Homo Magi - Teambeitrag

Der Kurfürst

Das etwas andere Kurtagebuch

Tag 16-18

Tag 16

Heute war ein debiler Tag. Erst habe ich mich mit einer Krankenschwester über das Sterben unterhalten, dann kam ich mit anderen Leuten im Laufe des Tages mal so eben auf den Tod.

Komisch. Monatelang spricht kein Mensch mit einem über das Sterben und auf einmal kommen Tage oder Wochen, in denen das andauernd präsent ist. Ich glaube nicht länger daran, dass das nur eine zufällige Häufung ist. Das Universum will mich verwirren ... oder meine Umwelt spricht sich ab und entscheidet, dass an bestimmten Tagen bestimmte Themen einfach „dran“ sind, jeder Widerstand ist zwecklos.

Nachmittags bin ich dann in die Nachbarklinik gegangen, um mir ein Eis zu kaufen. Die neurologische Klinik, die gleich neben der Kurklinik liegt, hat einen wohlsortierten Kiosk, der mir in den letzten Tagen ein paar Mal empfohlen worden war. Die Sonne scheint, mir ist heiß, also mache ich mich auf den Spaziergang.

Vor der Klinik sitzen dort Familien auf Bänken. Als ich vorbeischlendere fällt mein Blick auf eine scheinbar italienisch-stämmige Kleinfamilie bestehend aus Mutter, Vater, Tochter und Sohn. Sie sitzen da, unterhalten sich und genießen die Sonnenstrahlen. Als ich an ihnen vorbeilaufe springt die Tochter auf einmal hoch und auf mich zu, wobei ihre zu Krallen verkrampften Hände in Richtung meines Gesichts zucken. Geistesgegenwärtig springt ihr Vater auf und erwischt sie am Becken, so dass sie statt mich zu erreichen ins stolpern kommt. Ihr Bruder ist auch sofort auf den Beinen, um mich abzudrängen.

Hektisch weiche ich einen Schritt zurück, was ihrem Vater und ihrem Bruder Gelegenheit gibt, sie zu Fall zu bringen und dann zur Bank zurückzuführen. Der Vater schaut mich mit einem Blick an, der mir durch Mark und Bein geht. Ich fühle mich, als wäre ich daran schuld, dass seine Tochter aufgesprungen ist. Langsam entferne ich mich rückwärts gehend.

Auf dem Rückweg vom Kiosk habe ich einen anderen Weg gewählt.

 

Tag 17

Heute hatte ich eine lustige Unterhaltung mit einem anderen Kurgast. Wir zwei haben uns eine Weile lang gemustert, weil wir beide in dem Glauben lebten, den jeweils anderen irgendwoher zu kennen.

Eine Stunde später hatten wir herausgefunden, dass unsere Leben bis jetzt keinen Berührungspunkt gehabt hatten; wir konnten uns nicht von irgendwoher kennen.

Für mich war das nicht so schlimm, denn bei dem ständigen Gästewechsel, der in einer solchen Klinik stattfindet, ist es ganz normal, dass man ab und an jemanden sieht, der einem bekannt vorkommt – und wenn dieses Gefühl dann auch noch von der anderen Seite geteilt wird, dann führt es eben zu solchen Unterhaltungen wie dieser.

Mein Gegenüber war aber in den letzten Tagen schon mehrfach angesprochen worden, weil Leute meinten, ihn von irgendwoher zu kennen. Einer hatte ihn wohl auch freundlich mit „Herr Mancini“ begrüßt, weil er im Glauben lebte, ihn von früher samt Namen zu kennen. Natürlich hieß mein Gegenüber nicht Mancini, kannte auch keinen von den Leuten, die ihn grüßten und niemanden, der „Mancini“ hieß.

Vielleicht war das ein übler Spaß der anderen Kurgäste, um ihn zu verwirren. Vielleicht war es aber auch einfach so, dass er in seiner Kindheit geklont worden war. Diese Klone waren auf verschiedene Städte verteilt worden und lebten dort unter unterschiedlichen Namen (z.B. Mancini, wie jetzt in Erfahrung gebracht worden war). Zum ersten Mal war einer der Klone (oder war er das Original?) in Kur und schon flog die ganze Geschichte auf.

 

Tag 18

Ende der Woche hat man immer den „Behandlungsplan“ für nächste Woche im Fach. Schön finde ich den Titel „Terminierung“ auf dem Blatt. Das klingt so, als würde man von einem Schwarzenegger-Lookalike auf dem Gang gejagt und dann ausgerottet, wenn man den Anweisungen folgt.

Jedes Mal, wenn sich auch nur eine einzige Anwendung ändert (und wenn nur ein anderer Masseur den Dienst übernimmt) bekommt man einen geänderten Ausdruck in das Fach gelegt – „Ihr Behandlungsplan hat sich geändert“. Natürlich muss man alle diese Blätter aufheben, weil die vielleicht irgendwann mal ganz wichtig werden. Werden die natürlich nie, aber Ordnung muss sein. Am Montag hatte ich schon sieben Seiten zusammen: drei Seiten hatte ich anfangs erhalten (der Originalplan), eine Seite änderte Dienstags den Plan für Dienstag, drei Seiten druckten dann den geänderten Plan für Dienstag bis Freitag noch einmal aus. Irgendein Mitarbeiter scheint einen verdammt guten Draht zu einer Papierfirma zu haben ...

 

An diesem Tag habe ich das im großen Saal durchgeführte „Abschlussgespräch“ verpasst, dass vor der Abreise mit allen nächste Woche verschwindenden Patienten geführt wird. Aber ich hatte auch einen harten Tag. Morgens raus aus dem Schlafanzug, rein in den Trainingsanzug. Nach der Anwendung raus aus dem Trainingsanzug, rein in die Schwimmsachen. Nach dem Schwimmen raus aus den Schwimmsachen, rein in den Bademantel. Nach dem Moorbad raus aus dem Bademantel, rein in normale Kleidung für das Abendessen. Nach dem Abendessen raus aus der normalen Kleidung, rein in was Schickes zum Weggehen. Abends dann raus aus der schicken Kleidung, rein in den Schlafanzug. Hey, das war zu viel für einen Patienten!

 

Von wegen Moorbad: Da liegt man eine ganze Weile im heißen Moor herum, völlig ausgelaugt und zu jeder Bewegung unfähig. Aber man kann sich Gedanken machen ... Im Moorbad ist man ganz alleine, die Mitarbeiterinnen verschwinden immer, nachdem man ins Moor gelegt wurde, und kommen nur alle paar Minuten wieder, um nachzuschauen, ob man noch lebt. Wenn man Glück hat, erwischt man eine Mitarbeiterin, die einem auch noch ab und an mit einem Tuch die Stirn abwischt, weil man sonst Schweiß in die Augen bekommt. Das juckt und der Schweiß ist im Moorbad nur schwer zu beseitigen, weil man natürlich durch das Moor total versiffte Hände hat, mit denen man sich ungern die Augen reiben möchte.

Wenn man einen anderen Patienten überreden könnte, der in der Kabine wartet, während man ins Moor gelegt wird ... Danach könnte man lustige Dinge anstellen. Zum Beispiel könnte man sich ein kleines Segelschiff bringen lassen, das im Moor schwimmt. Oder eine graue Rückenflosse in das Moor stecken und laut „Haie! Haie!“ rufen, bis Hilfe kommt. Auch nicht schlecht fände ich es, wenn man kurz aufsteht und sich eine Trainingshose anzieht. Das fällt natürlich erst auf, wenn man zum Abduschen aufstehen muss. Während die Mitarbeiterin komisch guckt, sollte man dann Sachen sagen wie: „Ich habe mich auch gewundert, dass ich mich nicht vorher ausziehen sollte ...“ oder „Ich glaube, die Hose kriege ich nie mehr sauber!“. Am besten macht man das bei der letzten Anwendung, weil sonst könnte man mit Moorbad-Verbot belegt werden

 

 

Hermann Ritter

 

       

 

 

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