze Schnüre auf dem Bauch, die das herausquellende Brusthaar in Zaum hielten.

Durch das Fenster fiel silbernes Licht in den Raum.

Auf dem Boden saßen zwei Kinder mit dicken Köpfen, die immer wieder steinharte Butterblöcke (250 Gramm, Süßrahmbutter, keine Folienverpackung) in einen metallenen Eimer warfen, in dem sie dann scheppernd einen Platz auf dem Boden suchten.

Silbernes Licht ergießt sich auf die hölzernen Dielen.

Der betörende Duft von Zimt steigt mir in die Nase. Er stammt wohl von der Sandburg aus Zimt, die neben dem Bett auf dem Boden steht. Rote, mutierte Riesenameisen schleppen in ihren hummerartigen Klauen „Scrabble“-Steine über den Boden. Sie wollen mir eine Nachricht auslegen, da sie nicht lesen können. Nein, halt, sie können lesen. Sie können nur nicht schreiben, weil ihre Hummer-Klauen zu ungelenk dafür sind. Daher nehmen sie die „Scrabble“-Steine.

Ich kann lesen, was sie schreiben: „Nie sollst du mit den Hummer-Klauen,/einen fremden Hummer klauen!“

Das Licht taucht den Raum in einen silbernen Schimmer.

Mondlicht. Es ist mal wieder Vollmond. Langsam werde ich wach. Hummer, Webmaster, Süßrahmbutter – sie alle verschwinden. Ich bin schweißnass, liege verkrümmt unter der Decke. Alles reicht nach Schweiß, nicht länger nach Zimt.

Meine kleine Schwester ist bei Vollmond immer herumgegeistert. Ich schlafe „nur“ schlecht und träume irre Dinge.

Langsam ruhig werden, den Atem ruhig werden lassen. Alter Mond, blasses Gesicht, silberner Energiebringer, Auge Gottes, Muttergottheit, Trabant (ohne Elaste), Narbengesicht – mal wieder hast Du mich rangekriegt.

Magische Schutzmauern halten nicht, Abwehrmaßnahmen sind überflüssig. Wenn der Mond will, dann werden meine Nächte zu psychedelischen Orgien. Silberner, flüssiger Stahl durchfließt mich, und ich werde wieder müde.

Und müder.

Vielleicht haben die Ameisen schon einen zweiten Satz fertig.

Aus den Boxen, die meine nackte Kollegin unter den Armen trägt, klingt Musik. „You know my name (look up the number)“ von den Beatles. Wen soll ich anrufen? Gepresster John, Paul, George und Ringo? Ahja, Beatlejuice. Und was schreiben die Ameisen? „Die Nummer gegen Hummer!“

Das wird eine schwierige Nacht. Wer hat eigentlich gesagt, dass Vollmondnächte gut für Rituale sind? Ich wüsste gerne, ob Merlin diese Probleme auch hatte. Wahrscheinlich war der Bettnässer. Sicherlich.

Dein Homo Magi

Kostenlose Hilfe

Hallo Salamander,

vor einiger Zeit fand ich in meinem Briefkasten eine Karte, die etwas viel wertvolleres war als eine einfache Postwurfsendung: „Gutschein zur Erfüllung zwei Ihrer geheimsten Wünsche“ stand dort groß drauf. „Wählen Sie sich aus den 12 unten aufgelisteten Wünschen die zwei aus, die Sie für sich erfüllt sehen möchten (nur 2)!“ Man sollte Geschenken misstrauen, welche die Zahl der zu erfüllenden geheimen Wünsche auf zwei begrenzen.

Bevor ich jetzt das Geheimnis lüfte, was man sich hier wünschen kann: Wie sehen deine geheimen Wünsche aus? Normalerweise gewähren Feen im Märchen ja drei Wünsche, aber es ist schon nicht erstaunlich, dass hier auf zwei reduziert wird. Passt irgendwie in unsere schnelllebige Zeit.

Ich kann mir die drei Feen schon vorstellen, die sich auf den Weg zur Krippe mit dem königlichen Neugeborenen machen.

Fee 1: „Schon wieder so ein blaublütiges Rotzkind!“

Fee 2: „Und wieder erwarten die Eltern irgendwelche Wunder von uns.“

Fee 3: „Und irgendwo um die Ecke steht eine böse Fee, um uns dann gehörig in die Suppe zu spucken.“

Fee 1. „Aber die böse Fee ist doch zur Zeit auf Jahresurlaub in Tasmanien. Da kann doch nix passieren.“

Fee 2: „Hähä.“

Fee 3: „Was soll das?“

Fee 2: „Wir können den Eltern doch sagen, dass wir den dritten Wunsch zurückhalten müssen, weil die böse Fee sicherlich ...“

Fee 3: „Aber die kommt doch nicht. Die kriegt die Geburt doch nie im Leben mit.“

Fee 2: „Genau. Und wir haben endlich einen eigenen Wunsch!“

Fee 1: „Die Kreuzfahrt!“

Fee 3: „Die Chippendales!“

Fee 2: „Toller Plan! Und die Eltern werden glauben, wir würden uns nur Sorgen um ihr Kind machen.“

Fee 3: „Ich bin stolz auf uns!“

Fee 1: „Wann werden wir drei uns wiedersehen?“

Alle drei: „Auf dem Kreuzfahrtschiff im Mittelmeer!“

Was wären denn meine zwei Wünsche? Ich sage es lieber nicht, weil hier Minderjährige mitlesen könnten, was ich Dir schreibe. Hier die zwölf Punkte, die uns auf meiner Postkarte vorgeschlagen werden:

Ich möchte

1.                 Keine finanziellen Sorgen oder Schulden mehr haben

2.                 Eine große Summe Geld gewinnen

3.                 Meine einzige wahre Liebe finden

4.                 In meinem Leben allgemein erfolgreich sein

5.                 Nicht mehr auf andere neidisch sein

6.                 Ein eigenes Unternehmen aufbauen

7.                 Meine berufliche Situation verbessern

8.                 Ein eigenes Haus oder Wohnung besitzen

9.                 Mein Geschäft oder meine Wohnung verkaufen

10.             Dass in meiner Nähe niemand eifersüchtig ist

11.             Nicht mehr so schüchtern sein

12.             Eine Erbschaft machen

Einige dieser Wünsche bedingen sich gegenseitig bzw. haben den selben Effekt. Das Geldproblem löst sich in Wohlgefallen auf, wenn man 1, 2 oder 12 wählt. Die lösen das Geldproblem, nur sind die Lösungsansätze unterschiedlich formuliert. 6 und 7 lösen auch dasselbe Problem, wenn auch auf andere Art. 8 und 9 schließen sich gegenseitig aus, gehen aber auch um Wohlstand/Geld.

Bleiben fünf Wünsche (3, 4, 5, 10 und 11), die sich mit persönlichen Dingen beschäftigen. Schön finde ich, dass sich drei um Dinge kümmern, die ich eher einem Psychologen anvertrauen würde (5, 10 und 11), während Punkt 4 so larifari gehalten ist, dass im Grunde die Erfüllung eines anderen Wunsches dafür sorgen dürfte, dass das passiert (wer Geld hat oder eine Wohnung kauft/verkauft, der ist auch erfolgreich).

Schön finde ich Nummer 3: „Meine einzige wahre Liebe finden.“ Nur „finden“, nicht „bekommen“ oder „erhalten“. Also hat man die dann gefunden, aber sie ist mit dem besten Freund verheiratet. Oder 92 Jahre alt. Oder 11, was viel peinlicher wäre (und illegal). Oder sie lebt als Näherin in Katmandu. Schön ist hier das „finden“.

Nein, ich glaube, aus dieser Liste fände ich keine zwei, die ich einfach so ankreuzen könnte. Vielleicht 1 und 8, weil sie so schön banal sind. Aber dafür brauche ich weder eine Fee noch jene Wahrsagerin.

Weil es so schön ist, kommt jetzt ihre Selbstvorstellung: „Eigentlich müssten Sie mich kennen. Das ist auch kein Wunder, da mein Name und mein Gesicht seit vielen Jahren regelmäßig in der Presse auftauchen.“ Nein, ich hatte den Namen noch nie gehört. Aber vielleicht lese ich auch die falschen Zeitungen.

„Vor zwei Jahren habe ich mich aus der Öffentlichkeit in die Schweizer Alpen zurückgezogen, aber nun fühle ich mich verpflichtet, den Schwur zu brechen und möchte Ihnen aus diesem Grund meine kostenlose und uneigennützige Hilfe anbieten.“ Nein, wer einen Schwur brechen muss, um mir zu helfen, der ist für mich keine Hilfe.

Vielen Dank für das Angebot, aber ich muss leider verzichten.

Dein Homo Magi

Männer haben keinen Hunger!

Werter Salamander,

manchmal schlägt das Schicksal zu und zwingt mir Post auf, von der ich eigentlich davon ausgehe, dass sie direkt in einer Vorhölle produziert wird, deren Aufgabe es ist, Menschen wie mich zu verwirren.

Unlängst erfüllte diese Rolle ein Umschlag der mit dem Schlagwort „Welthungerhilfe“ gekennzeichnet war. So was mache ich immer auf, bin ich doch eigentlich ein leidlich guter Spender (wenn ich auch der Ansicht bin, dass man nicht allen Organisationen Geld zukommen lassen sollte, die darum winseln – eine gewisse Auswahl macht sich auch bei Spendenaktionen gut!).

Innen befand sich ein Katalog des „DW-Shop“ mit den Slogans „Helfen durch Handeln!“ und „Zur Unterstützung der Deutschen Welthungerhilfe“. Laut des Vorworts (von der sehr dämlich lächelnden Frau Neumann ...) erhalte ich mit diesem Katalog ein besonderes Angebot. Die Waren werden in der Dritten Welt gefertigt (Hand aufs Herz: Wo ist die Zweite Welt?), größtenteils von Hand hergestellt (also keine fußgemalten Halstücher) und die Hersteller erhalten eine faire Gegenleistung für ihre Arbeit. Das erklärt das Motto auf dem Titelbild: „Helfen durch Handeln!“

Nun, der Katalog hat meine erste Hürde (Mülleimer oder Lesen?) übersprungen und mein Interesse geweckt. Also blättere ich die 28 Seiten durch. Und stelle fest, dass Männer nicht hungern.

Mag sein, werter Salamander, dass der gedankliche Sprung dir jetzt ein wenig schnell ging. Ich werde daher versuchen, es noch einmal zu erklären: Männer haben keinen Hunger. Zumindest nicht in der Dritten Welt. Oder Männer möchten den Hungernden nicht helfen.

Von den 28 Seiten des Katalogs enthalten 26 Seiten Frauenkleidung, die restlichen zwei sind tolle Dinge wie ein Teelichthalter („Schatz, ich habe 50 Teelichthalter gekauft, damit die im Sudan nicht mehr hungern!“), Hängematten, Glitzerdöschen und Buchstützen („Aus Ghorari-Stein handgearbeitet.“ Aha.).

Jetzt bleiben mir zwei Möglichkeiten, mein Leben zu gestalten, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen, weil ich kein Geld für Hungernde ausgebe:

1.      Ich kaufe Frauenkleider, trage die vielleicht auch heimlich in meiner Wohnung.

2.      Ich kaufe Ghorari-Stein, Teelichthalter und Glitzerdöschen, bis die Wohnung aus den Nähten bricht. Vorteil: Die nächsten fünf Jahre sind alle Geschenke zu Weihnachten organisiert.

Du kennst mich. Also wundere dich nicht, wenn ich dich das nächste Mal frage, ob Du weißt, was Ghorari-Stein ist ...

Dein Homo Magi

P.S.: Falls Du den Katalog bestellen willst, schaue unter www.dw-shop.de ins Netz. Da gibt es den bestimmt. Ich gehe nicht gucken, ich bin noch ohnmächtig vor Freude.

Packend

Hallo Salamander,

früher war es viel einfacher, wegzufahren. Ich habe einfach eine Reisetasche genommen, Unterhosen, T-Shirt, Socken, Hose, Pulli und Zahnbürste samt Handtuch reingeworfen, und bin weggefahren. Vielleicht noch ein Buch für die Fahrt, und das war es.

Das erinnert mich an die Helden von Fantasy-Romanen, die ohne einen riesigen Gepäckaufwand nicht verreisen. Da muss das magische Schwert an den Sattel, das Schild auch, dann kommen Trinkwasser und Trockennahrung (wie oft sind Helden auf der Reise glücklich, wenn sie arme Tiere schlachten und räuchern können, um ihren Reisevorrat zu verlängern – und wie oft kauen Helden trockenes Brot?). Damals fühlte ich mich glücklich, dass ich so unabhängig war, dass ich jederzeit mit kleinem Aufwand weg von daheim konnte.

Inzwischen ist das anders geworden. Der Rucksack ist größer geworden, weil man natürlich mehr Kleidung mitnehmen muss. Wer weiß, was vor Ort auf einen zukommt – brauche ich ein Hemd, falls wir weggehen? Eine saubere Hose? Dicke Socken? Muss ich ihn der Wohnung Hausschuhe tragen? Taschentücher? Handtücher?

Und dann die Berge von Dingen, die in meinem Kulturbeutel Platz finden müssen. Früher war ich einfach drei Tage unrasiert, heute geht das nicht mehr. Man will ja ordentlich aussehen. Und ein Wochenende ohne Dusche, so wie früher – brrrr. Am besten noch eine Zahnpasta für morgens und eine Zahnpasta für abends, Cremes, Tabletten, Deo, Rasierwasser.

Der andere Plunder wird auch mehr (die Menge an Tabletten hatte ich schon erwähnt, auch die Zahl der Bücher ist größer geworden, aber wie sieht es mit Schreibzeug aus, der Pfeife, vielleicht sogar der tragbare Computer?).

Auch die Zugfahrten werden komfortabler, wenn man einen Walkman dabei hat und ausreichend zu lesen – früher kam ich mit einem Buch aus und kaufte mir vor Ort notfalls noch eines. Jetzt habe ich so viele ungelesene Bücher, dass ich gerne bereit bin, Stapel davon mitzunehmen. Wann kommt man auch einmal dazu, in Ruhe zu lesen, wenn nicht im Zug?

Brillenputztücher im Rucksack? Was zu essen für die Fahrt, was zu lesen? Habe ich die Fahrkarten? Regenschirm, dicke Jacke? Geld?

Das Leben war früher einfacher. Aber immer habe ich noch weniger Gepäck als der übliche Fantasy-Held – von Gandalf mal abgesehen, der seine weiße Robe scheinbar heimlich nachts wäscht (mit Waschmittel, dass er in einer Hyperraumblase mit sich herumschleppt, damit es nicht das Handgepäck erschwert).

Seufz. Irgendwann ist es einfacher, umzuziehen statt zu verreisen.

Dein Homo Magi

Farben des Lebens

Hallo Salamander,

manchmal träume ich von einer Insel in der Südsee, wo die Menschen den ganzen Tag fast nackt herumlaufen.

An jedem Geburtstag nimmt die ganze Familie samt den engen Freunden Aufstellung um das Geburtstagskind. Dann holen sie Körperfarben, die sie vorher aus geheimen Zutaten gemischt haben, aus ihren Beuteln und bemalen das Kind. In den ersten zwei Jahren die Füße, dann bis zum sechsten Jahr die Knie; bis zum zehnten Geburtstag sind dann auch die Oberschenkel bemalt. Es folgt der Bauch, die Brust, die Schultern. Dann ist man schon ungefähr 42. Dann kommt erst der linke Arm, dann der rechte Arm. Bis Hals und Gesicht dran sind, ist man schon über 60. Wirklich alte Menschen bekommen am Ende die Ränder der Ohren bemalt. Dann hört die Bemalerei auf.

Jedes Jahr dürfen jeder Freund und jeder Verwandte einen Farbklecks auf dem Körper auftragen. Gelb steht für Ärger, lila für Neid, rot für Liebe, grün für Freundschaft, schwarz für Hass und so weiter. Im Lauf der Jahre kann jeder Mensch schon am Tag seines Geburtstags durch einen einfachen Blick in das spiegelnde Wasser erkennen, was seine Umgebung im Moment über ihn denkt.

Viele haben es geschafft, eine schlecht bemalte Vergangenheit zu überleben und sind in reifen Jahren Menschen mit rotgefärbten Armen und grünen Flecken auf den Händen. Andere erhalten immer schwarze und gelbe Punkte, so dass sie auch bald keine Freunde mehr finden und sich entweder ändern oder alleine sterben.

Abgesehen von dem schönen Aussehen hat dieses Bild einen Vorteil: Wäre ich Bürger dort, müsste ich nie weder hören, dass die Vergangenheit eines Menschen doch unwichtig ist. Denn dort wäre jeder Mensch mit seinen Farben das Ergebnis der Farben der Vorjahre und der Erfahrungen, die er daraus gezogen hat.

Mein Gegenüber möchte im Gespräch eine bestimmte, unter Umständen nicht einmal neugierige Frage nicht beantworten, weil dieser Teil seiner Vergangenheit ihm nicht so recht ist. Das ist doch völliger Quatsch! Wir sind doch alle Sklaven der Vergangenheit, Opfer der Zeit. Der Mensch, den ich jetzt sympathisch finde, ist doch die Summe seiner gemachten Erfahrungen. Wenn ich mich ihm nähere, erfahre ich etwas über ihn und kann erklären, woher bestimmte Dinge kommen. Und Verständnis ist eine der wichtigsten Grundlagen für eine Freundschaft.

Mal ganz ehrlich: Ich bin der begabteste lebende Magier, den ich kenne. Wen ich mag, der hat es verdient. Behaupte ich einfach mal. Und es gibt wenige Geschichten über das Leben anderer Menschen, die mich erschrecken.

Mich erschreckt eher, was die Jugendlichen mir erzählen, die ich betreue – Vergewaltigung, Drogen, Gewalt, Kriegsverbrechen und ähnliches haben in deren Leben stattgefunden. Wenig von dem, was meine Umwelt mir erzählen kann, kann mich noch ängstigen. Aber meine Neugier ist stark. Ich will verstehen, will erkennen, will wissen. Alles verstehen heißt alles verzeihen.

Dein Homo Magi

40

Werter Salamander,

jetzt bin ich auch vierzig Jahre alt geworden. Ein Rückblick auf die vier Jahrzehnte, die mein Leben ausmachen, eröffnet den Blick auf Höhen und Tiefen. Ich denke, so etwas ist normal. Nicht alles kann Sonnenschein sein, nicht alles bodenlose Schwärze.

Geboren wurde ich in einer Zeit, die noch Hoffnung und Glauben in die Zukunft vermittelte. Die Menschen landeten auf dem Mond, über den Schwarz-Weiß-Fernseher flackerte „Raumpatrouille Orion“, die Wirtschaft wuchs und wuchs. Es gab zwei sich antagonistisch gegenüberstehende Blöcke in der Weltpolitik und ein drittes Lager, das versuchte, zwischen beiden Seiten zu vermitteln.

Später veränderte sich dieses Szenario grundsätzlich – weltpolitisch wie sozialpolitisch. Jene, die nie darüber nachgedacht hatten, wie ihr System weiter finanzierbar sein würde, sitzen heute breitärschig in ihren komfortablen Stühlen und leugnen, dass sie hätten jemals damit rechnen können ... Die Mauer fiel für alle unerwartet (Nein, ich sage nicht „Wende“ zu diesem Vorgang. Die „Wende“ war der Wechsel der Liberalen zu den Konservativen, der zur Kanzlerschaft Kohls führte.), und niemand im Westen schien darauf vorbereitet, die Flüchtlinge aus der DDR aufzunehmen. Scheinbar hatte sich auch keiner Gedanken darüber gemacht, wie es „drüben“ aussieht – so als hätten wir keine gemeinsame Sprache, sondern wären durch einem östlichen Nachbarn geehrt, der einen seltenen finno-ugrischen Dialekt zur Landessprache erhoben hat. Natürlich hatte die DDR auch keine Zeitungen, kein Fernsehen, keinen Rundfunk – anders ist der nachrichtentechnische Totalausfall im Westen nach der Öffnung der Grenzen nicht zu erklären.

Viel ist in den folgenden Jahren passiert. Die Renten sind kollabiert, die Krankenkassen auch, ebenso die Beamtenschaft, die Staatsbetriebe und die Energieanbieter. Wenn man ihnen glauben darf, dann nagen sie alle am Hungertuch. Deutschland ist ein Land der Bequemlichkeit geworden, in dem Bestandswahrung das wichtigste aller Vokabeln ist. Keiner will verzichten, keiner will abgeben, jeder kämpft nur für sich und seine lieb gewordenen Privilegien. Wer arbeitslos geworden ist, der ist irgendwie schon selbst schuld ... Natürlich ist man nicht Ausländer-feindlich eingestellt. Aber die vielen Russlanddeutschen mit ihren Drogenproblemen ... Und die Polen mit ihrer Schwarzarbeit und die Islamisten, die uns Deutsche überfremden wollen.

Scheiße, früher bin ich auf der Straße als Kommunist beschimpft worden und mit dem freundlichen „Geh doch nach drüben!“ bedacht worden. Wo soll ich heute hin, wenn ich vertrieben werde? Albanien? Kuba? Nord-Korea?

Nicht ganz ernst war das damals, wie ich zugeben muss. Erschießungen auf offener Straße hatte ich nicht zu befürchten. Die Amerikaner (als unsere „Besatzer“) waren zwar schon paranoid (das immerhin war allen klar, die sich drei Minuten Zeit ließen, um darüber nachzudenken), aber sie griffen nicht wahllos Länder an, die sie für Mittäter des Terrorismus hielten. Immerhin machen wir da ausnahmsweise mal nicht mit.

Dieses Land ist ein anderes Land als das, was ich vor vierzig Jahren betreten habe. Ein dunkleres Land, ein traurigeres Land, ein hoffnungsloseres Land. Leider glaube ich auch nicht an einen „once and future king“, der aus dem Kyffhäuser tritt und uns mit seinem Schwert den Weg in eine leuchtende Zukunft weist. Es ist an uns, uns, das Land, die Welt zu verändern.

„Dem Morgenrot entgegen ...“

Dein Homo Magi

Die Moral von der Geschichte

Hallo Salamander,

die Moral der Menschen ist eine heikle Geschichte. Was ist Moral? Eine Sammlung von Wertmaßstäben (anerzogen und gelernt, selten reflektiert), die uns durch das Leben begleitet.

Das sind jetzt nicht Dinge wie „man macht sich nicht in die eigene Hose“ oder „Gespräche über Geschwüre beim Essen gelten als unakzeptabel“, sondern eher schwammige Regeln, die unser Zusammenleben regeln, ohne dass sie schriftlich hinterlegt oder sprachlich festgelegt wären.

Ich habe so meine Schwierigkeiten mit der gesellschaftlichen Moral. Das liegt vielleicht an der Doppelzüngigkeit dieser Regeln. Ehebruch ist für viele Menschen unmoralisch – aber an Karneval und/oder in betrunkenem Zustand scheint diese Regel außer Kraft gesetzt. Vorehelicher Geschlechtsverkehr ist in gewissen gesellschaftlichen Kreisen immer noch geächtet, aber (wenn man den Umfragen glauben darf) Realität.

Die meisten Regeln, die sich auf Sexualität beziehen, sind moralischer Natur und daher auch nicht reflektiert. Ich bin der einfachen Ansicht, dass zwei Erwachsene, die miteinander einig sind, beim Sex tun können, was sie wollen (solange sie ihre Umwelt nicht verärgern oder bedrängen). Oder in anderen Worten: Sex im Parkhaus ist okay, wenn ich trotzdem ungestört ein- und ausparken kann. Sex im Fahrstuhl ist okay, bis ich gezwungen bin, fünfzehn Stockwerke zu laufen, weil der Fahrstuhl auf „Nothalt“ steht, weil ein Pärchen meint, sich diesen Kick ausgerechnet jetzt geben zu müssen.

Viele moralische Regeln lassen sich ausschalten, indem man den Kritiker in eine Diskussion verwickelt. Da die Grundlagen dieser Regeln schriftlos sind und nur mündlich tradiert werden, ist eine Diskussion darüber sehr lustig, weil die Argumente der anderen Seite sich oft auf „Das tut man nicht!“ oder „Das geht doch nicht!“ reduzieren.

Ich habe eine starke Moral, wenn es um den Schutz von Schutzbedürftigen geht. Weder Sex mit Minderjährigen ist für mich okay (außer ein 17jähriger schläft mit seiner 16jährigen Freundin – aber das ist damit nicht gemeint), wobei die meisten Dinge, die in diesem Bereich passieren, in mir nur Übelkeit und Wut auslösen (die endlosen Berichte über Kinderpornographie führen nur dazu, dass ich den Wunsch verspüre, Besitzer einer Waffe zu sein).

Ebenso ist es bei Schutzbedürftigen, die aus anderen Gründen Hilfe brauchen. Behinderte, Gebrechliche, Kranke, verarmte Menschen. Hier ist Hilfe, hier ist Schutz wichtig, auch wenn die dahinterstehende Moral immer mehr außer Kraft gesetzt wird, umso mehr Armut und Verelendung in unserer Gesellschaft um sich greifen. Ein Bettler in der Innenstadt scheint zum Lokalkolorit zu gehören, zehn Bettler sind störend und werden von der Polizei entfernt.

Wovon leben die ganzen Straßenmusiker? Haben die das Schicksal erwählt, statt im Staatstheater von Kiew nun in meiner Innenstadt zu musizieren, um ihr Gehalt (soweit vorhanden) aufzubessern?

Wenige oder keine moralische Schwierigkeiten habe ich mit Menschen, die beim Sex andere auspeitschen, mit Zigaretten verbrennen oder am Bett festbinden – wenn der andere damit einverstanden ist, soll mir das egal sein. Die selben Erwachsenen dürfen auch ohne Kontrolle Kinder kriegen und erziehen, Geschäfte tätigen, wählen oder auf der Straße demonstrieren. Warum sollte ich ihren Sex reglementieren, wenn ich andere Bereiche, die ich für wichtiger halte, nicht reglementieren will?

In unserem Land weht gerade ein Wind, der die Verarmung und die daraus resultierende Kriminalität mit stärkeren Kontrollen (oft zu Lasten des sowieso schon durchlöcherten Datenschutzes) bekämpfen will. Ich halte das für den falschen Weg. Die wenigsten Verbrechen entstehen aus anderen Gründen als aus Not oder Verzweiflung. Und die Quellen dieser Verbrechen sollte man trockenlegen, bevor man das Netz dichtmaschiger knüpft, das die Verbrecher nachher einfängt.

Warum gehen wir mit unseren Kranken so unmoralisch um? Wen stört ist, dass wir genetische Kodes speichern wollen, um Kinderschänder zu überführen? Zwanzig Nachbarn schweigen und zehn Zeugen schauen weg, aber am Ende ist es die Speichelprobe, die den Täter überführt. Warum muss dann mein Speichel samt meinen Erbinformationen in einer Datei hinterlegt werden?

Warum muss meine Krankenkasse alle meine Daten auf einem Chip lagern, wo ich ihnen doch schon brav die Krankschreibungen schicken darf und jedes Mal einen Antrag schreiben muss, um eine Leistung zu erhalten, die über die Grundversorgung hinausgeht?

Moralisch ist das sicherlich nicht, aber unsere Gesellschaft will das so. Es macht auch mehr Spaß, sich (mehr oder weniger wirklich entrüstet) über das Sexualleben meiner Mitmenschen aufzuregen als zu überlegen, welche gesellschaftlichen Konventionen man weiter tradiert, während man andere Regeln – die etwas mit Bürgerrechten, Freiheit und Selbstbestimmung zu tun haben – man dafür aushöhlt.

Dein Homo Magi

Tönerne Grundlagen

Hallo Salamander,

warum singen Heiden eigentlich so wenig? Warum ist die Fantasy – von wenigen Ausnahmen abgesehen – so wenig mit Musik verknüpft? Was hören Magier, wenn sie in ihren Türmen sitzen und über ihren Folianten brüten?

Heiden können singen. Es gibt auch viele Volkslieder, die man nehmen könnte (von zeitgenössischem Heiden-Pop mal abgesehen, den ich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht von Folk oder gar nur für hörbar halte). Aber die Distanz zu den Dingen, die man in der Schule gelernt hat, ist doch so groß, dass man nicht zu akzeptieren bereit ist, dass viele dieser Volkslieder magische oder mythische Wurzeln haben (unter meinem „Bi-Ba-Butzemann“ steht im Liederbuch, dass der Butzemann ein Hausgeist war ... und das ist nur eines von vielen Beispielen, die ich anführen könnte).

In der Fantasy gibt es einige Werke, die mich musikalisch ansprechen, weil sie mit Musik verknüpft sind. Die Science Fiction und der Horror haben es da leichter, weil sie auf moderne Musik zurückgreifen können (welche dem Leser bekannt sein dürfte). Wie sehr mag ich bei Cordwainer Smith die Melodien, welche die Geschichten in mir wachrufen. Bücher wie „Armageddon Rock“ von George R. R. Martin (wenn du es noch nicht hast, kaufe es dir – du wirst es garantiert nicht bereuen) sind vertonbare Texte, Soundtracks zur populären Kultur (nicht umsonst hat Michael Moorcock für „Hawkwind“ und andere Gruppen Musik geschrieben).

Warum halten sich Magier keine Harfinistin, die sie unterhält? Und warum darf man keine Musik hören, während man magisch arbeitet? Ich selbst tue das.

Daher hier ein paar Hörtipps, die ich für „magisch“ halte. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne erzieherischen Anspruch. Nur was für jene, die mir zu glauben bereit sind, dass Magie etwas mit Musik zu tun hat. Was, das sollte man ruhig selbst ausprobieren ...

1.                 Carole King „Tapestry“

2.                 T. Rex „Cosmic Dancer“

3.                 Alles von Yma Sumac, besonders „Legend of the Jivaro“

4.                 Al Stewart „Year of the Cat“

5.                 Chris Evans und David Hanselmann „Stonehenge“

6.                 Loudest Whisper mit „Loudest Whisper 2“

7.                 Johnny Cash „American IV: The Man Comes Around“

8.                 Achim Reichel „Regenballade“

9.                 Der Soundtrack zu „Xanadu“

10.             Macho Cane „Eine Welt von einem Gott geteilt“

11.             Gerhard Tersteegen „Ich bete an die Macht der Liebe“

12.             Zupfgeigenhansel „Wenn’s schneiet rote Rosen“

13.             Die Beatles mit „Magical Mystery Tour“

14.             David Essex „Imperial Wizard“

15.             Ougenweide „Liederbuch“

Dein Homo Magi

Paten

Hallo Salamander,

vor ein paar Tagen rief mich mein Patenonkel an. Okay, es ging um Familien-Dinge, nicht, was dich wirklich interessieren müsste/sollte. Aber ich fand es schon erstaunlich, dass ich vier Jahrzehnte nach meiner Taufe (ja, ich bin sogar konfirmiert worden – volles Programm; mein Austritt aus der Kirche „ereignete“ sich erst mit über 20) noch Kontakt zu meinem Paten habe (einer von dreien – einer ist wahrscheinlich in Haft und seit drei Jahrzehnten verschollen, zu einer habe ich nur noch sehr, sehr losen Kontakt über meine Mutter). Ein loser Kontakt zu diesem Paten, wie ich gerne zugebe, aber jedes Mal, wenn wir uns sehen, drückt er mit Geld in die Hand („Damit du mal schön davon essen gehen kannst – für Geschenke bist du wohl schon zu alt!“). Damit kann ich mich total anfreunden.

Wir Heiden haben ein Problem mit christlichen Handlungen, weil sie nicht in unser heidnisches Weltbild passen. Die Taufe ist „bäbä“, weil sie mit christlichem Touch versehen ist. Trotzdem haben Kinder ein Recht darauf, Menschen zu haben, die sie durch das Leben begleiten/anleiten. Ich meine damit nicht die weit verbreitete Methode, die eigenen Onkels und Tanten zu Paten zu haben. Das sind Menschen, die via Blut und Familientreffen sowieso an einen gebunden sind.

Ich denke da eher an ein Ritual, was dem Kind Menschen zur Seite stellt, die sich – neben seinen Eltern, den Geschwistern und dem weiteren Rahmen der Familie – um die Kinder kümmern. In meinem Bekanntenkreis gibt es mehr als Kind, an dem ich „schuld“ bin. Nicht biologisch, nein danke, aber doch dahingehend, dass die Eltern sich über mich (oder in einem Rahmen, den ich gestellt/vorgegeben habe) kennen gelernt haben. Für diese Kinder fühle ich mich verantwortlich (auch wenn das ein altertümlicher Standpunkt sein mag, vertrete ich ihn doch vehement!).

Kinder haben – wie alle Menschen – einen Bedarf an religiösen Handlungen, die sie an den mythischen Kosmos binden. Warum nicht ein heidnisches Ritual, das ihnen Paten an die Seite stellt (auch wenn ich gerne bereit bin, mich von dem kritischen Wort „Pate“ zu lösen, wenn das Schwierigkeiten bereiten sollte). Das Konzept ist wichtig, nicht das Etikett, das dem „Produkt“ nachher aufgeprägt wird.

Die Taufe ist – zur Geburt passend – neben Hochzeit/Ehe, Priesterweihe und Verabschieden der Toten (es muss nicht im Rahmen der Beerdigung sein, Samhain bietet sich aus naheliegenden Gründen an) ein Ritual, das wir in unserem (heidnischen) Leben wieder zulassen sollten.

Auf! Tu was!

Dein Homo Magi

Gesten

Hallo Salamander,

ein guter Magier kann mit wenigen Gegenständen auskommen. Um so besser er wird, um so weniger Gegenstände braucht er. Das ist wie eine „bell curve“ – erst fängt man ohne Gegenstände an, dann nimmt man die ersten Gegenstände an sich, dann kriegt man mehr und mehr Gegenstände – bis man wieder anfängt, die Zahl der Gegenstände zu reduzieren.

Vincent Price sagt es richtig in „Der Rabe“: „Magie, nur mit den Händen!“ Das ist das Ziel, auf das sich alle vernünftigen Magier zu bewegen.

Das ärgerliche ist nur, das man bei einem Magier ohne Gegenstände nie weiß, ob er am Ende seiner Entwicklung oder am Anfang seiner Entwicklung steht. Und wie beim guten Schwertkampf ist es auch bei guter Magie: Der beste Schwertkämpfer der Welt fürchtet nicht den zweitbesten, sondern den Anfänger, weil der (zum Teil irre) Bewegungen macht, die er nicht vorhersehen kann.

So ist es in der Magie auch. Der Tölpel, der Dinge tut, die ein erfahrener Magier nicht tut, ist gefährlich, weil er eventuell Mächte anruft oder Dinge versucht, die dem erfahrenen Magier gefährlich werden könnten. Was macht es schon, wenn der Anfänger dabei drauf geht, wenn er den erfahrenen Magier mitnimmt?

Gesten sind Dinge, die sich verselbständigen. Gedanken steuern Magie, aber Gedanken brauchen einen Fokus, um zu wirken. Es macht keinen Sinn, alle Gedanken sofort in Magie umzusetzen. Das wäre auch für die Umwelt mehr als gefährlich, wenn alles, was man sich vorstellt, sofort Gestalt annehmen würde! Von daher ist die Geste als Fokus wichtig, sie unterscheidet die unbewusste (magische) Handlung von der bewussten (magischen) Handlung.

Mag es nun ein Dolch sein oder ein Fingerschnippen – in beiden Fällen wird das Wirken der Magie an einen Auslöser gebunden, der wichtig ist, um die Magie zuzulassen. Wie Dumbo, der ohne seinen Talisman nicht fliegen konnte – nicht, weil er es nicht richtig konnte, sondern weil der Talisman ein Auslöser war, der ihm die Angst davor nahm, zu fliegen. So ist es auch mit der Magie. Ein Dolch führt dazu, dass die Gedanken (das „Wollen“) gebündelt, eben fokussiert werden. Der Dolch ist nur ein Dolch (eine Rose nur eine Rose), aber er ist in dem Moment, wo er im Ritual angewandt wird, mehr als ein Dolch, nämlich Symbol für eine Handlung, die über den Dolch hinweg gewirkt wird.

Natürlich gibt es auch gute Magier, die sich mit Gegenständen behängen – um das Rätsel zu tarnen, ob sie Anfänger oder Meister sind. Daher gilt, dass man einen Magier nie anhand der Zahl der Gegenstände einschätzen kann, die er bei sich hat oder anwendet. Wichtig ist, ob er auch OHNE Gegenstände zaubern kann und wie gut die Zauber ohne Gegenstände werden. Leider kriegt man das nicht bei der ersten Begegnung heraus und muss Zeit und Energie investieren, um das Rätsel zu lüften. Aber Magie ist doch ein Rätsel, oder?

Dein Homo Magi

Automobil

Hallo Salamander,

letzte Woche habe ich mein Auto verkauft (wie auch seinen Vorgänger an einen Heiden – aber das ist ein anderes Thema). Warum? Nun, ich bin mir im Moment nicht sicher, wo das „berufliche Schiff“ hingeht. Und da muss man halt gucken, was der Arbeitsmarkt hergibt. Außerdem sollte man Dinge verkaufen, so lange man es noch nicht muss. Wenn man muss, findet man regelmäßig keinen Käufer (ist zumindest meine Erfahrung, die auf keinen großen Untersuchungen gründet).

Aber das Leben ohne Auto ist eigentlich angenehm. Es gibt hier genug öffentliche Verkehrsmittel, die mich mit meiner neu erworbenen Monatskarte brav überall hin bringen, wo ich hin will. Heute wurde ich dank Hagel etwas nass – aber das sind Unbillen der Natur, denen man sich wohl aussetzen muss.

Außerdem habe ich mir eine BahnCard gekauft und nutze jetzt die Vorteile der Deutschen Bahn. Erster, merkbarer Vorteil: ich komme deutlich weniger gestresst an und habe im Zug immer Zeit, die ganzen Bücher zu lesen, die sich bei mir stapeln. Der Stress-Faktor lässt sich gar nicht genug hervorheben. Gestern hatte ich beruflich einen Termin, zu dem ich normalerweise (einen Weg) drei Stunden gefahren wäre. So waren es dreieinhalb Stunden mit dem Zug (ein Weg), dafür kam ich erholt an und erholt zurück (und konnte im Zug schlechte Zeitungen lesen und im Zugrestaurant rauchen und ein Bierchen trinken).

Auch die monatlichen Kosten sind so übersichtlicher. Reparaturen, Steuer und Versicherung für das Auto sind alles Kosten, die ich mir jetzt spare (habe die letzten Jahre brav darüber Buch geführt, von daher kann ich sagen, dass ich jetzt billiger, wenn auch weniger flexibel fahre).

Und ich muss keinen Parkplatz mehr suchen!

Im Moment genieße ich es noch ohne eigenes Auto. Es verändert meine Wahrnehmung der Umwelt, „entschleunigt“ (schlimmes Wort) mich. Im Sommer halte ich das bestimmt aus, besonders weil ich mein Fahrrad jetzt habe machen lassen (29 Euro! Hey, das sind noch Reparaturkosten, oder?).

Ich bin mal gespannt, wo der Wind mich hintreibt, werter Salamander. Nur muss der Wind jetzt einen Zug oder eine Bahn schieben, kein Auto mehr.

Dein Homo Magi

Der diskrete Charme der Demokratie

Hallo Salamander,

unser Wertesystem droht zu zerbrechen, wenn ich den Titelseiten der großen Tageszeitungen glauben kann. Da stirbt ein autoritärer Monarch, der mal mit einer Hollywood-Diva verheiratet war, und schon sondern alle Schmonzetten Geschichten über ihn, seine Familie und deren verwöhnte Entourage ab.

Das hier im Herzen von Europa noch eine autoritäre Monarchie besteht, scheint niemanden zu interessieren. Wir, als Heimatkontinent der Demokratie, können es uns also weiter erlauben, Operetten-Herrscher zu dulden (so lange sie die Seiten der gelben Presse füllen). Aber der Charme dieser Herrscher ist nicht der einer Monarchie aus „Der Gefangene von Zenda“, sondern eher „High Society“ vermischt mit alten Rühmann-Filmen. Auch das ein Fluch des 21. Jahrhunderts.

Der Tod des Papstes hat zwar lange Pilgerströme verursacht (die man sogar auf Satellitenbildern sehen kann – wo das beeindruckende an dieser Information sein soll, ist mir bis jetzt noch nicht klar geworden). Noch einmal: Man kann die Trauermengen auf Satellitenbildern sehen. Wow! Ein von einer religiös begründeten Gerontokratie gewählter Oberhirte, der autokratisch ein kleines Land im Herzen Europas regiert (wir diskutieren nicht darüber, ob sich die Bevölkerung Vatikanstadts durch die Regierung vertreten fühlt oder wie die Angestellten der Nuntiatur bezahlt werden), stirbt. So etwas passiert.

Hunderttausende begeben sich nach Rom (lustigerweise Hauptstadt eines anderen Staatsgebildes ...) und stellen sich an, um am Sarg vorbei zu defilieren. Und das Ganze wird dann wahrgenommen (und verstanden) als eine Stärkung des Katholizismus.

Wofür stand dieser Papst? Doch für eine mittelalterliche Moral-Theologie, eine Ablehnung der „Theologie der Befreiung“ und für eine sehr undurchsichtige Personalpolitik. Ist so etwas wert, auf breiter Ebene gefeiert zu werden? Scheinbar schon, wenn man die Pilgermassen als Messgrad nehmen will.

Die Medien schwabulieren über ein Erstarken des Katholizismus, eine weltweite Segenstätigkeit des Papstes wird benutzt, um seine Seligsprechung/Heiligsprechung voranzutreiben.

Wunder, die durch einen Papst geschehen, sind also göttlich/christlich, während Magie weiterhin heidnisch ist – auch wenn beide vielleicht das selbe Ergebnis erzielen. Das wir ein Glaubens-Defizit in Europa haben, dürfte klar sein. Aber das dieses Defizit durch Papst und Monaco gefüllt werden soll, das macht mir keinen Spaß. Ein monegassischer Papst wäre doch ideal, der würde dann alle Ansprüche der Trivial-Gesellschaft erfüllen. Vielleicht könnte man die Papstwahl auch live als „Big Pope“ im TV übertragen und schon wären alle glücklich. Außer mir.

Dein Homo Magi

Akademisches Lernen

Hallo Salamander,

vorhin bin ich einem meiner ehemaligen Professoren begegnet. Er ist jetzt im Ruhestand und wie er selbst sagt, „privilegiert“, weil er weiterhin arbeiten kann.

Spontan kam mir sofort der Ausdruck „Faulenzen auf hohem Niveau“ in den Sinn, weil gerade er war einer jener Professoren, die für studentische Belange und Organisationsdinge nie ein Ohr hatten, sondern immer in akademische Elfenburntürmereien vertieft war. Gerne erinnere ich mich an das Kennenlernspiel für die Erstsemester, bei dem wir eine Frage über ihn löschen mussten, weil sie nicht beantwortbar war.

Die Frage war die nach seiner letzten akademischen Veröffentlichung. Die lag über zwanzig Jahre zurück und war in einem obskuren deutsch-amerikanischen Magazin erschienen. Und so Gestalten werden vom Lehrstuhl bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag durchgefüttert, weil es in Deutschland die Freiheit der Lehre gibt. „Privilegiert“, weil er jetzt weiterhin arbeiten kann. Das „weiterhin“ ist der Teil des Satzes, der mir Schluckbeschwerden und Lachsalven beschert.

Schön, dass es noch Menschen gibt, die sichere Jobs haben. Gutbezahlt ihre dicken Hintern auf den Stühlen der Universität plattsitzen, fern ab von jeder Arbeitswirklichkeit und eingebunden in ein Sozialsystem, das für sie niemals Mangel oder gar nur Ärger aufkommen lässt. Und diese Menschen sind zuständig für die Ausbildung anderer Menschen im universitären Bereich.

Elfenbeintürmler erzeugen Elfenbeintürmler. So ist es nicht verwunderlich, wenn von meinem Zweitstudium (Beginn vor 16 Jahren) heute noch Leute im Studium sind, die zwar noch immatrikuliert sind, aber keinen Abschluss besitzen. Das ist die absolute Verschwendung von Intelligenzija, aber wohl auch von oben herab gewollt.

Die Studenten stellen doch (als ewige Pizza-Boten und Kopierknechte) eine Arbeitsarmee zu niedrigem Lohn dar, auf die man in keinem Falle verzichten möchte. Sie halten auf einem niedrigen Lohnniveau (und dank des Studentenstatus auch versichert) ein Getriebe am Laufen, das ohne sie (und im echten Wettbewerb) kollabieren würde.

Lang lebe die freie Marktwirtschaft! Lang lebe die Freiheit der Forschung!

Ich habe mehr und mehr den Eindruck, dass sich meine Heimat als Hort der Pienzigkeit bemüht, nicht als ernster Ort der Auseinandersetzung oder Diskussion. Aber wie soll man auch diskutieren, wenn die intelligente Schicht an Orten geschult wird, die mit dem leben „da draußen“ nichts zu tun haben?

Die Schule muss mit dem Leben zu tun haben, das Leben muss mit der Schule zu tun haben. Und da langt es nicht, wenn man ab und als Praxis- und Anschauungsbeispiel einen echten Menschen importiert, hier muss an dem herumgedoktert werden, was Problem ist (und nicht an Metaproblemen).

Aber ich rede gegen Windmühlen.

Dein Homo Magi

Zen-Busse

Werter Salamander,

jetzt bin ich schon einige Wochen ohne Auto. Und dabei habe ich eine neue magische Technik entwickelt, die ich dir irgendwie doch erläutern will. Ich nenne sie „Zen-Busse“ (nicht „Zen-Buße“!) oder „Kaum-verspätet-im-hier-und-jetzt“.

Beim normalen Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln habe ich immer drei grundsätzliche Probleme:

1.                 Meine Uhr, die Uhr meines Arbeitgebers und die interne Uhr der Bus- und Straßenbahnfahrer zeigen jeweils unterschiedliche Zeiten.

2.                 Bin ich zu früh, ist der Bus zu spät. Bin ich zu spät, ist der Bus pünktlich oder zu früh. Bin ich pünktlich, ist der Bus zu früh oder zu spät.

3.                 Fahrpläne sind etwas für Superverbrecher mit entsprechenden Geistesgaben, nichts für mich.

Die Konsequenzen daraus waren mir erst nicht klar, bis ich mir dann in aller Ruhe und kontemplativer Besinnung das Streckennetz unseres Anbieters für öffentlichen Personen-Nahverkehr angesehen habe (der auch nicht komplizierter ist als ein mentaler Stadtplan von Atlantis). Zwei Busse fahren jeweils im 15-Minuten-Takt zur Arbeitsstelle von der Busstation um die Ecke los. Ein Bus davon hält nahe an der Arbeit, der andere zwei Minuten weiter weg.

Zurück fährt ein Bus nahe an der Arbeit, wenn ich den verpassen sollte (einfaches Indiz: keiner sitzt mehr an der Station) gehe ich zwei Minuten weiter und habe dann die Wahl zwischen sechs Verkehrsmitteln, die in die Innenstadt fahren. Von dort kann ich mit drei Bussen in Richtung Heimat fahren.

Also gebe ich nichts mehr auf Fahrpläne. Ich laufe los, wenn ich mit der Arbeit fertig bin und/oder keine Lust mehr habe. Warten schon Leute an „meiner“ Busstation, dann setze ich mich und warte auf den Bus. Dabei lese ich in einem guten Buch.

Warten keine, gehe ich zwei Minuten weiter, mache Station bei dem netten Getränkestand mit den Fruchtsäften und warte dann auf eine der möglichen Verbindungen. Jetzt kommt wieder das „gute Buch“ zum tragen.

Im Bus lese ich dann wieder oder schaue auf die wartenden Autoschlangen raus. Daheim suche ich mir keinen (!) Parkplatz, schlendere in meine Wohnung und bin glücklich und zufrieden.

Zen-Busse.

Dein Homo Magi

Abschied

Hallo Salamander,

heute fuhr ich mit dem Bus von der Arbeit heim, als sich ein älterer Herr neben mich setzte. Ich begrüßte ihn freundlich mit Namen, worauf er mich etwas verwirrt anstarrte. Ich hatte ihn auch über zehn Jahre nicht gesehen, aber dann erkannte er mich doch.

Wir kamen ins reden. Er war der alte Produktionsleiter der gemeinsamen Firma meines Vaters und meines Onkels. Ich fragte nach der Firma, und er sagte, dass er gerade seinen letzten Arbeitstag gehabt hätte. Der Schrotthändler wäre gekommen und hätte alles, was nicht zu verkaufen gewesen wäre, aufgeladen. Die Firma ist tot.

Komisch.

Die Firma war gegründet worden, als ich gerade auf der Welt war. Als ich meine Schuhe binden konnte, bin ich zur Firma gelaufen und habe es erst der Chefsekretärin, dann meinem Vater gezeigt. Später habe ich ab 13/14 immer im Sommer in der Firma gejobbt, um ein paar Mark dazuzuverdienen.

Die Firmenfeste waren mir immer gut im Gedächtnis, besonders wegen der einen Gelegenheit, wo Schnuckenack Reinhardt eingeladen war.

Zwischen den Papierstapeln konnte man sich als Kind toll verstecken, die vielen ausländischen Gäste polierten mein Englisch auf, ab und an konnte man da Geld verdienen. Aber die Firma war noch mehr: Lebenswerk meines Vaters und meines Onkels, Geldgeber für mein Studium, Mittelpunkt der Familie (und nicht nur wegen der Immobilien, die immer wieder gekauft, gemietet, verkauft, geräumt worden sind).

Die meisten Mitarbeiter kannten mich aus den Tagen, wo sie mich auf dem Knie gewiegt oder mir Süßigkeiten zugesteckt hatten – so auch er.

Er wohnt nicht einmal zweihundert Meter von mir entfernt, doch ich habe ihn in der Stadt noch nie getroffen. Er geht jetzt in die Arbeitslosigkeit, um die zwei Jahre bis zu seiner Frührente zu überbrücken. Arbeit wird er nie wieder kriegen.

Ein freundlicher, älterer Herr, der mich sofort duzte, als er mich erkannte. Komisch. Er war jünger, als ich jetzt bin, als er anfing, für uns (komisches „uns“, oder?) zu arbeiten.

Ich habe es immer abgelehnt, diese Firma zu erben. Meine Geschwister auch, ebenso mein Cousin. Er hat dann gegen Ende (die Arbeitslosigkeit!) dort gearbeitet, aber geliebt hat er sie auch nicht. So blieben nur Verkauf und Firmenauflösung.

Die letzte Immobilie ist geräumt. Jetzt künden nur noch einige Ordner mit Briefen, unsere Erinnerungen, diverse Erinnerungsstücke und ältere Herren wie er von der Firma.

Es gab keinen Punkt in meinem Leben, wo ich die Firma hätte übernehmen wollen. Ich wollte etwas eigenes machen, sicherlich auch, um mich gegen die „älteren Herren“ in meiner Familie durchzusetzen. Das ist mir gelungen. Die Firma ist kaputt, aber ich hätte sie auch nicht retten können (oder wollen).

Das damit auch Erinnerungen verbunden sind, ist für mich verständlich. Aber ich habe lange Jahre meines Lebens über was-wäre-wenn-Verläufe nachgedacht. Dieses Nachsinnen ist amüsant, aber am eigenen Leben führt es nur zu Mühsal und Ärger. Ich bin mit dem, was ich bin und wie ich bin zufrieden. Mehr kann man eigentlich nicht verlangen.

Trotzdem ist mir wehmütig ums Herz ... so als wäre ein Freund von mir gegangen. Kann man mit einer Firma befreundet sein? Das erscheint mir nicht unlogischer, als mit einem Menschen befreundet zu sein. Nur weinen Firmen nicht.

Dein Homo Magi

Das Haus, das Verrückte macht

Hallo Salamander,

heute habe ich mir einen Tag freigenommen, um lässliche Amtsgänge hinter mich zu bringen. Genauer: Den Versuch, an einem Tag den klassischen Tag den Dreikampf Personalausweis-Führerschein-Pass hinter mich zu bringen.

Froh gelaunt marschierte ich heute morgen zum Einwohnermeldeamt (das einen wesentlich längeren Titel trägt, den ich mir aber hier erspare), um meinen freien Tag mit einem Buch, einer Zeitung und „etwas Gewarte“ zu verbringen. Pustekuchen.

Der Herr in der Portiersloge war eine rauchen, so durfte ich mich selbst zu den entsprechenden Zimmern durchschlagen. Brav nach Alphabet sortiert fand ich sie, die Räume für mein Vorhaben.

Punkt 1: Personalausweis. Der sei noch nicht in den nächsten drei Monaten fällig. Weiß ich, aber da der Pass ausläuft, hätte ich doch gerne alles auf einmal ... Ja, das würde acht Euro extra kosten, weil er noch „so lange“ (nämlich fünf Wochen mehr) gültig ist. Ich seufzte.

Dann meine Passbilder, brav von einem professionellen Fotostudio gemacht: Hintergrund zu dunkel. „Man würde es versuchen ...“ raunte man mir entgegen. Dreizehn Euro, ein paar Angaben über meine Identität, eine leichte Korrektur meiner Größe (189 cm statt 190 cm – ich habe damals ein wenig geschummelt, weil man mir gesagt hatte, ab 190 cm bekäme man bei der Musterung Minuspunkte) und schon hatte ich die lächerlichen zwei Papiere unterschrieben und einen Zahlungsbeleg zur Hand. Mit dem (13 Euro) ging es dann zur Zahlstelle. Anstellen, warten dass die Dame aus ihrer Pause (wohl mit dem Portier, siehe oben) zurückkehrt und Investition des Geldes. Den Personalausweis darf ich in vier Wochen abholen.

Punkt 2: Pass. Der war mir irgendwie ans Herz gewachsen, trug er doch den letzten Eintrag meiner USA-Reise in sich. Hier kam zum ersten Mal das Problem auf, dass mein Geburtsort unfairerweise durch Eingemeindung in den 70ern seinen Namen geändert hatte. Gut, das passiert, war auch mit Bordmitteln korrigierbar. Das Bild sei zu dunkel (siehe oben), aber dafür kostete der Pass (weil bald fällig) keine Extra-Gebühren.

Wieder hoch zur Kasse und 26 Euro entlohnen. Die Damen und Herren, die in der Ausländer- und Asylbehörde anstanden (selber Gang) grüßten mich schon fast freudig, weil ich zum zweiten Mal kam (und deren Schlange war nicht kürzer geworden!).Dafür habe ich mir an der Kasse dann den Kommentar erspart, dass die aushängende Liste der genehmigten Unterschrift (immerhin gegengezeichnet vom Stadtkämmerer) mit dem Kringel auf meiner Quittung nicht in Übereinstimmung zu bringen war ...

Aber: Trotz einer Warnung durch den freundlichen Polizisten aus meiner näheren Umgebung bekomme ich noch keinen neuen Pass mit biometrischen Daten. Auch was wert. Den Pass darf ich in fünf Wochen abholen.

Punkt 3: Führerschein. Auf meinem alten Führerschein sehe ich ein wenig aus wie eine Mischung aus Rasputin und einem arabischen Terroristen (schlechtes Bild, Nase vor operativer Korrektur, keine Brille). Außerdem war „der Lappen“ inzwischen in einem Zustand, dass man ihm niemand mehr vorführen konnte. Aber ich durfte ihn entwertet behalten!

Also beantragte ich brav den EU-Führerschein. Die holde Mitarbeiterin sagte auch gleich, dass alle meine Daten auf den neuen Führerschein übertragen würden, ich würde nichts verlieren.

Es begann eine hektische Druckerei, dann erhielt ich ein Blatt zum unterschreiben. Da waren zwei Ankreuzfelder drauf. Das eine bezog sich auf den Traktor-Führerschein (hatte ich nie), das andere auf die Fahrerlaubnis bis 12 Tonnen (war in meinem alten Führerschein enthalten). Also machte ich ein Kreuz. Hektisch meinte die Dame „Aber dann muss ich alles neu ausdrucken!“ Mein zarter Hinweis, dass ja angeblich „alles“ übernommen würde, wenn ich einen neuen Führerschein beantrage, wurde ignoriert. Sie druckte genervt alles noch einmal aus.

Dann hatte sie meine Brille eingetragen. Sie hatte eingangs gefragt „Tragen sie die Brille beim fahren?“ Ich hatte „Ja!“ geantwortet. Korrekt wäre die Frage „Müssen sie die Brille beim fahren tragen?“ gewesen, aber solche kleinen Probleme irritieren deutsche Beamte nicht. Diskussion war sinnlos, ich bin jetzt Brillenträger (Was egal ist, weil ohne Brille bin ich eine Gefahr für den Straßenverkehr, mehr nicht. Aber in meinem alten Führerschein stand sie nicht, und man versprach mir doch Übernahme der Daten ...).

Dann kam der Absatz über Drogen und Behinderungen. Ich bin behindert, wollte also den Satz durchstreichen. Darf ich nicht. Ich erklärte kurz mein Problem, worauf sie mit einem Wedeln der Hand und einem „ist egal“ mich motivierte, schwungvoll die Lüge zu unterschreiben.

Dann war da noch mein Geburtsort ... Die anderen Mitarbeiterinnen waren motivierbar, mein „kleines Problem“ (siehe oben) zu ignorieren, aber hier war der Widerstand härter. Ich umschiffte ihn und akzeptierte einfach die falsche Darstellung meines offiziellen Geburtsorts. War ja auch egal.

Dann ging es wieder an die Kasse (28,55 Euro). Die Asylanten grüßten mich freundlich, nickten mir zu. Ihre Schlange war noch gleich lang. Den Führerschein bekomme ich zugeschickt. Dafür habe ich jetzt ein „Fahrerlaubnisrecht“ (ein Blatt Papier), dass es mir übergangsweise erlaubt, auch ohne Führerschein damit ein Kraftfahrzeug zu führen. Mitzuführen sind Personalausweis oder Reisepass ... Die hatte ich gerade verlängern lassen. Aber das war mir dann auch egal. Hauptsache raus!

Was lernen wir daraus?

Erstens: Immer nachfragen.

Zweitens: Nachfragen nicht vergessen.

Drittens: Aufsässigkeit schadet nicht.

Dein Homo Magi

Überreste

Lieber Salamander,

vor Jahren war ich als Lohnknecht an „meinem“ Institut für Geschichte angestellt. Scheinbar war ich einer von jenen, denen man zutraute, auch die eigenartigsten Aufgaben zu übernehmen – was auch richtig war. Immerhin wurden die meisten dieser Arbeiten sehr gut bezahlt und ich war arbeitswillig.

So hatte ich auch die Freude, die neuen Computerprogramm auszuprobieren. Eines war völlig unbenutzbar, ein Programm zur Erfassung von Statuenteilen (die Statuen werden natürlich nicht am Stück gefunden, sondern oft nur in Teilen) mit der Befehlssprache Latein (!). So was können sich nur Historiker ausdenken.

Eine Aufgabe war die Kartierung meiner Heimatstadt auf Grund von alten Zeichnungen, Grundrissen, Grundbuchauszügen im Wandel der Jahrhunderte. So was hatte ich schon einmal gemacht, nur ging es damals um Häfen am Rhein (das Projekt ist glorios und schrecklich teuer gescheitert!).

Wir waren drei Mitarbeiter, die sich die alten Unterlagen vornahmen und durch festgelegte Punkte in der Altstadt diese in der Simulation verorten konnten. Extern konnte die Quelle zu jedem Gebäude gespeichert werden, so dass die Angaben nachvollziehbar waren.

Die Objekte konnte nach der Positionierung noch verschoben werden, so dass räumliche Fehleinschätzungen einfach korrigiert werden konnten. Oft waren Grundmauern identisch, oder Kanalzugänge etc. gaben einem Hinweise darauf, wo ein Haus wirklich stand. Alte Stiche waren verzerrt, mussten von Hand angepasst werden und so weiter.

Die Eingabe erfolgte immer im gleichen Stil. So gab ich auch brav ein Eiscafe aus den 60er Jahren in die Datei ein, vertippte mich aber in der Jahreszahl (das Haus wurde so im 14. statt im 20. Jahrhundert gebaut). Lustig war, dass wir bei dieser Gelegenheit erst merkten, dass man keine Eingaben mehr löschen kann. Gebäude mussten mindestens ein Jahr stehen, bevor sie abgerissen werden durften ... so stand dort ein Gutshof, dann kam „mein“ Eiscafe, dann wieder der Gutshof. Das Eiscafe verblieb unvernichtbar im 14. Jahrhundert – und da ist es simulatorisch wahrscheinlich noch heute.

Gebannt in der Zeit steht dafür in meiner Heimatstadt – vielleicht als Spiegelung meiner Eingabe in die Datenbank – ein Eiscafe, dass sich seit 30 Jahren nicht verändert hat. Die Bedienung, die Einrichtung – alles sieht noch so aus, wie es als kleines Kind gesehen habe. Nur die Zeitschriften und die darin beschriebenen Königshäuser ändern sich.

Hat Gott sich auch vertippt, als er die Erde schuf? Wenn ja, dann ist nur ein einziger Fehler bei der Datenmenge der Erde unwahrscheinlich. Stirbt Cagliostro nicht, weil sein Todesdatum nicht eingetragen ist? Ist Henoch zum wandern verdammt, weil sein Todesdatum erst im 22. Jahrhundert liegt? Wurde Atlantis nur durch einen Eingabefehler im 6. Jahrhundert vor Christus durch Atlantik ersetzt?

Arme Unsterbliche, armes Atlantis – das ist eine Art von Welt, die ich glauben kann. Schlecht formatiert, schlecht gespeichert. Oder hat Gott nur skurrilen Humor (im Gegensatz zu Programmierern, die schlampig sind und das nachher als „Feature“ verkaufen?). Gott ist nicht wahnsinnig, nur manchmal verwirrt.

Das erklärt auch manche Zauber-Existenz, manches Feenland und manche andere Absonderlichkeit. Gott hat gehudelt. Schön.

Dein Homo Magi

Alpha und Omega

Hallo Salamander,

da sich Heiden gerne der modernen Kommunikationstechnologie bedienen, aber offensichtlich rechtschreibschwach sind (Quelle: Eigene Erfahrungen, viele Artikel, Mails und Telefongespräche mit Heiden), schlage ich ein Alphabetisierungsverfahren vor, um zumindest am Telefon die falsche Übermittlung von Namen (Auslöser hier: Diverse „gebouncte“ Mails an mich, weil meine Namen falsch abgeschrieben waren) zu unterbinden. Dies soll folgendermaßen funktionieren:

A                                   Atlantis

B                                   Baldur

C                                   Charon

D                                   Demeter

E                                   Edda

F                                               Fenris

G                                   Gral

H                                   Heimdal

I                                    Isis

J                                    Janus

K                                   Kedalion

L                                   Loki

M                                  Magier

N                                   Neptun

O                                   Odin

P                                               Persephone

Q                                   Quirinus

R                                   Ragnarök

S                                               Styx

T                                   Thor

U                                   Urania

V                                   Valkyrie

W                                  Walhalla

X                                   Xanthus

Y                                   Yggdrasil

Z                                   Zeus

Wie heiße ich? „Heimdal – Odin – Magier – Odin – neues Wort – Magier – Atlantis –Gral – Isis“. Damit dürften einige Probleme gelöst sein. Ein erster Schritt. Danach kommt eine eigene Heidenschrift (basierend auf dem Futhark), eine eigene Sprache (ich arbeite noch an den transitiven Verben) und ein eigener Fernsehsender. Wir werden siegen!

Dein Homo Magi

Fernsehen

Hallo Salamander,

scheinbar haben meine Ideen zum Heiden-Fernsehen doch einiges an Nachdenken ausgelöst.[13]

Denkbar wäre ein Programm, das rund um die Uhr Sendungen für Heiden bringt. Vielleicht unter dem Namen „Heidiheida“ oder „HTV“ („Heathen TV“ – wir Deutschen müssen ja alles auf englisch ausdrücken).

Eine konkrete Programmplanung habe ich auch schon im Kopf. Vormittags dachte ich an Hausfrauenprogramm. Sachen wie „Zaubert nicht – gibt’s nicht“, „Aus dem Hexengarten frisch auf den Tisch“ oder „Die Superwicca“ (mit Hinweisen in Erziehungsfragen).

Mittags gäbe es dann Kinderprogramm (natürlich kann man ein paar Serien der 70er einkaufen; „Bezaubernde Jeannie“, „Mork vom Ork“, „Mr. Ed, das sprechende Pferd“ und „Catweazle“ bieten sich an) und Spielshows („Abrakadabra – simsalabim“ mit Ilja Richter wäre toll).

Am Spätnachmittag dann Shows („Wer war ich – die Show für Reinkarnauten“) und Reality-TV („Dr. Strange – der Magier, dem die Frauen vertrauen“, „Im Heidengericht“ und „Gute Zauber – schlechte Zauber“).

Abends kommen dann die bekannten Container-Shows („Sechs Wochen leben sieben Heiden aus acht Traditionen der neun Welten gemeinsam in einem unbeheizten Keller – wer wird überleben?“), Wahl-Shows („Deutschland sucht den Supergoden“) und Spielfilme („Halloween“ mit allen Teilen, „Rosemaries Baby“ und deutsche Eigenproduktionen in Serie a la „Zauberort“ und „Rettungsruf Schwarze Hexe“). Natürlich muss bei deutschen Serien die Ausleuchtung Scheiße sein und die Dialoge hölzern – so kennt das Publikum das aus dem „echten“ Fernsehen.

Schließlich spätabends und nachts Schmuddelfilme mit zwischengeschalteten Werbungen für Geräte, die keiner braucht („Dieser Zauberstab kommt zusammen mit einem Zauberstabhalter und einem hochwertigen Politurtuch“, „Weihrauch, wie ihn keiner in der Nachbarschaft hat – einfach anrufen, wir liefern innerhalb von 48 Stunden“, „Unser Penisverlängerungszauber wird diskret verpackt geliefert“) und für Dienstleistungen, die keiner möchte („Beschwör – peitsch – nur – peitsch – mich – peitsch!“, „Willige Djnnies lesen ihnen jeden Wunsch von den Augen ab“, „Sex mit Drachen muss kein Traum bleiben“).

Nachts eine Stunde Testbild von 4.00 Uhr bis 5.00 Uhr, damit sich die Augen beruhigen können. Das fällt dann auch keinem mehr auf.

Dein Homo Magi

Der erste Eindruck

Hallo Salamander,

Vorurteile kann nur der abbauen, der sie realisiert, daher seine Einschätzungen vom Unbewussten ins Bewusste holt und reflektiert. Ich versuche auch, dies in meinem Leben umzusetzen.

Auslöser war für mich ein englisches Partyspiel des edwardianischen Zeitalters, das mich ins Nachdenken brachte. Da wurden Männer bei Trinkpartys aufgefordert zu beweisen, dass sie wirklich Männer sind – was ohne Ausziehen am Ende nicht zu beweisen war (primäre Geschlechtsmerkmale und so). Der Trick ist aber, dass man kalt lächelnd auf seine Adamsapfel verweist – der völlig ausreicht, um einen als Mann zu identifizieren. Das ließ mich darüber nachdenken, wie ich andere Menschen sehe, beurteile und einschätze.

Was beobachte ich bei einem Menschen?

Seine Haare – sind sie echt, gefärbt, künstlich gewellt oder gelockt? Wie ist die Haut – im Solarium gebräunt oder echt durch Arbeit im Freien wie Leder geworden? Der Hals kann einem viel über das Alter sagen, weil er nicht geliftet wird. Die Hände sind auch lehrreich. Sind sie voller Schrammen und Schrullen oder glatt wie die eines Babys? Sind die Monde der Nägel zu sehen, sind die Nägel abgekaut, aufgeklebt oder gefeilt? Trägt mein Gegenüber Ringe oder Schmuck an den Händen?

Wie sehen die Füße aus? Sind die kleinen Zehen verstümmelt, weil man sie zu oft in kleine Schuhe gezwängt hat?

Wie sehen die Zähne aus – gerade oder ungerade, künstlich oder echt, glänzt einem Gold entgegen oder verschalt hier jemand mit Porzellan?

Wie sehen die Augen aus? Wie stehen sie im Gesicht? Wie sind die Wimpern, wie sind die Brauen?

Wie sieht das ganze Gesicht aus? Wie die Ohren – die bis zum Ende beim Menschen wachsen, daher haben alte Menschen so große Ohren. Wie ist das Kinn – energisch oder eher weich, hat es ein Grübchen oder vereinzelte Haare?

Ist das Gesicht geschminkt? Ist es gepierced, tätowiert, vernarbt?

Wie sieht der ganze Körper aus? Stimmen die Proportionen? Bewegt sich der Mensch schön und geschmeidig, so wie ein Tiger? Ist die Kleidung in sich und zum Typ passend?

Wie ist die Stimme – rauchig lasziv oder eher schrill und unangenehm?

Wie riecht der Mensch – nach Parfüm oder nach einem menschlichen Geruch, nach billiger Chemie oder teuren Flacons?

Was fühle ich mich in seiner Nähe? Stellen sich meine Nackenhaare auf oder bin ich entspannt und zufrieden, wenn ich ihn sehe?

Welche Spuren hat das Leben im Gesicht hinterlassen, an den Händen, an den Beinen, den Armen, dem Körper? Gibt es Narben oder ähnliches (Brandspuren? Narben? Nähte?)? Gibt es Male, Zeichen, Markierungen?

Ist der Mensch in sich schlüssig? Passt er zusammen?

Was für eine Uhr trägt er? Wie ist seine Aussprache? Hat er einen Dialekt, einen Sprachfehler, einen eigenartigen Sprachduktus?

Trägt seine Kleidung Aufschriften, Symbole, Slogans? Was für Marken trägt er?

Passt alles zusammen?

Ist er mir sympathisch?

Wenn ich soweit bin, habe ich das Vorurteil hoffentlich durchbrochen. Die meisten selbsternannten Magier kommen nicht einmal soweit, dass sie Augen, Nase, Hände nutzen, um etwas zu erfahren. Sie überspringen die „einfachen Sinne“ und beginnen mit der hohen Schule der Magie. Aber ein Haus ohne Fundament sackt ab – wie sie.

Dein Homo Magi

Der zweite Eindruck

Hallo Salamander,

neben den rein körperlichen Merkmalen (über die ich mich das letzte Mal ausgelassen habe) gibt es natürlich auch andere, eher persönliche Merkmale, die ich auch interessant finde, wenn ich Menschen betrachte.

Ich habe (zum Glück) ein sehr gutes Gesichter-Gedächtnis, so dass ich mich an Menschen lange erinnere. Die Frage ist oft nur, woher kenne ich meinen Gegenüber eigentlich? Im Zweifelsfalle gilt: „Immer grüßen!“. Wenn mir jemand bekannt vorkommt, dann nicke ich ihm freundlich zu. Ob wir uns dann wirklich kennen, kann man ja später klären. (Wobei meine Trefferquote über 99 % liegt, von daher bin ich ganz zufrieden mit mir. Und im allerschlimmsten Fall kann man immer noch behaupten, dass der Gegenüber jemand ganz arg ähnlich sieht, den man von früher kennt ...)

Was interessiert mich noch an Menschen? Eigentlich alles. Ihr Beruf, ihre Ausbildung, ihre Hobbys, ihre Angewohnheiten, Ticks und Muster. Ihre Familie, ihre Abstammung, ihre Erziehung, ihre Ansichten zu Politik, Religion und Familie.

Gut, ich habe mit der Sozialarbeit einen Beruf gewählt, der es mir ermöglicht, meine Neugier locker auszuleben. Ich bin dort sogar dazu gezwungen, mich mit anderen Menschen zu beschäftigen. Ich muss herauskriegen, wie sie funktionieren, was sie bewegt, wie man sie erreichen kann. Man wird so etwas nicht, weil man diese Gabe überhaupt nicht hat (und man kann so noch relativ ungefährdet seine eigene Neugier befriedigen ...).

Einen Einwand, fast schon eine Warnung, muss ich dazu abgeben: Nur wer über sich selbst etwas herausrückt, wird von anderen Menschen etwas erfahren. Das reine „Einsaugen“ von Informationen wird von Menschen mit Ablehnung quittiert. Das kann ich völlig verstehen, mir geht es – wenn es mir umgekehrt passiert – genauso.

Doch wie wollen wir Menschen finden, die sich mit Magie und Heidentum beschäftigen, wenn wir nicht bereit sind, diese erste Stufe des Vertrauens zu liefern und selbst über das zu sprechen, was uns bewegt? Ich bin kein Freund der Silberbehängung mit heidnischen Symbolen zur Selbstbezichtigung als Heide. Andere Gruppierungen machen das auch nicht so – oder tragen Kommunisten vielleicht eine rote Schärpe und Nazis alle eine Glatze? Reden ist der Schlüssel zur Kommunikation, Reden ist die einzige Chance, Vertrauen aufzubauen und Missverständnisse abzubauen.

Wie viele großkopferte Heiden kenne ich, die darauf warten, dass sie angesprochen werden? Ausgesprochen hübsch stehen sie in der Landschaft herum und warten darauf, dass sie gefragt werden, warum sie mit wehenden Haaren, Pentagramm um den Hals, schwarzer Kutte und Schlangenring an der linken hand auf einer Wiese stehen und dabei ausgesprochen formschön eine filterlose Zigarette rauchen?

Falscher Ansatz. Glaube mir. Falscher Ansatz.

Dein Homo Magi

Grünlippmuschelsucher

Hallo Salamander,

ich stelle ihn mir als wettergegerbten Mann vor, der einen Lederhut und ein dickes Messer immer bei sich hat. Eine Art „Magic Jones“, der auf der ganzen Welt herumreist und Überproduktionen von örtlichen Farmern und Bauern aufkauft.

„Sie haben zu viele Aloe Vera? Kein Problem – ich gebe Ihnen zwei Euro für die Tonne von dem Müll.“ Das Zeug wird dann nach Europa oder USA verschifft und dort in kleine Fünf-Gramm-Tüten gepackt. Die Tüten gehen dann für 25 Euro über den Tisch, aber jetzt sind sie mit programmiertem Wasser gereinigt, in ökologisch unbedenkliche Plastiktüten gepackt und von einem Drittgrad-Wicca gesegnet.

„Grünlippmuscheln? Kaktussamen? Salz aus dem Himalaya? Radioaktives Wasser aus Frankreich? Her damit, ich kaufe die Reste auf.“ So oder so ähnlich wird der gute Mann vor Ort vorstellig und plündert die natürlichen Reservoirs der Erde aus, um uns Esoterik-Käufer glücklich zu machen. Und die Verkäufer leben noch in dem Gefühl, einen guten Handel gemacht zu haben.

Esoterik ist ein Phänomen der ersten Welt – der reichen Industriestaaten, die alles haben und noch mehr wollen. Wenn die Kaufkraft vorhanden ist, dann sollte sie auch abgeschöpft werden. Wenn dieses Abschöpfen mit normalen Gütern und Luxusartikeln nicht mehr möglich ist, dann ist es Zeit für Dinge, die keiner braucht.

Mein Plattenspieler ging jahrzehntelang supergut, der Klang war auch zufriedenstellend. Jetzt gibt es keine Langspielplatten mehr und ich durfte meine Sammlung umstellen. Videos? Weg damit und durch einen DVD-Player ersetzen. Hier kann man noch Umsatz machen.

Der esoterische Bedarf ist eine ähnliche Entwicklung. Erst schafft man ein Bedürfnis, dann befriedigt man es. Kein Mensch wusste vor dem Tag X, was Grünlippmuscheln sind. Dann begann eine clevere Marketingstrategie und in jedem Reformhaus und jedem Eso-Shop bekam man das Zeug. Online natürlich auch zu günstigen Konditionen.

Das ist clever.

Trotzdem weigere ich mich, da mitzumachen. Die nächste Auflage mit Büchern a la „Heilkräuter aus Mutters Garten“ oder „Natürlichen Heilmittel aus dem Odenwald“ steht bestimmt bevor, von daher kann ich abwarten, bis wieder einmal (mangels Angebot teurer und sinnloser Produkte) Dinge en vogue sind, die (fast) nichts kosten. Dann bin ich wieder dabei.

Ob es hilft, ist eine andere Frage.

Aber wer sein Wasser verwirbelt, der glaubt auch ganz andere Dinge.

Nebenbei: Kopfschmerztabletten helfen auch gegen die meisten Probleme, aber die sind in der Hand der bösen Industrie und daher abzulehnen. Oder?

Dein Homo Magi

Bewerbungen

Hallo Salamander,

vorgestern hatte ich ein Bewerbungsgespräch. Ich hatte mich auf eine „Leistungsfunktion“ beworben – so was macht man in meinem Alter, wenn man reich und berühmt werden möchte (oder wie ich einfach nur banal die Schulden aus dem Studium zurückzahlen will ...).

Ich hatte meine Bewerbungsunterlagen brav aufbereitet, hingeschickt und gehofft. Die Antwort kam: Ich war geladen.

Auf das Gespräch hatte ich mich brav vorbereitet, wie es meine Art ist. Aber auf das, was dann kommen würde, konnte mich keine Macht der Welt (oder einer Überwelt) vorbereiten. Ich kam etwas zu früh zu meinem Termin (das ist wohl üblich), doch dann durfte ich erst einmal 35 Minuten in meinen Termin hinein warten. Ich hatte was zu lesen mit, aber ärgerlich war es trotzdem.

Der ständige Kommentar war dann auch später „Wir müssen auch auf die Zeit schauen ...“. Mein Gespräch hat nicht einmal 45 Minuten gedauert, ich wurde mehrmals gedrängelt und hatte – wie gesagt – schon eine ganze Weile warten dürfen. Nunja, dafür war die restliche Geschichte auch ausgesprochen peinlich.

Vier Leute (!) führten mit mir das Gespräch. Wir saßen um einen Tisch mit 10 bis 12 Plätzen herum (mehreckig) – sie auf der einen Seite, ich auf der anderen Seite. Schon mein Versuch, allen die Hand zu schütteln, scheiterte fast daran, dass ich um den Tisch nicht herumkam. Dabei hat man mir brav beigebracht, dass so etwas zum „guten Ton“ dazu gehört. Auch die Sitzordnung war für ein Bewerbungsgespräch eher hinderlich. Aber ich wollte nicht gleich nölen.

Ich bekam einen Kaffee angeboten, der auch brav vor mir stand. Den nahm ich mir dann.

Zuerst stellte die Leiterin ihre Institution vor. Das wusste ich schon alles aus der Ausschreibung und ein einfacher Blick ins Internet hat mir alles erklärt, was sie mir auch sagte. Aber ich wollte nicht reingrätschen.

Dann kam an mich die Aufforderung, meinen Lebenslauf zu referieren. Den hatten alle vor sich liegen, aber ich habe dann brav noch einmal mein Leben erzählt. Ich hatte die Jahre vorher memorisiert, von daher machte ich hier keinen Fehler (wäre auch zu peinlich gewesen).

Das Vorstellungsgespräch sah dann so aus, dass die gemeinsam eine Fragenliste abarbeiteten, so etwa 40-50 Fragen. Nach ungefähr 10 Fragen wechselte der Sprecher und der nächste der Vier kam dran. Überpeinlich, ein Gespräch oder gar eine Diskussion kam überhaupt nicht ins Rollen. Ich hatte immer nur einen Gesprächspartner, die anderen kritzelten ihre Zettel voll.

Die Fragen waren überpeinlich. Meist ging es um Situationen, in denen ich meine Reaktion beschreiben sollte – aber das war so lächerlich, dass ich es in Worten kaum fassen kann. War ich mal weitschweifig, weil die Frage nicht einfach war, bekam ich mit dem Hinweis „Aber die Zeit ...“ einen Dämpfer. War ich kurz, schauten mich alle auffordernd an, als hätte ich zuwenig gesagt. Toll!

Im zweiten Drittel kam dann eine Fachfrage. Ich war schon so genervt, dass ich gefragt habe, ob ich für die Antwort jemanden anrufen könne ... Das haben meine Gegenüber nicht goutiert, ich fand es lustig. Aber da hatte ich schon den Punkt erreicht, wo mir klar war, dass ich hier nur mit Chuzpe überleben kann – ohne dabei irre zu werden oder denen zu sagen, dass ich so etwas peinliches schon lange nicht mehr erlebt habe.

Die ersten drei Minuten war ich noch aufgeregt, dann machte sich in mir das „Big Brother“-Feeling breit – sicherlich ist das hier nur eine Ausgabe von einer Live-Show oder eine Art „Verstecke Kamera“ a la Amt und ich werde gleich von einem lachenden Moderator begrüßt. Ziemlich offensichtlich war ich bei den Bewerbungen der Quoten-Schwerbehinderte, den man nur eingeladen hatte, um gegenüber Personalrat und Schwerbehindertenvertretung ein Feigenblatt zu haben. Das war mir schnell klar, von daher konnte ich locker mit der ganzen Sache umgehen.

Das Gespräch ging weiter; meine Antworten wurden immer flapsiger, der Zeitdruck immer enger.

Am Ende erzählte man mir dann noch, dass die Stelle so schnell wie möglich besetzt werden sollte – mit einer Reaktion von ihnen sei aber wohl erst in vier Wochen zu rechnen. Wie ich das meinem Arbeitgeber klar machen sollte, das hat sie nicht interessiert.

Flitzpiepen.

Mein Mitbewohner meinte nachher richtig, die würden mich nur anstellen, wenn sie jemanden suchen, der nicht in Panik gerät und Mut zeigt. Das ist eine Behörde, von daher glaube ich nicht dran. Wir werden sehen, was das Leben bringt – und Wunder geschehen immer wieder, auch in Ämtern.

Am Ende war ich nicht nur geladen worden, sondern auch geladen ...

„Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n!“

Dein Homo Magi

Umfall

Hallo Salamander,

gestern war ich mal wieder beim Arzt, eine Infusion kriegen. Während der Behandlung bin ich dann ohnmächtig geworden. Als die Schwestern mich weckten, war ich erst total verwirrt, wurde dann ausfällig und aggressiv.

Keine angenehme Erfahrung. Ich habe dann eine halbe Stunde gebraucht, um wieder klar zu werden. Nicht gerade ein Umstand, der mich glücklich macht – lege ich doch auf meine Wahrnehmung und Intelligenz großen Wert.

Die Auskunft des Arztes war dann beruhigend: Das Wetter (warm-kalt-warm-kalt), die Infusion und Stress können so etwas schon verursachen. Er hat mich dann für ein paar Tage krank geschrieben. Ich werde jetzt lesen, faulenzen und mich ausruhen.

Mit diesem Gefühl im Rücken („Ja, ausspannen muss auch mal sein, wenn man viel Stress hat“) geht es mir besser. Aber jetzt hänge ich erst einmal ein paar Tage ab, schlafe lang und versuche ein paar Bücher abzuarbeiten, die sich hier gestapelt haben.

Also: Ich faulenze.

Dein Homo Magi

Cthulhu herrscht!

Hallo Salamander,

die amerikanischen Abgeordneten haben sich selbst ein Bild von den Zuständen in Guantanamo gemacht. Folgender wundervoller Absatz findet sich in der Zeitung:

In einem Fall wurden die Abgeordneten Zeugen, wie eine Vernehmungsbeamtin einem Gefangenen über Stunden aus einem „Harry Potter“-Roman vorlas. Er wandte ihr den Rücken zu und hielt sich beide Ohren zu.[14]

Ausgerechnet „Harry Potter“? Ging es da nicht in eine Band um einen Terroristen, der aus einem Hochsicherheitsgefängnis ausbrach, um den friedlichen und freiheitsliebenden Harry zu töten? Stellte sich nicht in der Handlung heraus, dass der Gefangene unschuldig war und unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten worden war?

Vielleicht versuchen die Amerikaner doch subtil, den Gefangenen zu helfen, weil sie erkannt haben, dass die Inhaftierung ohne Verfahren und Anwalt unrechtmäßig ist?

Oder ist es der ernst gemeinte Versuch, islamische Terroristen durch das Vorlesen von „Harry Potter“ zu resozialisieren?

Und dann bleibt noch Variante drei: Konnte der Gefangene überhaupt englisch?

Alle drei Möglichkeiten werfen kein gutes Licht auf den Zustand unserer Welt. Im ersten Fall versuchen amerikanische Soldaten, den Gefangenen subtil zu helfen – das heißt, dass zumindest ein Teil der Truppen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung der Gefangenen hegt. Wie sagte der US-Vizepräsident doch zu dem Thema: „Sie leben in den Tropen. Sie werden gut genährt. Sie haben alles, was sie sich nur wünschen können.“ Da bin ich anderer Meinung – die meisten Gefangenen wohl auch (zumindest beim Teil mit den Wünschen wäre ein Dissens zwischen den Gefangenen und der amerikanischen Regierung vorstellbar).

Zum zweiten Ansatz kann ich nur sagen, dass er eine Menge über das amerikanische Verständnis von Literatur und Resozialisierung sagen würde – aber immerhin lesen sie nicht „Der kleine Prinz“ vor, das ist doch schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung.

Der dritte Ansatz ist die wichtigste Frage: Verstand der Gefangene überhaupt, was ihm da vorgelesen wurde? Versteht der klassische islamische Terrorist englisch? Wer keinen Prozess bekommt, der muss auch nicht die Sprache verstehen, in der er befragt werden soll.

Alle Überlegungen bestätigen mich nur in meiner These, dass sich die Welt dem Wahnsinn nähert. „Harry Potter“ ist ein cleverer Versuch, diesen Wahnsinn voranzutreiben. Entweder die Wache liest ihn, weil sie selbst wahnsinnig ist, oder sie liest ihn, weil der Gefangene wahnsinnig ist oder sie liest ihn, weil sie wahnsinnig ist und der Gefangene auch wahnsinnig werden soll.

Wie auch immer: Cthulhu wird immer mächtiger. Die Islamisten kämpfen gegen Cthulhu, der mit den USA verbündet ist (was das Pentagon in Form eines Fünfecks und den Anschlag darauf erklären würde).[15] Wir sind Handlanger der USA und damit Handlanger Cthulhus. Das würde einigen Wahnsinn in der BRD erklären.

Vielleicht sollte ich mich doch auf die Seite der Großen Alten schlagen?

Dein Homo Magi

P.S.: Es sollte mich dann auch nicht wundern, dass das Paar, das am längsten verheiratet ist (John [101] und Amelia Rocchio [99]) in Provicene/Rhode Island geheiratet haben – und zwar 1923. Ich nehme an, dass das beides Deep Ones sind, die nur menschlich aussehen.[16]

Die Welt am Morgen

Hallo Salamander,

aus Arbeitsgründen (mein Nebenjob rief) musste ich heute morgen das Haus gegen 5.30 Uhr verlassen. Ist schon lustig, wie die Welt sich verändert, wenn man so früh mit Bus und Bahn unterwegs ist.

Die Kneipe, die sonst immer auf hat („Pilsstube – 6.00 Uhr bis 5.00 Uhr durchgehend geöffnet“) war zu. Die Leute frühstücken im Bus, schminken sich in der Bahn, lesen Zeitung, lassen den Tag (nun gut, es war auch Montag) ausgesprochen ruhig angehen. Eigentlich angenehm.

Und die Welt sieht irgendwie „frisch“ aus. Ich kann es anders nicht erklären. Die Straßen waren fast leer, dafür mit einem leichten Regenfilm versehen. Der Bus hatte vielleicht fünf Fahrgäste, der erste Zug (eine Regionalbahn) war im Raucherabteil auch leer (und das, obwohl im ganzen Zug nur ein halber Wagen für Raucher ausgewiesen war – langsam geht mir die Gesundheitserziehung ziemlich auf den Sack!).

Der zweite Zug (ein ICE) war dann schon voller, aber da waren die klassischen Montag-weit-zur-Arbeit-Pendler drin. Die kannte sich alle, hatten viel zu klönen und waren offensichtlich nicht das erste Mal in dieser Gruppe unterwegs.

Der dritte Zug (wieder ein Regionalzug) war dann schon in dem Zeitloch, in dem man die Pendler da hat. Es sind Schulferien – also keine nervigen Schüler mit Schrank-förmigen Ranzen, die man bei jeder Gelegenheit in die Fresse gehauen bekommt.

Die Welt war halt doch „frisch“ – und angenehm. Ich konnte das nicht jeden Morgen tun (dann schlafe ich irgendwann im Zug ein), aber als nette Abwechslung ist das eine amüsante Neuerung.

Jetzt muss ich meine Stadt nur noch zwischen 2.30 Uhr und 4.30 Uhr erkunden – aber da bin ich nicht mutig genug für (und es ist definitiv nicht meine Zeit ...).

Dein Homo Magi

Nazis bei Nacht

Hallo Salamander,

gestern saß ich nichts ahnend gegen 23.00 Uhr bei Hitze am Computer und spielte ein wenig vor mich hin. Von außen tönte immer wieder von der gegenüberliegenden Straße Musik herüber, die durch das wegen der Hitze geöffnete Fenster ungehemmt Zugang zu meiner Wohnung erhielt.

Ich hörte nur mit einem Ohr zu. Okay, 23.00 Uhr ist relativ spät für laute Musik, aber es ist Sommer und irgendwie wollte ich nicht als der Super-Spießer in die Geschichte meiner Nachbarschaft eingehen.

Irgendwann fiel einem Teil meines Bewusstseins auf, dass Textfetzen wie „Wollt ihr den totalen Krieg?“ und „Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“ nichts in nächtlicher Partymusik zu suchen hatten. Mein Unwissen in diesem Bereich mag erklären, warum ich die offensichtlich klar zu identifizierende Neonazi-Musik (fragt mich nicht nach Bands, da kenne ich mich nicht aus) erst aufmerksam hörte, als ich Goebbels schneidende Diktion heraushörte. Der Historiker in mir hat wieder zugeschlagen.

Einige Momente lang musste ich wirklich überlegen, was ich tue. Dann entschloss ich mich – eigentlich ausgesprochen widerwillig – zum Anruf bei der Polizei. Ist nicht meine Art, da komme ich mir immer vor wie eine Petze.

Der Herr bei der Polizei war sehr freundlich, nahm meine Daten auf und versprach auch eine Streife vorbeizuschicken. Sie wollten sich noch einmal melden, aber es sei schon spät, daher ... Heute morgen habe ich dann angerufen und nachgefragt. Die waren wirklich da, hörten auch lauten „Heavy Metal“ (das ist aus dem Polizeibericht), aber keine faschistischen Textfragmente. Also keine Anzeige, aber sie haben geguckt. Ich war zufrieden.

Dann legte ich meine Hände auf meinen dicken Bauch und dachte mir: Bist du schon soweit, dass du wegen jeder Scheiße die Polizei rufst? Nein, bin ich nicht. Aber Samstag Abend, 23.00 Uhr, nur mit einer kurzen Trainingshose bekleidet bin ich nicht in der Lage, dem Faschismus eine ernstzunehmende Rotfront entgegenzuhalten. Aber die Polizei. Und die haben es versucht.

Meine Entscheidung erschien mir dann nach vielem Nachdenken als eindeutig richtig. „Sie werden nicht durchkommen“ – alles andere ist unwichtig. Und so unfreundlich waren die Polizisten auch nicht. Ehrlich!

Dein Homo Magi

Bulwer-Lytton

Hallo Salamander,

was durfte ich der Zeitung entnehmen: Der amerikanische Software-Spezialist Dan McKay ist mit dem diesjährigen Bulwer-Lytton-Literaturpreis ausgezeichnet worden?

Wow. Bulwer-Lytton. Was sagt die Wikipedia dazu:

Bekannt ist Bulwer-Lytton hauptsächlich für seinen Roman „Die letzten Tage von Pompeji“. Darüber hinaus kennt man auch sein Spätwerk „The Coming Race“. In diesem beschreibt er eine unterirdisch lebende Gesellschaft, die eine geheime Kraft beherrscht. Dieser Mythos lebte später in der (fiktiven) Vril-Gesellschaft fort und wurde nationalistisch bis rassistisch entfremdet.

Bulwer-Lytton hatte auch eine beachtliche politische Karriere vorzuweisen. Er war lange Jahre Mitglied des britischen Unterhauses (zunächst für die Liberalen (1831–41) und später für die Konservativen (1852–66)); außerdem war er 1858 unter Derby – wenngleich nur recht kurz – Kolonialminister, 1866 als Baron Lytton of Knebworth zum Peer ernannt.

(...) In Radioessays, mit der Übersetzung zweier Werke ins Deutsche und durch die aufnehmende Verarbeitung in eigenen Prosawerken unterstrich Arno Schmidt in den letzten Jahren seines Schaffens die Bedeutung von Bulwer-Lytton.

Seine Frau Rosina Bulwer-Lytton war ebenfalls Romanschriftstellerin, sein Sohn Robert Bulwer-Lytton war Vizekönig von Indien.[17]

Wow. Von dem habe ich auch einige Werke gelesen, die mich alle sehr beeindruckt haben. „Zanoni“ kann man schon als Klassiker betrachten.[18] Auch die Kurzgeschichte „Der Teufelsadvokat“ hat mich sehr begeistert.

Doch was muss ich dann weiter lesen? Es geht überhaupt nicht um sein esoterisches Werk:

Im 20. Jahrhundert gelangte Bulwer-Lytton zu ganz neuer und unerwarteter Popularität durch den nach ihn benannten „Bulwer-Lytton fiction contest“. In diesem Wettbewerb geht es in verschiedensten Kategorien darum, den schlechtesten möglichen Anfangssatz eines (fiktiven) Romans zu schreiben. Grund dafür, dass ausgerechnet Bulwer Lytton als Namenspatron für diesen wenig ehrenhaften Wettbewerb herhalten musste, ist sein berühmt gewordener Anfangssatz zu seinem Roman „Paul Clifford“: „It was a dark and stormy night ...“. Dieser Satz inspirierte selbst Peanuts-Hund Snoopy zu schriftstellerischen Meisterleistungen.[19]

Toll. Aber wenn man dann den Eröffnungssatz liest, der den Preis bekommen hat, dann weiß man alles, was man über den Preisträger wissen muss:

Als er auf ihren fülligen Busen starrte, erschienen ihm in einen Tagtraum die zwei Stromberg-Vergaser seines Oldtimers Triumph Spitfire, die zwar in höchstem Masse funktional, aber auch angenehm geformt waren, hoch auf der Spitze des Einlasskrümmers aufsaßen und nach erfahrenen Händen lechzten, und deren Öldämpfer mit ihren kleinen gerändelten Kappen darum flehten, gemäss der Gebrauchsanweisung aus dem Laden inspiziert und angepasst zu werden.[20]

Wie tief ist die Esoterik gesunken ...

Keine Fragen mehr.

Dein Homo Magi

Geweihte Linden

Hallo Salamander,

auf der Rückfahrt aus dem Urlaub bin ich mal wieder in Weihenlinden eingekehrt. Ein netter Ort in Südbayern, der neben einer geweihten Quelle, einer schönen Kirche und einem guten Dorfrestaurant eigentlich wenig zu bieten hat (sieht man davon ab, dass er am Rande meiner Reiseroute lag und die die Autobahn entlastende Bundesstraße nur wenige Kilometer an ihm vorbeiführt).

Also habe ich mal wieder die Wallfahrtskirche besucht (die immer noch so schön ist wie beim letzten Besuch), einen Kanister vom heiligen Wasser mit genommen (das immer noch so gut ist wie beim letzten Besuch), das Landgasthaus besucht (das immer noch – aber das kannst du dir wahrscheinlich denken) und endlich die Gelegenheit genutzt, mich etwas mit der Geschichte der dortigen Kirche auseinander zusetzen.

Das Heftchen kostete einige Euro, war aber das Geld nicht wert. Außer vielen baulichen Anmerkungen umfasst der geschichtliche Teil nur wenige Zeilen. Bevor ich diese zitiere, hier ein paar Dinge, die mir aufgefallen sind, als ich mir die Kirche anschaute:

·                    Kirche steht in Flucht zur Kirche im Nachbarort. Dazwischen keine Bebauung, nur eine Reihe Linden.

·                    Das Wasser scheint aus großer Tiefe zu kommen. Die heilsame Wirkung hat zumindest auf meine Schleimhäute gewirkt und es schmeckt auch nach Tagen im Plastikkanister gut.

·                    Die Menschen scheinen an den Ort zu glauben, denn immer wieder kommen Pilger hierher und es gibt auch Wunderheilungen (Glaube versetzt Berge, ich weiß).

Jetzt der Text aus dem Heftchen:

Wo heute die Kirche Weihenlinden steht (...) befand sich zu Anfang des 17. Jh. ein eingezäunter Platz, in dem zwei mächtige Lindenbäume, die ‚Weichlinden’, und eine steinerne Martersäule standen. Nach der Volksüberlieferung sollen hier drei vornehme Männer begraben sein und die Nachbarschaft hegte ehrfürchtige Scheu vor diesem ‚Weichlindengarten’. (...)

Als Arbeiter hier nach Wasser für den Bau gruben und ihre Arbeiten schließlich als vergeblich aufgeben wollten, seien ihnen, so berichtet die fromme Überlieferung, drei geheimnisvolle Pilger erscheinen, die ihnen Erfolg und reichen göttlichen Segen ankündigten. Im Vertrauen darauf gruben die Männer weiter und fanden einen goldenen Ring, um den sich allerlei Legenden ranken; gleich darauf sprudelte auch eine ergiebige Quelle aus dem Boden. Der Münchner Kapuzinerpater Johann Chrysostomus gab (...) den Rat, wegen der Form des Ringes die Kapelle ‚in die Rund zu formieren’ (...)

Der deutschen Wikipedia verdanke ich folgende zwei Hinweise auf den Beinamen Chrysostomus:

Johannes von Antiochien (* 349 oder 344; † 14. September 407 in Comana Pontica) war Patriarch von Konstantinopel und gilt als einer der größten christlichen Prediger. Im 6. Jahrhundert wurde ihm der Name Chrysostomos beigelegt, (v. griech.: ‚Goldmund’), unter dem er heute bekannt ist. In den östlich-orthodoxen Kirchen wird er seit dem 10. Jahrhundert als einer der drei heiligen Hierarchen verehrt, zusammen mit Basilius dem Großen und Gregor von Nazianz. Für die Katholische Kirche ist er einer der vier Kirchenlehrer des Ostens (zusammen mit Athanasius von Alexandria, Basilius von Caesarea und Gregor von Nazianz).

Wolfgang Amadeus Mozart, vollständiger Name: Johannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus Mozart (* 27. Januar 1756 in Salzburg; † 5. Dezember 1791 in Wien) war ein bedeutender Komponist.

Schöne Bedeutungskette. Drei Männer liegen dort begraben, drei Priester wiesen auf das Wasser hin, ein goldener Ring und ein goldener Mund. Klingt nicht sehr christlich, wenn man sich das alles anschaut, oder?

Heidnische Orte sind überall, wir müssen sie nur finden.

Dein Homo Magi

Unter Wasser

Hallo Salamander,

die letzten Tage habe ich mehr oder weniger mental „unter Wasser“ zugebracht. Ein netter Infekt (irgendwo zwischen Grippe, Erkältung und Beulenpest) hat mich flach gelegt. Ärgerlich war der Aspekt, dass ich mich nicht einmal krank melden konnte. Nein, ich bin noch krankenversichert und ich bin auch weiterhin in der Lage, rein krafttechnisch einen Hausarzt zu erreichen (obwohl mein Hausarzt sicher Schi fahren in den Abruzzen ist, weil Schulferien sind), aber ich habe zum Ende des Monats gekündigt – und ich habe nicht mehr genug Arbeitstage bei meinem alten Arbeitgeber, um mich krank schreiben zu lassen, da ich die Urlaubstage eh nicht erstattet bekommen würde. Und bevor die verfallen, da bin ich lieber krank im Urlaub.

Aber diese Erkältung ist schon eine mentale Herausforderung. Ab und an fiel ein Ohr zu (immer das, was man gerade gebraucht hätte, um am Gespräch teilzunehmen), der Hals tat weh, die Nase lief und lief (beeindruckend ist, dass trotz Menthol-Taschentüchern – gesund! gesund! gesund! – die Oberlippe nach wenigen Tagen das Gefühl vermittelte, sie wäre anstatt mit dem guten Tandem-System mit rostigen Brotmessern abgeschabt worden). Dazu kamen dann Schwindelgefühle, ein miserabler Kreislauf (ansonsten tauge ich schon nicht zum Teilnehmer am Iron-Man-Contest, aber dann wird es richtig übel) und natürlich blieb keine Ecke des Kopfes frei genug, um sich ernsthaft mit Esoterik zu beschäftigen.

Dabei gäbe es so viele Themen! Der Papst („Unser Papst!“, wie eine große deutsche Tageszeitung jubelte) bereist seine deutsche Heimat und Millionen von Jugendlichen stürmen die Domstadt am Rhein, um dort den Katholizismus zu preisen. Wie viele Gäste würde ein Weltheidentag bringen? 300 Leute in Wanne-Eickel, wenn ich mich nicht täusche. Und natürlich gäbe es keine Berichterstattung in den Medien (warum auch, wo doch der Katholizismus in einigen deutschen Provinzen noch staatstragend ist). Schön fand ich immer die Versprecher, die sich im Fernsehen wie „Weltjudentag“ anhörten – ob das „unser Papst“ auch so gerne hört, Aussöhnung mit dem Judentum hin und her.

Die katholische Kirche hat (soviel fällt mir auch erkältet auf) längst ihren universellen Heilsanspruch verloren. Aber sie kämpft weiter an der Jugendfront, um diesen Kampf nicht jetzt verloren geben zu müssen. Vielleicht sind unsere Urenkel mal frei vom Einfluss der christlichen Kirchen auf das große gesellschaftliche Leben. Wer weiß.

Ich kann nur sagen, dass ich es ganz angenehm fand, grippal zu sein, als Deutschland von mystischen katholischen Energien „gerockt“ worden ist. War sicherlich beeindruckend, oder? Scheinbar sind die alternativen heidnischen Rituale an mir vorbeigegangen – oder haben sie gar nicht stattgefunden?

Der Deutsche scheint sowieso zu glauben, dass sich Heidentum auf Schamanen und den Dalai Lama erstreckt. Unsere „deutschen Alternativen“ (die es in Hülle und Fülle gibt) werden weiterhin verschämt ignoriert. Und es liegt sicher nicht nur an den Nazis, dass wir an diese Quellen nur sehr ungern rangehen.

Der Papst ignoriert die Eroberung der neuen Welt, die Kreuzzüge, den Antisemitismus und diverse andere unangenehme Erlebnisse der katholischen Geschichte. Warum sind wir nicht so „cool“ und tun dasselbe für das Heidentum? Ist immerhin schon ziemlich lange her (und die letzten namentlich bekannten Nazis sind auch schon ein paar Jahre tot – die waren nebenbei eher katholisch als heidnisch, aber das hört man nicht gerne).

Menthol-Taschentücher und Katholikentag sind irgendwie eine passende Kombination. Nur kann man die benutzten Taschentücher einfach wegwerfen.

Dein Homo Magi

Schöne Briefe

Hallo Salamander,

manchmal ist die Realität eigenartiger als jede Fiktion. Folgende Mail erreichte mich vor einigen Tagen:

Zuerst muß ich Ihre Zuversicht in dieser Verhandlung bitten, dies ist auf Grund seiner lage als das Sein total VERTRAULICH und-GEHEIMNIS. Aber ich weiß, daß eine Verhandlung dieses Ausmaßes irgendeinen ängstlich und besorgt machen wird, aber ich versichere Sie, daß aller in ordnung seien wird am Ende des Tages. Wir haben entschieden Sie durch faxsendung wegen der Dringlichkeit dieser Verhandlung zu erreichen, als wir davon zuverlässig ueberzeugt worden sind von seiner Schnelligkeit und Vertraulichkeit.

Lassen Sie mich zuerst Vorstellen. Ich bin Herr stacy ein rechnungspruefer bei der Union Bank Nigeria PLC, Lagos. Ich kam zu ihrer kontakt in meiner privaten Suchen für eine zuverlässige und anständige Person, um eine sehr vertrauliche Verhandlung zu erledigen, die die Übertragung von einer riesigen Summe von Geld zu einem fremden Konto, das maximale Zuversicht erfordert. DER VORSCHLAG: Ein Ausländer, Verstorbene Ingenieur Manfred Becker, ein Öl Händler / Unternehmer mit dem Bundes Regierung von Nigeria. Er war bis seinen Tod vor drei Jahren in einem gräßlichen Flugzeug absturz als Unternehmer bei der regierung taetig, Herr Becker war unsere kunde hier bei der Union Bank PLC., Lagos, und hatte ein schließend kontohaben von USD$18.5M (Achtzehn Million, Fünf Hundert Tausend, US Dollar) welcher die Bank erwartet jetzt fraglos, durch seine Verwandten behaupten zu werden oder Andererseit wird den ganze menge als nichtzubehaupten deklarieren und wird zu einem Afrikanischen Vertrauen-Fond für waffen und Munitionbesorgung bei einer der freiheitbewegung hier in Afrika gespendet wird.

Leidenschaftliche wertvolle Anstrengungen werden durch die Union-Bank gemacht, um in Kontakt mit einen von der Becker Familie oder Verwandten festzustellen aber hat bis jetzt zu keinem Erfoelg gegeben. Es ist wegen der wahrgenommen Möglichkeit keiner Verwandte der Becker zu finden, (er hatte keine bekannte Frau und Kinder) daß das Management unter dem Einfluß dessen Sitzung Vorsitzender, General Kalu Uke Kalu (Ausgeschieden) der eine Anordnung für den Fond als NICHT ZUBEHAUPTEN deklariert werden sollte, und dann zum dem Vertrauen-Fond für Waffen und Munitionbesorgung ausgeben, die den Kurs von Krieg in Afrika infolgedessen gespendet werden.

Um diese Negative-Entwicklung abzuwenden, ich und einige meiner bewährten Kollegen in der Bank haben abgeschlossen das geld nach ihrer zustimmung zu ueberweisen und suchen jetzt Ihre Erlaubnis damit Sie sich als der Verwandter der Verstorbene Engr. Manfred Becker deklarieren damit der Fond in der hoehe von USD$18.5M würden infolgedessen überwiesen werden und würden in Ihr Bank-Konto als der Nutznießer (Verwndter der Becker) gezahlt werden. Alles beurkunden und beweis Ihnen zu ermöglichen, diesen Fond zu behaupten werden wir zu ihrer verfuegung stellen damit alles geklappt worden ist, und wir versichern Sie ein 100% Risiko freie Verwicklung. Ihr Anteil wäre 30% von der totalen Menge. 10% ist für Aufwendungen bei der ueberweissung bearbeitung beiseite gesetzt worden, während die restlichen 60% für mich und meine Kollegen für Anlage-Zwecke in Ihrem Land wäre. Wenn dieser Vorschlag bei Ihnen OK ist und Sie wünschen das Vertrauen auszunutzen, die wir hoffen, auf Ihnen und Ihrer Gesellschaft zu verleihen, dann netterweise senden Sie mir sofort über meinen E-mail addresse, Ihrem vertraulichsten Telefon nummer, Fax-nummer und ihrer vertrautlichen E-mail anschrift, damit ich zu Ihnen die relevanten Details dieser Verhandlung senden kann. Danke im voraus.

Mit besten Grüße, Adams.

UNION BANK PLC. N.B.BITTE SENDEN SIE MIR IHRER ANTWORT ZU durch mein E-mail: stacy_adams@yahoo.com FÜR VERTRAULICHEN GRUND. Schicken Sie keine POST ZU MEINEM BÜRO-E-MAIL. If you understand english,please kindly reply with english.

Köstlich. Beginnen wir mit der Einführung, die an sich schon wunderschön ist: „Zuerst muß ich Ihre Zuversicht in dieser Verhandlung bitten, dies ist auf Grund seiner lage als das Sein total VERTRAULICH und-GEHEIMNIS. Aber ich weiß, daß eine Verhandlung dieses Ausmaßes irgendeinen ängstlich und besorgt machen wird, aber ich versichere Sie, daß aller in ordnung seien wird am Ende des Tages.“ Für ein Geheimnis bin ich immer zu haben. Und ich bin froh, dass am Ende des Tages alles in Ordnung sein wird (besonders, da ich am selben Tag nicht geantwortet habe und daher mein Leben sicherlich in Ordnung war).

Wir ignorieren mal, dass ich kein Fax habe und die Mail an meine Homo Magi-Adresse ging (die zu finden kein Problem ist). „Ich kam zu ihrer kontakt in meiner privaten Suchen für eine zuverlässige und anständige Person, um eine sehr vertrauliche Verhandlung zu erledigen, die die Übertragung von einer riesigen Summe von Geld zu einem fremden Konto, das maximale Zuversicht erfordert.“ Was wissen die über mich, was ich nicht weiß? Ich bin weder zuverlässig noch anständig und mein Kontostand sollte auch jeden beweisen, dass ich für solche Transaktionen denkbar ungeeignet bin.

Das ich den Toten nicht kenne, macht nix. Ich nehme sowieso an, dass die Geschichte erlogen ist. Das Geld reizt mich nicht, auch der humanitäre Aufhänger kann gerne ignoriert werden („Andererseit wird den ganze menge als nichtzubehaupten deklarieren und wird zu einem Afrikanischen Vertrauen-Fond für waffen und Munitionbesorgung bei einer der freiheitbewegung hier in Afrika gespendet wird“). Und Freiheitsbewegungen sind doch deswegen Freiheitsbewegungen, weil sie für die Freiheit eintreten – warum sollte ich denen das Geld nicht gönnen?

Der Vorschlag an sich ist schon absurd. Warum sollte ich bereit sein, mich als Verwandter eines Toten auszugeben, was sicherlich Betrug wäre („[...] und suchen jetzt Ihre Erlaubnis damit Sie sich als der Verwandter der Verstorbene Engr. Manfred Becker deklarieren damit der Fond [...] würden infolgedessen überwiesen werden und würden in Ihr Bank-Konto als der Nutznießer [...] gezahlt werden. Alles beurkunden und beweis Ihnen zu ermöglichen, diesen Fond zu behaupten werden wir zu ihrer verfuegung stellen damit alles geklappt worden ist, und wir versichern Sie ein 100% Risiko freie Verwicklung.“). Warum sollte eine afrikanische Bankverwaltung deutsche Verwandtschaftsunterlagen zur Verfügung haben – wo selbst das Auftreiben meiner Geburtsurkunde vor Jahren einem behördlichen Possenspiel erster Güte glich.

Verlockend ist das Angebot natürlich („Ihr Anteil wäre 30% von der totalen Menge. 10% ist für Aufwendungen bei der ueberweissung bearbeitung beiseite gesetzt worden, während die restlichen 60% für mich und meine Kollegen für Anlage-Zwecke in Ihrem Land wäre.“). Bei 18 Millionen Dollar wäre der Bearbeitungsanteil der guten Herren in Afrika etwa 1,8 Millionen Dollar – eine stolze Summe für ein wenig Papierkrieg. Und ich bekomme 5,4 Millionen Dollar dafür, dass ich mich dafür bereit erkläre, einem Betrug zuzustimmen? Auch verlockend – aber in seiner Höhe schon so eigenartig, dass es natürlich völlig unglaubhaft ist.

Das ganze Ding ging an mich ohne Namen und Adresse, dass ich kein Fax habe, wird gerne ignoriert. Magische Kettenbriefe – wo seid ihr? Ich vermisse euch fast, wenn ich mir überlege, wie wenig Arbeit in diesem Werk gesteckt haben muss.

Nein, ich verzichte auf das Geld. Dafür schließe ich eine mir namentlich nicht bekannte Freiheitsbewegung Afrikas in mein Abendgebet ein, welche die 18 Millionen Dollar bitte nutzen soll, um korrupte Bankmitarbeiter aus ihren Posten zu vertreiben.

Dein Homo Magi

Böser werden

Hallo Salamander,

ich glaube manchmal, dass es der einzige gangbare Weg mit diesen Briefen noch populärer zu werden, ist immer wieder Leute zu beleidigen. Meine Versuche, mit Vernunft etwas in der Menschwerdung von Leuten zu erreichen, die sich mit Magie beschäftigen, scheint immer nur in zwei Fällen zu fruchten.

Entweder ich beleidige alle Leute und rüttele sie damit auf (oder ich ziehe sie so durch den Kakao, dass sie sich getroffen meinen, was den selben Effekt hat). Oder ich schreibe Dinge, die so banal und allgemein bekannt sind, das sie von allen Leuten als Weisheiten und gute Ideen akzeptiert werden. Für letzteres bin ich nur zu haben, wenn man mich dafür ausreichend entlohnt (dann habe ich vor mir selbst eine Entschuldigung dafür, dass ich hanebüchene und halbseidene Wahrheiten zu Geld mache), oder wenn mein zynischer Humor mal wieder zuschlägt. Aber hierfür werde ich nicht belohnt, meine Belehrungen und kleinen Anekdoten für dich sind sinnfrei und kostenlos. Auch ein Gewinn, wenn auch mehr auf deiner Seite, wie ich zu hoffen zu konstatieren wage.

Die andere Möglichkeit ist eigentlich nur, böse und bitter zu werden. Das war schon immer eine Möglichkeit, Leute auf sich aufmerksam zu machen (auch wenn in der Literaturkritik lieber Wörter wie „spitze Feder“ und „bissig“ verwendet werden, die aber dasselbe meinen, wenn dieser Effekt beschrieben wird).

Bin ich dazu fähig? Manchmal schon, im Moment (das heißt: die letzten Tage) aber nicht. Also bleibt es bei dem Vorsatz, Gift und Galle in mein Tintenfass zu füllen und ich mache weiter, wie bisher: nett.

Die letzten Tage haben es mir auch einfach gemacht, diesen Entschluss zu fassen. Draußen herrscht ein fantastischer Spätsommer, der hoffentlich in einen Altweibersommer übergeht. Vorgestern ist mir aufgefallen, dass die blauen Ampelknöpfe (für Blinde) anfangen zu vibrieren, wenn es grün wird. Hatte ich bis jetzt nicht gemerkt.

Vor einiger Zeit sah ich einen Mann, der einen Brief in den Briefkasten warf und ihn vorher küsste. Er fühlte sich wohl unbeobachtet, und ich habe mich schnell abgewandt. War auch ganz gut so.

Frische Paprika schmecken toll, wenn man sie einfach nur aufschneidet und ohne was dazu isst (maximal empfehle ich Brot mit Butter, das sowieso zu fast allem schmeckt).

Eine meiner Schülerinnen kam am Ende des Jahres extra noch einmal, um meinen Kollegen und mich mit Tränen in den Augen zu umarmen. Ausgerechnet sie, die uns beiden viel Arbeit gemacht hat, kam als einige von wenigen, um sich ausdrücklich zu bedanken, weil wir so viel für sie getan hätten.

Wie kann man da noch Gift und Galle schreiben, wenn das Schicksal einem offensichtlich mitteilt, dass es nicht vorhat, diese Neigung zu unterstützen? Wenn Gott nicht will, dass ich böse bin, dann bin ich es auch nicht. Ehrlich.

Es sind die kleinen Winke des Schicksals, die man erkennen lernen muss, wenn man in der Magie weiterkommen will. Gott spricht zu mir scheinbar nicht durch aufreißende Himmel, Froschregen und glühende Botschaften an der Wand, sondern durch Ampeln, Paprika und Briefkästen. Auch eine Lösung, mit der ich leben kann.

Sei mir gegrüßt von Deinem Homo Magi

New Orleans

Hallo Salamander,

es gibt Situationen, in denen auch mich die Sprachlosigkeit befällt. Die Situation in New Orleans gehört dazu. Dieses Mal kann man keine islamistischen Terroristen beschuldigen, es waren normale Menschen, die zugelassen haben, was passiert ist – durch Vernachlässigung von Schutzmaßnahmen, durch politische Fehlentscheidungen und durch eine gewisse Blauäugigkeit gegenüber der Not anderer Menschen.

Doch ich will nicht in das Horn blasen, das so schön anti-amerikanisch Häme und Spott über die Supermacht USA ausgießt, die im Ausland Kriege führen doch im Inland keine Nahrungspakete zustellen kann.

Viel interessanter ist doch eine andere Frage: Was geschieht hier magisch?

Ein paar Vorüberlegungen.

1.                 New Orleans ist eine magische Stadt mit einer magischen Geschichte.

2.                 Alles begann mit einem Sturm, also einem Luftelementar.

3.                 Das Gebiet von New Orleans (Landgebiet daher Erde) ist von Wasser überflutet worden. Ein Sieg von Wasser über Erde.

4.                 Nach der Überflutung sind in vielen Fällen Brände ausgebrochen, weil Gasleitungen brachen, Firmen in die Luft gingen und so weiter. Also Feuer im und um das Wasser.

Luft – Erde – Wasser – Feuer. Ein voller Kreislauf der klassischen magischen Elemente, der sicherlich auch auf die magische Struktur der Stadt (und damit der Erde) Einfluss hat. Ist eine Stadt, wenn sie vorher magisch aktiv war, magisch inaktiv, wenn sie untergeht? Wohl kaum, denn sonst könnte ich mir den Erwerb von Büchern über Atlantis sparen (ziemlich untergegangen), aufhören, über Rungholt zu lesen (auch untergegangen), Vineta ignorieren (auch ...), könnte mich nicht über Mu amüsieren (wohl nicht untergegangen) oder von unterirdischen Straßen am Bikini-Atoll lesen (angeblich am auftauchen).

Die Erdoberfläche verändert sich kontinuierlich und viele diese Veränderungen sind durch die Kraft des Wassers hervorgerufen worden.

Magische Strukturen auf der Erde hinterlassen zumindest einen Abglanz ihrer alten Macht, wenn sie untergehen. Also wird es auch ein magisches System New Orleans’ geben, wenn die größten Teile der Stadt unter Wasser liegen. Die Magie ist nicht beendet, nur verändert.

Eine Frage drängt sich auf: Warum konnte die Magie diese Katastrophe nicht verhindern? Weil sie es nicht wollte.

Die Zahl der Faktoren, welche die Überflutung erst möglich gemacht haben, ist so hoch und deren Macht so gewaltig, dass auch Merlin und Mim gemeinsam das Wasser wohl nicht hätten aufhalten können (die amerikanische Regierung schon, aber dazu wären in den letzten zehn Jahren andere Entscheidungen möglich gewesen).

Konnte die Magie die Menschen retten? Nein, denn die einwirkenden, unmagischen Faktoren (siehe oben) waren zu hoch. Wenn Magie gewirkt wurde, dann hat sie einzelnen geholfen – aber sie rettete nicht die Menschen vor der Panik im Stadion oder das Wasser davor, mit Öl und anderen ausgesprochen schmutzigen Dingen verseucht zu werden.

Kann man noch an Magie glauben, wenn eine magische Stadt einfach so untergegangen ist? Klar. Viele Menschen glauben an Magie und an Atlantis – wenn das kein Widerspruch in sich ist, dann ist das Paket New Orleans-Magie auch nicht schwieriger zu glauben (warum geht das magischste Land der Geschichte auch banal im Meer unter?). Und im Gegensatz zu Atlantis wird New Orleans wohl wieder aus den Fluten entstehen.

Gott war nach Auschwitz auch möglich, da wird der Glauben an die göttliche Natur der Natur auch jetzt nicht gemindert. Warum auch.

Die Natur ist deswegen göttlich, weil sie auch mächtig ist. Es wäre für uns schwierig, an etwas zu glauben, dass nicht göttliche Qualitäten hat. Die Natur ist eben nicht kontrollierbar und beherrschbar. Und das ist auch gut so. Ich glaube auch an Erdnüsse, aber die haben keine göttlichen Qualitäten (sieht man mal von Charlie Brown ab). Die Natur und ihre Gewalten haben göttliche Qualitäten. Und Götter haben nur eine begrenzte Geduld.

Dein Homo Magi

Vollmond

Hallo Salamander,

gestern nacht war mal wieder Vollmond. Eigentlich braucht mit das keiner sagen – wenn ich schlecht schlafe und/oder eigenartig träume, dann kann ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Vollmond ist.

Mir geht es immerhin besser als meinem Bruder oder meiner Schwester, die ich beide – unabhängig voneinander – schon einmal vom Dach zerren durfte, als sie versuchten, ihre mondsüchtige Freizeitbetätigung auf meinem Dachboden ausüben zu müssen, der den einfachsten Zugang zum Dach zu bilden schien.

Nun, der Werwolf (als das hauptsächlich mit dem Mond verbundene Fabeltier) feiert immer wieder Urstände. Doch einige Dinge im Umgang mit diesem Wolf habe ich nicht verstanden. Ich will versuchen, die Fragen einmal kurz für Dich aufzulisten, die ich mir seit Jahren immer stelle, ohne eine zufriedenstellende Antwort darauf gefunden zu haben.

·        Warum sagt man eigentlich Werwolf? Ist es nicht vielleicht ein Wermensch, der sich nur in Vollmondnächten in seine ursprüngliche Form verwandelt?

·        Warum behalten Wolfsmenschen bei der Verwandlung – egal, wie stark ihre Muskelberge wachsen – immer noch eine züchtige Hose an? Das unterscheidet Lon Chaney dann nicht mehr vom Hulk, der auch immer seine Hose auf der grünen Haut anbehält, wenn die Muskeln schwellen (und was da sonst noch schwellen könnte und unter der zerfetzten Hose getarnt wird).

·        Warum ist ausgerechnet der Wolf mit der lunaren Verwandlung verknüpft – während andere Tiere sich wandeln, ohne dafür das Gestirn zu brauchen? Gibt es – außerdem Vampir, bei dem die Dinge ein wenig anders gelagert sind – auch Wesen, die sich nach solarer Wandlung ändern? Wenn es diese gibt: Warum wohnen die nicht ein halbes Jahr sicher immer auf einer Forschungsstation an einem der beiden Pole?

·        Ist jemand, der mondsüchtig ist, abhängig? Wenn ja: Warum gibt es hierfür keine Substitution mit Medikamenten oder einen Entzug?

Aber viel mehr als diese Seite des Werwolf-Mythos (der für mich immer eine sexuelle Komponente haben wird, was auch immer andere Menschen daraus lesen wollen) interessiert mich die Rolle des Werwolfs als Radiomoderator.

Ich liebe Filme, in denen Radiomoderatoren versuchen, ihre Macht einzusetzen, um etwas zu verändern. Leider gibt es viel zu wenige davon. Neben der eben erwähnten Werwolf-Radio-Bindung (Wolfman Jack[21] tauchte 1973 in George Lucas‘ „American Graffiti“ auf) fallen mir nur noch zwei Beispiele ein. Eines ist der Radiomoderator in „Good Morning, Vietnam“ (ein hoch motivierter Robin Williams in einer seiner besten Rollen), der andere „U.H.F.“ mit dem irren „Weird“ Al Yankowitz).

Aber noch schlimmer wird man, wenn man tiefer in dieses Gleichnis eintaucht (wir erinnern uns: ich kam auf Wolfman Jack, weil ich über den Werwolf dozierte):

Bob Smith [i.e. Wolfman Jack, HR] war ein Fan des Disc Jockeys Alan Freed, der die Weiterentwicklung afroamerikanischer Rhythm and Blues Musik in Rock and Roll unterstütze. Freed nannte sich ursprünglich »The Moondog« nachdem er den Namen bei jemand anderem gehört hatte. Er übernahm nicht nur den Namen, sondern benutzte ein aufgezeichnetes Geheul um seinen frühen Sendungen einen unverkennbaren Charakter zu geben. Bob Smith übernahm die Moondog-Erkennungsmelodie, nannte sich Wolfman Jack und fügte seine eigenen Sound Effekte hinzu. Nachdem er einige Berühmtheit erlangt hatte, blieb er bei dem Namen Wolfman Jack und versuchte seine wahre Identität zu verbergen, um das Publikum für seine Radio-Figur zu interessieren. Die angesagte erotische Ausstrahlung der Wolfman Jack-Figur, erlaubte Smith die vorherrschende Rassentrennung des amerikanischen Radios zu überspielen.[22]

Ein Werwolf verweist auf einen Radiomoderator, der auf einen Werwolf verweist. Wer ist jetzt real, wer die Erfindung?

Und wer hat an Neumond, wenn der Werwolf gerade nicht im Studio war, gesendet?

Fragen über Fragen, auf die ich keine Antwort weiß. Schlaflose Nächte liegen vor mir – nicht nur wegen des Mondes.

Dein Homo Magi

Steuerermäßigung

Hallo Salamander,

heute durfte ich aus den Nachrichten im Internet erfahren, dass in den Niederlanden eine Hexe Steuermäßigung erhält:

Eine niederländische Künstlerin und Schauspielerin hat im Streit mit den Steuerbehörden einen Teilerfolg errungen. Wie das Steuergericht (...) mitteilte, entschieden die Behörden, dass die Frau ihre Ausbildung zur Hexe von der Steuer absetzen kann.

(...) Die Frau hatte argumentiert, sie habe den Lehrgang für die Ausübung ihres Berufes benötigt.

Während der Ausbildung, die ein Jahr und einen Tag dauert, lernen die Teilnehmerinnen unter anderem Zaubersprüche, Weissagungen und Prophezeiungen sowie den Umgang mit magischen Kräutern und die Zubereitung von Zaubertränken. Anschließend erhalten sie ein offizielles Hexen-Zertifikat.

So ein Mist. Da hätte ich auch vor Jahren schon draufkommen können. Wie toll wäre eine Anzeige in einem esoterischen Magazin: „Magische Ausbildung – steuerlich absetzbar!“ Das hätte doch den letzten davon überzeugt, dass es mir gelungen ist, neben der magischen Welt auch die irdischen Probleme zu meistern.

Mal ehrlich – welcher Gegner ist härter als das Finanzamt? Heute habe ich mit dem Finanzamt telefoniert um in Erfahrung zu bringen, warum die Abbuchung meiner fälligen Umsatzsteuer drei Tage brauchte, die Bearbeitung meiner für mich positiv zu beurteilenden Einkommenssteuer jedoch nach drei Monaten noch nicht abgeschlossen ist? Irgendjemand muss meine Akte ja in der Hand gehabt haben, wenn es gelungen ist, mir Geld abzubuchen – warum konnte die Rechnung zu meinen Gunsten nicht gleichzeitig aufgemacht werden?

Die Sachbearbeiterin erging sich in den üblichen Ausflüchten („kein Personal“, „viel Arbeit“, „großer Antrag“), aber sie hatte keine Erklärung für den Vorgang, die mich befriedigt hätte.

Wie schön wäre es doch, wenn ich auf meiner Visitenkarte verkündeten könnte, dass ich alle Gefahren der Magie gemeistert habe. „Homo Magi, Sieger über Drachen, Gespenster und die Finanzbehörden“ sollte auf der Karte stehen.

Hat Merlin Umsatzsteuer bezahlt? Gab es in Atlantis Steuerschätzungen oder eine Kopfpauschale (was machen dann Wesen mit mehr als einem Kopf – klagen?)? Wer zieht bei einem Drachen die jährliche Steuer ein? Wer belebt den Steuereintreiber dann wieder?

Alles Fragen, die man scheinbar nur in den Niederlanden beantwortet bekommt. Kein Wunder, dass dort Till Eulenspiegel mit der Asche seiner als Hexe verbrannten Mutter in einem Beutel um den Hals gegen die spanischen Besatzer kämpfen konnte – wahrscheinlich konnte er den Feuertod seiner Mutter als seelische Beschwerde bei der Steuer als Mehrbelastung angeben.

Brauche ich als Hexer eigentlich ein Arbeitszimmer, das ich von der Steuer absetzen kann? Ist das „Necronomicon“ Fachliteratur? Woher kriege ich einen Einkaufsbeleg dafür? Ist mein Weihrauch nur mit Quittung sinnvoll?

Fragen über Fragen, für die ich – ausnahmsweise – keine Antwort habe.

Dein Homo Magi

Migranten

Hallo Salamander,

beruflich habe ich mit einem Phänomen zu tun, dass scheinbar in den letzten Jahren erst in das Bewusstsein der Öffentlichkeit getreten ist: Migranten.

Ein schönes Wort, eigentlich zwei schöne Wörter: Emigranten und Immigranten. Auf den ersten Blick ist das alles ganz logisch. E-Migranten sind solche, die das Land verlassen, Im-Migranten sind solche, die das Land betreten. Soweit ist das doch richtig, oder?

Leider wird die Willensentscheidung hinter dieser Entwicklung nicht hinterfragt. Die wenigsten Emigranten verlassen unser Land freiwillig (die letzte große Emigrationswelle dürfte vor dem 2. Weltkrieg stattgefunden haben – und die war sicher unfreiwillig), während nur ein Teil der Immigranten unser Land freiwillig betritt.

Okay, sie werden nicht von Österreichern oder Niederländern über die Grenze geprügelt. Also ist ihre Immigration schon irgendwie freiwillig, was die letzten, entscheidenden Schritte betrifft. Aber hat man sie in ihren Heimatländern gefragt, ob sie gehen wollen?

Die junge Frau, deren Heimatland im Bürgerkrieg versinkt, der junge Handwerker, der daheim von seinem Einkommen seine Familie nicht ernähren kann, der politische Aktivist, der mit Folter oder Gefängnis bedroht wird – ist er wirklich freiwillig in Deutschland oder wäre er nicht viel lieber ganz wo anders, am besten „daheim“, wenn man dort die Möglichkeiten dafür schaffen würde?

Die ganze aktuelle Diskussion ist politisch gewollt, weil wir in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit jemanden suchen, der „uns die Arbeitsplätze weg nimmt“. Hierbei ist das „uns“ nicht ganz geklärt, aber ich nehme mal an, dass damit ein nebulöser Heimatland-Begriff gemeint ist.

Aber die ganze Diskussion ist verlogen, denn eigentlich sind wir alle Migranten. Migration ist nicht nur eine Frage der Reise, sondern eine Frage des Zeitpunkts.

Ich hole etwas aus. Die Menschheit ist wohl in einem Tal in Afrika entstanden. Irgendwann marschierten die ersten Menschen in Europa ein und ließen sich hier nieder. Dann kam Volksstamm nach Volksstamm – die letzten europäischen Zugänge vor dem Mittelalter waren Zigeuner und Ungarn, und vorher hatte jedes Volks, das ein wenig auf sich hielt und in der Lage dazu war, Europa geplündert und sein Erbgut liebevoll zurückgelassen, wenn es wieder heim ging (wenn sie nicht gleich hier blieben, weil ihnen Landschaft und Bevölkerung gefielen).

Wir reden von einem Migrationsbegriff, der von einem Land-/Volk-Begriff ausgeht, der erst in den 50er oder 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden sein kann. Der 2. Weltkrieg brachte auch eine immense Westmigration mit sich, ausgelöst durch den Verlust der Ostgebiete (nein, ich trauere denen nicht nach, bin aber in einer Gegend groß geworden, wo die Straßen noch nach Landschaften der Ostgebiete benannt worden sind). Die Wiedervereinigung brachte eine zweite Westreisewelle mit sich, doch diese ist politisch gewollt und akzeptiert.

Die europäische Vereinigung erzeugt zwangsläufig eine höhere Umsiedlungswelle, weil die Binnengrenzen gefallen sind.

Wo wollen wir also ansetzen, was ist ein Migrant? Ist der römische Soldat, der eine Germanin ehelicht und hier bleibt ein Migrant? Der amerikanische Soldat, der eine deutsche Frau heiratet? Der Danziger, der Sudetendeutsche, der Rumäniendeutsche – sind das Migranten? Ist der in Europa lebende Pole ein Migrant – weniger oder mehr als der Flüchtling vor dem jugoslawischen Bürgerkrieg?

Merlin, mein heidnisches Beinahe-Lieblingsbeispiel, wäre von unserem Migrationsbegriff überrascht gewesen – jedes seefahrende Volk, das ein Schiff von einer Badewanne unterscheiden und irgendwie England erreichen konnte, hat sich in England niedergelassen.

Unsere Magie und Weltsicht verdankt den Arabern und Juden viel – Migranten brachten diese Kenntnis oder holten sie sich (waren die Kreuzritter Emigranten oder Immigranten im heiligen Land?).

Wir Heiden sollten lernen, solche Kategorisierungen wie den (E-/Im-)Migrationsbegriff zu vermeiden, auch wenn es schwer fällt. Wir sind alles Menschen, beseelte Wesen. Das zählt, sonst nichts.

Dein Homo Magi

Flohmarkt

Hallo Salamander,

gestern und heute war mal wieder der große Flohmarkt bei uns in der Innenstadt. Eigentlich beginnt der Flohmarkt erst am Sonntag, aber man darf ab Samstag, 19.00 Uhr aufbauen. Also standen am Samstag morgen – trotz der Ordner – ab 12.00 Uhr die ersten Leute in Campingstühlen mit der Kaffeekanne auf dem Platz und hielten die lukrativsten Plätze frei. Der Wurststand macht dann auch Mittags auf und abends um 18.00 Uhr beginnt die hektische Aufbauerei.

Ich war dann gegen 20.00 Uhr das erste Mal auf dem Flohmarkt bis etwa 22.30 Uhr. Das zweite Mal ging ich dann zum „offiziellen“ Termin des Flohmarkts, nämlich Sonntags ab 10.00 Uhr bis etwa 12.30 Uhr.

Eigentlich sind es zwei Flohmärkte, die man da zum gleichen Termin am gleichen Ort besucht. Nur etwa 60 % der Stände sind deckungsgleich. Es gibt Leute, die Samstags aufbauen und nachts wieder verschwinden, da sie bei Kerzen- oder Taschenlampenlicht schon genug verkauft haben, um eine Übernachtung mit ihren Strapazen nicht zu rechtfertigen.

Andere machen die Nacht durch oder schlafen ein paar Stunden in Auto oder Stuhl. Die ganze Nacht ist Party, Verkaufsstimmung und große Stimmung auf dem Platz. Alkohol fließt und Kaffee wird verschenkt.

Der Samstag-Abend ist klar der „Erwachsenen-Flohmarkt“ der ganzen Aktion. Ich war überrascht, wie viele Stände schon aufgebaut hatten (ca. 75 % der Fläche waren Samstag Abend schon mit Ständen bedeckt). Es gab schon Bratwurst, obwohl das natürlich total illegal ist – oder beliefern die etwa angeblich nur die Aussteller?

Sonntag morgen ist dann mehr der Kinder- und Jugendlichenflohmarkt, weil dann früh morgens die Mamas und Papas aufbauen, damit ihre Kinder das Spielzeug und sie die Klamotten verkaufen können, aus denen die Kinder rausgewachsen sind. Mancher Vater bleibt jedoch gerne über Nacht, um auf den Stand von Frau und Kind aufzupassen. Morgens fällt er dann nach einigen Bierchen, Kaffee und einer durchplauderten Nacht mit ruhigem Gewissen ins Bett, während Frau und Kind den Verkauf übernehmen.

Drei Beobachtungen möchte ich dir schildern, die mir doch ein bezeichnendes Licht auf unsere Gesellschaft zu werfen scheinen.

1. Der Ausländeranteil auf Flohmärkten ist in den letzten Jahren massiv gestiegen. Es gibt Stände, die völlig ohne Kommunikation auf Deutsch auszukommen scheinen. Aber das Angebot hat sich dadurch massiv ausgeweitet. Was habe ich vor 20 Jahren noch nach schönen Holzkisten und Deko-Schwertern gesucht – hier könnte ich den ganzen Abend wild fündig werden.

Außerdem gibt es eigenartige Gewürze, Räucherstäbchen, bunte Hemden und lustige Käppchen zu kaufen, die man früher auf einem Flohmarkt nie zu sehen bekam. Eine echte Bereicherung, wenn es nach mir geht.

2. Weite Teile unserer Gesellschaft haben weniger Kaufkraft als noch vor zwanzig Jahren. Nicht nur werden hier Dinge für wenig Geld abgegeben, die sich vor zwanzig Jahren noch keiner getraut hätte auf einem Flohmarkt abzugeben. Und es gibt immer mehr Leute, die den Flohmarkt nutzen, um schwarz ein paar Euro zu verdienen – zum Beispiel mit dem Verkauf des Hausrats für andere Menschen oder einfach mit dem Verkauf von ein paar Dingen, die für sie überflüssig geworden sind (ob freiwillig oder unfreiwillig, das sei dahin gestellt).

3. Die Esoterik hat den Massenmarkt erobert. Bis ein Gegenstand wieder auf dem Flohmarkt landet, vergehen normalerweise ein paar Jahre. Und jetzt ist die Welle des Esoterik-Booms über den Flohmarkt hinweg geschwappt und man bekommt nicht einmal zehn Jahre alte Esoterik-Klassiker für einen Apfel und ein Ei hinterhergeworfen.

Es ist schon erstaunlich, welche „esoterischen Klassiker“ hier inzwischen in den Auflagen großer Verlage wieder ausgesondert werden. Ich glaube nicht, dass die Not daraus spricht – aber wenn man schon sein Bücherregal aufräumt, warum muss man dann zehn Bücher zum gleichen Thema behalten, die inhaltlich mehr oder weniger deckungsgleich sind?

Ein gutes Buch gibt man nicht weg, schlechte schon. Wenn dieser Leitsatz stimmt, dann ist viel der produzierten Esoterik der letzten zehn Jahre schlecht (oder eben für den Massenmarkt gedacht und ohne jede Tiefenwirkung beim Leser).

Ich werde meine gesellschaftskritischen Flohmarktbeobachtungen die nächsten zwanzig Jahre weiterführen. Mal sehen, was sich dann verändert – und interessant ist es schon, in so einem „Mikrokosmos“ brav von Jahr zu Jahr zu beobachten, was sich verändert (und das sind nicht nur die Preise!).

Was das mit Magie zu tun hat? Wenig und doch viel. Ich habe nicht gezaubert und nur ein paar Bücher über Zauber gekauft. Ich habe aber etwas vom Zauber der Welt erfahren dürfen, als abends der Nebel aufzog und den nur mit Kerzen und Taschenlampen erhellten Flohmarkt mit seinem Glitzern überzog. Aber das ist eine andere Art von Magie als die des Wiederverkaufs. Aber auch eine Art von Magie.

Dein Homo Magi

Heidentum rulez!

Hallo Salamander,

eigentlich kann ich zum Ende des heidnischen Jahres in wenigen Wochen meine wöchentlichen Schreiben einstellen, denn wir haben ja gewonnen. Zwei unserer größten Gegner sind eingeknickt und zum Heidentum übergelaufen, und damit ist der Sieg in so greifbarer Nähe, dass meine Hilfe nicht mehr gebraucht wird.

Du zweifelst? Nun gut, der erste Gegner ist die Firma Ferrero, die mit wehenden Fahnen zum siegreichen Heidentum übergetreten ist. So bietet „Kinder Schokolade“ (bis jetzt kein Hort von naturreligiöser Gottheitenverehrung) „Jetzt zu Halloween“ unter anderem „Schablonen für gruselige Kürbisfratzen“ auf der Doppelpackung an.

Ich zitiere die Verpackung: „Bald ist wieder Halloween – eine besondere Nacht für kleine Hexen und ihre Freunde! In fantasievollen Verkleidungen geht’s auf eine abendliche Tour durch die Nachbarschaft.“ Die drei Schablonen heißen „Grolli“, „Grausbart“ und „Grummelino“ und sind sicherlich dafür gedacht, die bei Kindern noch nicht stark verwurzelten Stränge des Neuheidentums zu festigen. Triumph!

Der andere Gegner, der sich hat besiegen lassen, ist Tchibo. So teilte mir das freundliche Tchibo-Depot in meiner Nähe unter dem Briefkopf „Guten Tag Nachbar!“ folgendes mit:

Die Nacht der Kürbisse naht – Halloween steht vor der Tür!

Sehr geehrter Herr [...][23], am 31. Oktober ist es wieder so weit – Halloween steht vor der Tür! Vielleicht ist es ja auch bei Ihnen schon eine lieb gewordene Tradition, einen ausgehöhlten Kürbis zur Dekoration aufzustellen (...).

Dann laden wir Sie ein, sich in unserem Geschäft auf Halloween einzustimmen. Schauen Sie bei uns vorbei und lassen Sie sich von unseren Preisleistungen und unserem umfangreichen Sortiment überzeugen.

Als Begrüßungsgeschenk für Ihren Besuch haben wir ein Halloween-Windlicht für Sie reserviert. (...) Mit freundlichen Grüßen, Ihr Nachbarschaftsgeschäft.

Wow! Sieg auf der ganzen Linie! Auch Tchibo ist also zum siegreichen Heidentum übergetreten und bietet jenen, die sich offen dazu bekennen, ein Windlicht umsonst an. Wahrscheinlich ist das Windlicht aber nur das exoterische Zeichen einer esoterischen Wandlung, die bei mir sofort eintritt, wenn ich bei Edeka (das ist nämlich das „Nachbarschaftsgeschäft“ und „Tchibo-Depot“ in meiner Nähe) einkaufen gehe. Erst verlange ich an der Kasse das Windlicht wegen Halloween, dann werde ich vom Marktleiter in einen Nebenraum gebeten, wo hochgradige Hexen rund um die Uhr Seminare und Workshops für Neuheiden abhalten, die gemeinsam Halloween feiern wollen.

Und mit meinem Windlicht als Zugangszeichen darf ich dann auch zu Samhain an dem großen Ritus teilnehmen, der unter Ferrero- und Tchibo-Freunden bei Kaffee und Süßigkeiten abgehalten werden wird.

Noch einmal: Wow! Mir fehlen die Worte. Halloween-Windlichter und Kinder-Schokolade – unter diesen Zeichen werden wir siegen!

Dein Homo Magi

Treppenhausverteidigung

Hallo Salamander,

einer netten Frau in meinem Bekanntenkreis wird jeden Sonntag morgen die bunte, wertvolle Beilage aus ihrer überregionalen Wochenzeitung (nennen wir sie RATZ) gestohlen.

Natürlich schaltete sich sofort mein Sherlock’scher Verstand ein und forderte Aufklärung. Mit nur geringem Aufwand gelang es mir, wahrscheinlichen Täter (einen Nachbarn), wahrscheinliches Motiv (Gier nach Sonntagsbeilagen) und wahrscheinliche Tatwaffe (frühes Aufstehen am Sonntag) zu eruieren.

Okay, eigentlich ist man genug bestraft, wenn man freiwillig am Sonntag früher aufsteht, um eine labberige Sonntagsbeilage zu stehlen. Aber mir war das nicht Rache genug. Schon gar, weil durch die Kränkung der Ehre meiner netten Bekannten auch meine Ehre gekränkt war.

Nach Tagen des Nachsinnens (die ich nicht in Rechnung stellen werde) kann ich nun folgende vier Lösungsmöglichkeiten des Problems anbieten:

1. Sonntags früh aufstehen.

Die Beilage gegen eine selbst erstellte Beilage zum Thema „Ist Diebstahl genetisch vorbestimmt?“ austauschen. In diesem Faltblatt Diebstahl bestimmten Krankheiten zuordnen. Nahrungsdiebstahl steht in Verbindung zu schlechten Zähnen, Autodiebstahl führt zu Knieschmerzen und Beilagendiebstahl führt zu Impotenz und Blasenschwäche.

Arbeitsaufwand: Hoch.

Erfolgswahrscheinlichkeit: Mittel.

Aufstehen: Scheiße.

2. Sonntags liegen bleiben.

Die Beilage nicht stehlen, dafür an alle Nachbarn über die Tagespost einen Zettel mit dem Titel der RATZ verteilen. Davor warnen, dass bei der letzten Drucklegung Natriumchlorid in einige Druckprodukte gelangt sei. Wer also nach dem intensiven Lesen der letzten Sonntagsbeilage über Halsschmerzen oder trockene Nasenscheidewände klagt, der soll sofort einen Arzt aufsuchen.

Arbeitsaufwand: Hoch.

Erfolgswahrscheinlichkeit: Hoch.

Aufstehen: Gut.

3. Sonntags früh aufstehen.

Eine zweite Zeitung kaufen und neben die andere legen. Darauf groß sichtbar einen gelben Zettel mit schwarzer Schrift legen: „Werter Herr Soundso! Da sie immer meine Zeitung stehlen, weil sie kein Geld für eine eigene Zeitung haben, habe ich Ihnen heute eine beigelegt. Ihre ...“

Arbeitsaufwand: Mittel.

Erfolgswahrscheinlichkeit: Hoch.

Aufstehen: Scheiße.

4. Sonntags liegen bleiben.

Nachbarn nachts mit roter Kreide einen Drudenfuss auf den Türrahmen (Briefkasten, Fahrradanhänger ...) malen, wenn mal wieder morgens die Zeitung weg ist.

Arbeitsaufwand: Gering.

Erfolgswahrscheinlichkeit: Mittel.

Aufstehen: Unproblematisch.

Im Falle von 1 und 3 würde ich fast sagen, dass frühes Aufstehen manchmal sinnvoll ist. Und bei 4 ist das Verhältnis zu Arbeitsaufwand und Erfolgswahrscheinlichkeit so hoch, dass ich beginne, wieder die Vorzüge der Magie zu schätzen (schon gar, weil man im Bett bleiben kann!).

Dein Homo Magi

Heidnisches Ja

Hallo Salamander,

ein weiteres heidnisches Jahr geht zu Ende. Wenn ich zurück blicke, dann bin ich überrascht, wie viele Seiten ich schon mit Briefen an dich gefüllt habe – und wohl weiter füllen werde, wenn ich weiter Inspiration und Kraft dazu haben.

Und was könnte ich schöneres am Ende des Jahres tun, als mich wieder mit einem meiner Lieblinge zu beschäftigen: dem Erzengel Michael. Du weißt, dass ich schon ein paar Mal die Gelegenheit genützt habe, um mich über Erzengel Michael (den guten, alten Chakren-Weiter) und seine Tätigkeiten auszulassen.

Auf der Buchmesse hatte ich Gelegenheit, mit ihm und seinen Tätigkeiten unter dem Namen „Kamasha“ näher zu beschäftigen. Dort erhielt ich unter anderem das legendäre Flugblatt „Kamasha oder das Abenteuer, Erzengel Michael als Chef zu haben“. Köstlich.

Zur Geschichte: Der Erzengel Michael fährt in den jungen Jörg, dieser wählt den Seelennamen Natara (Sanskrit für Goldener Lotus), um seine Botschaft und seine Produkte unter das Volk zu bringen. Zu diesen Produkten gehören unter anderem die Kamasha-Essenzen. Jene wirken teils auf „emotionaler Ebene“ („Loslassen“, „Trauer überwinden“) oder gegen konkrete Krankheiten (Asthma, Heuschnupfen, Morbus Crohn – als jemand, der selbst darunter leidet, finde ich das nichtwirklich lustig, was da geschieht). Außerdem gibt es Essenzen, die „vor atomarer und vor Elektrostrahlung schützen“. Wissen das die Opfer von Hiroshima? Und wer möchte nicht den „Kamasha-Schutzsymbolaufkleber Karana“, der „vor negativer Strahlung“ schützt und die DNA heilt (nein, ich erfinde das nicht) – „Klebst du ihn auf die Rückseite deines Mobiltelefons, entstört er die schädlichen Handystrahlen und bringt seine starke Lichtenergie in das von dir verwendete Handynetz. Das gesamte Netz kann entstört werde, sobald Karana auf einem Handymast angebracht wird.“ Wie bitte? Ist die Vernunft gerade mal wieder spazieren gegangen?

Hält die Heilenergie an, wenn ich in ein anderes Netz telefoniere? Warum ist die Heilenergie auf Handynetze begrenzt und macht sich nicht im Telefonnetz breit? Warum habe ich überhaupt ein Handy, wenn ich weiß, dass es schädliche Energie ausstrahlt?

Man kann natürlich nicht nur die Essenzen trinken und die Bücher kaufen, sondern man darf zum Beispiel auch den Lichtkörperprozess erlernen und zum Heiler werden (und natürlich wird auch Reiki angeboten, das gut in den Mythenmix des Pseudo-Erzengels passt).

Klar ist, dass die Bücher auf umweltfreundlichem Papier gedruckt werden, das nicht aus dem Regenwald stammt. Die Termine des Erzengels werden mit einem schadstofffreien Erdgas-Auto angefahren (die Flügel tragen wohl nicht) und es gibt nur Strom aus alternativen Quellen für den ganzen Laden.

Der Mythenmix geht brav weiter, denn jetzt werden zwölf Heilzentren verbunden, wo „uralte Heiltraditionen“ verknüpft werden – Schamanismus, die Aborigines, der Ferne Osten und so weiter, wie ich vermuten darf.

Wäre es nicht ein Gewinn, wenn man mit einem Aufkleber Atomstrom entstrahlen könnte, so dass die Heilenergie Atomkraftwerke und Steckdosen rettet? Wie sieht es aus mit einer Essenz, die den Tod überwindet? Was ist mit Zentren für die Kultur der Feuerländer und die Weisheit Madagaskars?

„Die Aufklärung ist die Befreiung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ Den Spruch sollte ich ummünzen: „Die Aufklärung ist die Befreiung der Engel aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit.“

Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Dein Homo Magi

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